Zur Überparteilichkeit unserer Volksbildung. Oder: Überparteilichkeit und Überkonfessionalität – ein demokratisches Kulturerfordernis

Titelvollanzeige

Autor/in:

Otto Koenig sen.

Titel: Zur Überparteilichkeit unserer Volksbildung. Oder: Überparteilichkeit und Überkonfessionalität – ein demokratisches Kulturerfordernis
Jahr: 1951
Quelle:

Mitteilungen der Volkshochschule Wien Volksheim, Nr. 44, 1. Jänner 1951, 1–3.

Sachdeskriptor: Neutralität

[S. 1] Voraussetzung jeder Demokratie ist die möglichst reife und freie Urteilsfähigkeit ihrer Staatsbürger sowie deren rege Teilnahme am gesamten Kulturleben. Wer die Demokratie bejaht, muß eine mögliche Ausbildung dieser mit Aufgeschlossenheit für Kunst und Wissen untrennbar verbundenen Fähigkeiten, also die Volksbildung bejahen. Dem Volksbildner bedeutet „Bildung“ nicht: ein durch Auswendiglernen herstellbarer, quantitativ normierter Wissenszustand, sondern ein Vorgang, ein Prozeß innerer Formung. Ihm bedeutet daher Wissensvermittlung nicht Selbstzweck, sondern nur ein allerdings unentbehrliches Mittel zum Zweck, brachliegende, etwa durch die meist sehr einseitig spezialisierte Berufsbetätigung vernachlässigte Anlagen des Verstandes und Gemütes zu ordnen, zu fördern und sie wirrer Urteilslosigkeit und Triebhaftigkeit überlegen zu machen. Volksbildung ist weder Berufsschulung, die den Gewerkschaften und Berufsförderungsinstituten überlassen bleibt, noch ist sie Volksbelustigung. Aus den Nöten der Nachkriegszeit entstandene Abweichungen von diesem Grundsatz sollen mählich schwinden, die „wissenschaftliche Operette“ und das Tingeltangel in Volksbildungshäusern ist zu allen Zeiten eine Schändung des Geistes ernster Volksbildungsarbeit. Die Einrichtungen, Anstalten und Veranstaltungen deren sich die Volksbildung zu ihren soeben angedeuteten Zielen bedient, sind nach den örtlichen Verhältnissen und nach der soziologischen Struktur der Teilnehmerschaft verschieden, zum Beispiel in der soziologisch komplizierten Großstadt andere als unter der schon beruflich homogeneren Bevölkerung des flachen Landes. Aber eine Voraussetzung war allen österreichischen Volksbildungsbestrebungen dieser Art von Anfang an gemeinsam und selbstverständlich: Die weltanschauliche Voraussetzungslosigkeit, die strenge Vermeidung jeder parteipolitischen oder konfessionellen Stellungnahme! Überzeugungen dieser Kategorien wurden nicht berührt, deren Verbreitung und Befestigung bleibt den Parteien und Konfessionen vorbehalten, tatsächlich organisierte ja auch jede weltliche oder religiöse Bekenntnisgemeinschaft solche weltanschaulich gebundenen Bildungseinrichtungen für Erwachsene und erhält sie billigerweise grundsätzlich aus den von ihren Anhängern zur Verfügung gestellten Mitteln.

Diese Neutralität war die anerkannte Grundlage der auch vom Ausland als vorbildlich bezeichneten österreichischen Volksbildungsarbeit in den ersten vierzig Jahren ihrer Entwicklung, und sie wurde auch von den damals freien volksbildnerischen Bestrebungen in der Regel fernstehenden konservativen Kreisen als durchführbar und zweckdienlich bestätigt dadurch, daß priesterliche Leiter ländlicher, nichtkirchlicher Volksbildungsanstalten wiederholt versicherten, daß sie es sorgfältigst vermieden, die Mitglieder und Teilnehmer ihrer volksbildnerischen Veranstaltungen irgendwie weltanschaulich zu beeinflussen.

[S. 2] Und als in Deutschland, wo eine nennenswerte, systematische Volksbildungsarbeit überhaupt erst nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte, im ersten Gründungsrummel auch Volkshochschulen bestimmter weltanschaulicher Prägungen auftauchten, da war es eine konservative Autorität, die zuerst ihre warnende Stimme gegen die mit einer solchen Zersplitterung der volksbildnerischen Arbeit verbundenen Gefahren erhob.

Gegenwärtig steht es nun so, daß auch die neutralen Volksbildungsanstalten Österreichs viele Jahre hindurch von totalitärer Diktatur als Agitationszentren befehlsgebundener Staatspropaganda mißbraucht wurden. Wiewohl es sich im Anfang des Wiederaufbaues der neutralen Volksbildung in Wien sehr deutlich zeigte, daß eben jener politische Mißbrauch das Vertrauen der Jugend zur Volksbildung zu tiefst erschüttert hatte, kann doch andererseits gerade aus der historischen Tatsache des jahrelangen Bestandes einer einparteipolitischen Sorte von Auch-Volksbildung im Wege eines in ballistischer Kurve nach staatlichen Subventionen zielenden Analogieschlusses da und dort der Wunsch auftauchen, die bisherige, bewährte Überparteilichkeit und Überkonfessionalität der Volksbildung durch ein proportionales, dreiparteiliches und auch konfessionelles System zu ersetzen. Denn böse Beispiele verderben gute Sitten!

Die derartige Wünsche äußern, sind genötigt, die ganze bisher gültige, die weit über Österreich hinaus berühmt gewordene Widmung unserer Voksbildung auf den Kopf zu stellen. Für sie heißt es nicht: Durch fortschreitende freie Ausbildung geistiger Veranlagungen zur Bildung einer in sich gefestigten Lebens- und Weltanschauung zu befähigen, sondern umgekehrt: auf der Grundlage einer gegebenen, partei- oder konfessiongebundenen Weltanschauung eine zu dieser vorausgesetzten Bindung passende Bildung zu konstruieren und zu oktroyieren. Diese Umkehrung aber entspringt nicht einer demokratischen, sondern einer autoritativen Geisteshaltung und erscheint unbefangener Überlegung so widersinnig wie eine mit ihrem Kapitell nach unten aufgepflanzte Säule.

Es gibt Tausende von Menschen ehrlichen Kulturwillens, die ihr heißes Bestreben, sich auf lebenskundlichen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Gebieten ihres persönlichen Interesses weiter zu bilden, parteimäßig oder konfessionell typisierten Volksbildungsinstituten nicht anvertrauen würden, die Volksbildung würde daher Tausende ihrer sachlichsten Frequentanten verlieren. Dafür würde eine nicht mehr überparteiliche Volksbildung aus dem Wesen aller Parteimäßigkeit heraus eine weit größere Anzahl von Anstalten erfordern als die überparteiliche, und diese vielen, nach dem Proporz zu errechnenden Anstalten würden in ihrer Mehrzahl wenig leistungsfähig sein müssen!

Und eine solche uneinheitliche, nach vereinzelten, unzuständigen, außerösterreichischen Mustern aufgespaltene, überdies unvermeidlich aus politischen Gründen einander konkurrierende Volksbildung dürfte zudem weit mehr Geldaufwendungen erfordern, als sich unser armes Österreich leisten kann. Wenn die österreichische Volksbildung endlich einmal, und es wäre hoch an der Zeit, in das ordentliche Staatsbudget aufgenommen wird, dann ist es nicht nur recht und billig, sondern auch aus ökonomischen Gründen ratsam, daß die aus der Budgetierung fließenden Zuwendungen der öffentlichen Hand einer einheitlichen, überparteilichen und überkonfessionellen Volksbildung zugute kommen.

Diejenigen, die Überparteilichkeit und Überkonfessionalität der Volksbildung austilgen, die Volksbildungsarbeit auf weltanschaulich gebundene Unterweisungen einschrumpfen lassen wollen, begeben sich damit nicht nur auf den bedenklich undemokratischen Weg autoritativ typisierter und normierter Weltanschauungsbildung, sondern sie betreiben auch mit der raschen Zerrüttung die mähliche qualitative Verrottung der volksbildnerischen Bestrebungen; überdies erwecken sie den Anschein, als ob sie zur Überzeugungskraft der aus den Mitteln der Anhänger erhaltenen, weltanschaulich gebundenen Parteibildung ihrer eigenen Richtung nur wenig, gewiß allzuwenig Vertrauen hätten.

[S. 3] So ist die Überparteilichkeit und Überkonfessionalität der Volksbildung nicht allein ein demokratisches Kulturerfordernis, sondern auch eine ökonomische Forderung: Die Reste des Totenmahles könnten die neuen Hochzeitsschüsseln nicht füllen! Die freie, die überparteiliche und überkonfessionelle Volksbildung ist frei von der Belastung hamletischer Unentschlossenheit, die sich in ungetaner Tat erschöpft. Die freie Volksbildung, die einst weltweit rühmlich bekannte, neutrale österreichische Volksbildung, hat schon im fünften Jahre nach ihrer Wiedererrichtung trotz stets unzureichender Hilfen das Vertrauen breiter Massen neuerdings erworben, steigende Frequenzzahlen beweisen es. Sie hat nicht die geringste Veranlassung, den zuverlässigen Boden erprobter Neutralität zu verlassen, sie ist unerschütterlich überzeugt, auf dieser Feste mit größtmöglicher Sicherheit weiter zu bauen. Die dringenden Aufgaben der Zeit, Reformen der volksbildnerischen Methodik, die Art einer engeren, fruchtbaren Beziehungsgestaltung zur freien wissenschaftlichen Forschung wird ausschließlich eine freie Volksbildung mit Erfolg angehen und lösen können.

Farbige Propagandalichter sind unentbehrlich und jedes hat seinen eigenen Reiz und Sinn, aber wer wollte mit ihnen allein die Durchhellung öffentlicher Passagen bestreiten! Wir brauchen eben eine – neutrale Straßenbeleuchtung!

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