Zur Verteidigung der öffentlichen Bildung

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Author/Authoress:

Raewyn Connell

Title: Zur Verteidigung der öffentlichen Bildung
Year: 2011
Source:

verfasst für die Knowledgebase Erwachsenenbildung im Oktober 2011.

Subject descriptor: Bildungsbedarf / Bildungspolitik / Genderforschung
Abstract:

Dieser Beitrag handelt vom Konzept der öffentlichen Bildung und warum diese für Australien im 21. Jahrhundert unerlässlich ist. Öffentliche Bildung basiert auf drei Prinzipien: Einbindung, Gleichheit und Optimismus.

Einbindung

Im 19. Jahrhundert sprachen die Begründer und Begründerinnen von öffentlichen Schulen von einer “Bildung für alle“. Zu einer Zeit, als die Oberschicht das gemeine Volk kaum höher als Tiere einstufte, handelte es sich hierbei um ein radikales Konzept. Und das ist es auch heute noch. In einem einbindenden System werden Leute weder ausgeschlossen noch ins Abseits gedrängt.

Dem zugrunde liegt das ethische Prinzip der gegenseitigen Verantwortung. Durch das öffentliche System teile ich die Verantwortung deinem Kind gegenüber und du teilst die Verantwortung meinem Kind gegenüber. Wir teilen, weil wir ein kollektives Interesse haben. Je besser die Bildung für dein Kind ist, desto größer ist der Nutzen für mein Kind und für die ganze Gesellschaft. Alle, die schon einmal eine Klasse unterrichtet haben, wissen, dass es sich hier auch um ein pädagogisches Prinzip handelt. Im Großen und Ganzen gilt: Je besser ein Schüler oder eine Schülerin lernt, desto besser werden die anderen Schüler und Schülerinnen lernen.

In einem öffentlichen Bildungssystem verkörpern die Bildungsinstitutionen das Prinzip der gegenseitigen Verantwortung. Dies gilt sowohl für öffentliche Schulen und Akademien als auch für das dahinter stehende Verwaltungs- und Lehrendenausbildungssystem. Diese Institutionen sind niemals perfekt, aber notwendig für das Fortbestehen dieses ethischen Prinzips.

Einbindende Bildung hat auch eine andere Seite, die ich als Begegnung bezeichnen möchte. Da ein öffentliches Bildungssystem für alle etwas bietet, muss es die tiefliegende Vielfalt moderner Gesellschaften einbeziehen. Heutzutage sitzen in unseren Schulen Muslime neben Christen und Atheisten, Jungen neben Mädchen, Heterosexuelle neben Homosexuellen, Sportliche neben Behinderten, Einheimische neben Einwanderern – und das ist erst der Anfang. Zeitgemäße öffentliche Bildung setzt die soziale Vielfalt zugunsten der Bildung ein, anstatt sie als Hindernis oder Quelle der Angst wahrzunehmen. Sie entwirft Lernprozesse rund um die Begegnung zwischen verschiedenen Erfahrungen, Kulturen und Perspektiven.

Dies lässt sich schwer in einem einzigen Lehr- und Lernformat bewerkstelligen. Öffentliche Systeme schaffen nun Zentren, die eine Reihe von Lehr- und Lernaktivitäten in den unterschiedlichsten Formaten unterstützen. Hierbei kann es sich um herkömmliche Situationen in Klassenzimmern handeln, um elektronische Lernnetzwerke, berufliche Workshops und Labors oder um Programme auf Gemeinde-Ebene und so weiter. Im Bildungswesen brauchen wir eine reiche Vielfalt an Institutionen und öffentliche Systeme sind bestens dazu geeignet, diese Vielfalt zu erschaffen.

Gleichheit

Öffentliche Bildung basiert auf dem zugrundeliegenden Prinzip der Gleichheit, welches mehrere Dimensionen umfasst. Die erste Dimension ist Gerechtigkeit. Öffentliche Bildung verkörpert für die Gemeinschaft die Garantie, dass alle Kinder – unabhängig von Wohlstand, Rasse oder Herkunft – eine anständige Grundbildung und Zugang zu höherer Bildung erhalten. Ein einbindendes öffentliches System drückt daher im Bereich der Bildung das Konzept der Gleichberechtigung aus.

Die zweite Dimension ist gleicher Respekt. Die so genannte „gated community“, eine nach außen abgeschottete (Wohn-)gemeinschaft, ist bemüht, den Pöbel draußen zu halten; die öffentliche Bildung stellt in Abrede, dass es den Pöbel gibt. Öffentliche Schulen respektieren die enorme Vielfalt an Erfahrungen und Kulturen, die ihre Schüler und Schülerinnen täglich ins Klassenzimmer mitbringen. Das kann aufgrund der sozialen Spannungen und Ungleichheiten schwierig sein. Öffentliche Schulen befassen sich jedoch ständig mit diesen Themen - die meisten von ihnen mit einer gewissen Kompetenz und einige von ihnen mit überbordendem Erfolg.

Das Geben von gleichem Respekt bezieht auch den Lehrplan mit ein. Das australische Bildungssystem wird noch immer von einem veralteten, auf Wettbewerb ausgerichteten akademischen Lehrplan dominiert, der ein mächtiges Instrument zur Reproduktion von Privilegien darstellt. Ein monokultureller, sozial ausgrenzender Lehrplan, wie er an den australischen Schulen vorherrscht, ist nicht nur veraltet, er ist in einer Welt der globalen Vielfalt und der wachsenden globalen Interaktion schlichtweg dumm. Öffentliche Schulen, und hier speziell die Schulen in Victoria, sind führend in der Suche nach jenen Lehrplänen, welche die Erfahrungen und Ressourcen der unterschiedlichen sozialen Gruppen besser einbinden und zu schätzen wissen. Australien schuldet ihnen einiges dafür, da es sich hier um jene Strategie handelt, die uns in der Welt des 21. Jahrhunderts dazugehören lässt.

Die dritte Dimension der öffentlichen Bildung verkörpert das Prinzip der gleichen Versorgung. Unsere Vorfahren aus der Kolonialzeit bauten hübsche öffentliche Schulen - wahre Bildungstempel - in den Vororten der Arbeiterklasse, in entlegenen Städten am Land und in den Vororten der Mittelklasse. Für die Kinder der Aborigines oder Chinesen taten sie dies jedoch nicht, und Australien kämpft noch heute gegen Rassismus. Deshalb ist das Prinzip der gleichen Versorgung weiterhin von Bedeutung. Es bedeutet, dass der größten Randgruppe mit den meisten Problemen Bildung geboten wird, und zwar auf so großzügige Art und Weise, wie wir sie sonst den höchst respektierten und „talentiertesten“ Gruppen zuteil werden lassen.

Ein gleiches Angebot zur Verfügung zu stellen bedeutete im historischen Kontext die staatliche Unterstützung des Bildungswesens und auch nach heutigen Gegebenheiten gibt es keine andere Form der Realisierung. Steuereinnahmen sind der einzige Weg, um eine ausreichende Zahl an Lehrern und Lehrerinnen finanzieren zu können, während die Einkommensunterschiede auf dem Markt (wenn auch nicht zu 100%) ausgeglichen werden.

Optimismus

Indem wir uns gegenseitig und unseren jeweiligen Kindern beim Lernen helfen, bauen wir gemeinsam eine Gesellschaft und Kultur auf. In diesem Sinne verkörpert der Einsatz für den öffentlichen Bereich eine Sichtweise auf Bildung, die größtenteils auf Hoffnung und nicht auf Angst basiert.

Aus großem Blickwinkel heraus betrachtet, ist Bildung dort, wo Kultur wächst. Im Moment der Übertragung zwischen Generationen wird unsere Kultur auf die Probe gestellt und verändert. Die öffentliche Bildung geht davon aus, dass wir konstruktive und bereichernde Veränderungen wollen. Durch Kommunikation über die Vielfalt hinweg können wir Institutionen erschaffen, die gemeinsame Interessen verfolgen. In diesem sehr fundamentalen Ansatz drückt öffentliche Bildung den Gedanken der Demokratie in der Bildung aus – da Demokratie (im eigentlichen Sinn) die konstruktive Macht in den Händen der Menschen in ihrer Gesamtheit bedeutet.

Für alle Altersstufen gibt es demokratische Lehrmethoden, die die Einbindung der Schüler und Schülerinnen, die Interaktion zwischen Schülern und Schülerinnen und Lehrern und Lehrerinnen sowie die geteilte Autorität in Lernprozessen maximieren. Dieses Prinzip sollte dem Lehren und Lernen in einem öffentlichen Bildungssystem zugrunde liegen. Grundsätzlich bedeutet dies, dass wir den Lernenden vertrauen. Wir sind nicht der Ansicht, dass Lernende durch endlose Tests, Belohnungen und Strafen vorangepeitscht werden müssen. Wir sind auf der Suche nach Freude am Lernen, nach Relevanz im Lernen.

Ein öffentliches Bildungssystem sieht Lehrende nicht bloß als Angestellte, sondern auch als Bürger und Bürgerinnen, die eine bestimmte Verantwortung im Namen anderer Bürger und Bürgerinnen tragen. Öffentliche Bildung verlangt auf fundamentaler Ebene auch, dass wir den Lehrenden vertrauen. Wir zollen den Lehrenden jenen Respekt, den sie als Experten und Expertinnen verdienen. Wir stellen ihnen jene Werkzeuge zur Verfügung, die sie zur Ausübung ihres Berufs benötigen. Wir unterstützen die Erneuerung ihrer Berufskultur, indem Verbindungen zwischen den Schulen geschaffen, Methoden und Erfahrungen ausgetauscht und ein Gefühl des Stolzes für den Beruf entwickelt werden.

Schlussfolgerung

Trotz all der Privatisierungspropaganda besteht weiterhin ein beeindruckendes Maß an öffentlicher Unterstützung für die öffentliche Bildung. Wir sollten die einzigartigen Stärken des öffentlichen Bildungssystems anerkennen, zelebrieren und experimentierfreudig mit ihnen umgehen. Öffentliche Bildung ist ein gewaltiger gesellschaftlicher Vermögenswert – selbst jene Menschen, die aus der öffentlichen Bildung aussteigen, profitieren von ihr. Nur durch die Weiterentwicklung des öffentlichen Systems kann das Bildungswesen Australiens den Interessen des australischen Volkes in seiner Gesamtheit gerecht werden.

(übersetzt von: Andrea Kraus http://www.kraus-translation.at/)

Porträit Raewyn Connell

Raewyn Connell (geboren 1944) ist Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität von Sydney. Sie ist eine der bedeutendsten Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet der kritischen Männerforschung.
Raewyn Connel hielt im Oktober 2011 eine Vorlesung zum Thema >Gender Theory on a World Scale< in Wien. Die Vorlesung wurde organisiert vom Referat Genderstudies - Universität Wien, Verband Österreichischer Volkshochschulen und IWK (Institut für Wissenschaft und Kunst).
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