Widerstand gegen Bildung. A Stupid Attitude?

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Author/Authoress:

Vater, Stefan

Title: Widerstand gegen Bildung. A Stupid Attitude?
Year: 2005
Source:

Vortrag bei den 48. Salzburger Gesprächen für Leiterinnen und Leiter in der Erwachsenenbildung des Verbands Österreichsicher Volkshochschulen

Subject descriptor: Bildungsbedarf / Bildungspolitik / Bildungstheorie / Drop Out / Elitenbildung / Lebenslanges Lernen / Randgruppen
Abstract:

Der erste Teil des Beitrags versucht (ausgehend von einer Mischung aus diskursanalytischen Forschungsergebnissen und Neoliberalismusanalysen) die Realität aktueller bildungspolitischer Diskurse aufzuzeigen. Lebenslanges-Lernen-Begrifflichkeiten sind heute Teil neoliberaler diskursiver Formationen. Im zweiten Teil wird die Frage nach Widerstand gegen Bildung aufgegriffen und anhand unterschiedlicher Forschungsergebnisse päzisiert.

Vorwort zum 1. Teil

Im ersten Teil meines Beitrags möchte ich versuchen (ausgehend von einer Mischung aus dis-kursanalytischen Forschungsergebnissen und Neoliberalismusanalysen) die Realität aktueller bildungspolitischer Diskurse aufzuzeigen.

1. Lebenslanges Lernen und die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts

„Situative Anforderungen, anthropologische Voraussetzungen und bildungspolitische Grundpositi-onen, von denen dieses Gutachten ausgeht. Wir stehen in einer dramatischen Umbruch und Herausforderungssituation

• Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen Wasser, Boden, Luft, Klima, Nahrung und Überschreiten ökologischer Wachstumsgrenzen,

• globaler Effizienzwettbewerb und Wegrationalisierung von menschlicher Arbeit,

• Gefährdung des bisherigen Lohnniveaus und Lebensstandards,

• demographische Überalterung und Krise des Rentensystems,

• Schuldenkrise der öffentlichen Haushalte und Lähmung der politischen Gestaltungs-möglichkeiten,

• Grenzen der Finanzierbarkeit des sozialen Systems und des sozialen Friedens,

• wirtschaftliche und mentale Überforderung durch permanenten Zustrom von ´Wohlstandsflüchtlingen´,

• zunehmende Verdrängung gemeinwesenbezogener Werteorientierung durch ökonomi-schen Egoismus,

• wachsende Korruption, Gewalt, Kriminalität

und

• Eindringen von Mafiastrukturen in Wirtschaft, Sport, Medien und Politik,

• vor allem aber eine stabilitätsgefährdende strukturelle Arbeitslosigkeit,

das alles ergibt eine brisante Zusammenballung von Herausforderungen, die offensichtlich mit traditionellen Mitteln und in den bestehenden regelungsbürokratischen, besitzstands verfestigten gesellschaftlichen Strukturen nicht mehr in den Griff zu kriegen sind. Ergebnis: Ratlosigkeit, halbherzige Beschwichtigungs und kosmetische Retouchierungsversuche, Innovationsunfähigkeit und Resignation in manchen Führungsetagen aber auch zunehmende Grassroot Ansätze zur Entwicklung neuer Ideen und Wege, unkonventioneller Alternativen innovativer Lösungsansätze und ´revolutionärer´ Reform Perspektiven. Die akute schwierige Umbruchsituation fordert zu einer umfassenden Mobilisierung aller Kompe-tenzen und kreativen Problemlösungspotentiale in der gesamten Bevölkerung heraus.“ (Dohmen 1996, 1f.)

Ich möchte Sie bitten Ihre Aufmerksamkeit auf den Stil und die Inhalte dieser Einleitung zu einer Publikation über Lebenslanges Lernen zu richten. Ein Katastrophenszenario folgt auf das andere, düster ausgemalt. Die Bedrohungen reichen von der Naturkatastrophe, die ja rational durchdacht noch eine gewisse Berechtigung haben mag, bis hin zur mehr oder weniger an neokonservative Law-and-Order Diskurse anschließende Bedrohungen durch Mafiastrukturen, die in alle Lebensbereiche, sogar in den Sport einsickern.

Lerne, lerne, lerne! Ein umfassendes Bedrohungsszenario!

Lebenslanges Lernen wird bei Dohmen, aber auch in vielen anderen Papieren zu lebenslangem Lernen, gerechtfertigt oder begründet durch ein umfassendes Bedrohungsszenario, dem der oder die Einzelne gegenübersteht und dessen Lösung einem unspezifizierten „Wir“ überantwortet wird, einem „Wir“ als Ansammlung selbstverantwortlicher Einzelner.

Der nationale Schulterschluss als ideologische Rettung in Lebenslanges Lernen- Memoranden, Stellungnahmen etc.

„Die akute schwierige Umbruchsituation fordert zu einer umfassenden Mobilisierung aller Kompe-tenzen und kreativen Problemlösungspotentiale in der gesamten Bevölkerung heraus“ (Dohmen 1996, 2).

Es bedarf der nationalen Anstrengung, einer nationalen Bildungsoffensive sozusagen, die Regierungen übernehmen das Wort, in Papieren, Tagungen, Forderungen etc. und sparen auf der anderen Seite auch im Bildungsbereich aufgrund des Diktats „leerer Kassen“ kräftig ein. Die Kosten teilen sich für den Bereich der Weiterbildung - glaubt man verschiedenen Finanzierungsanalysen im Bereich des Lebenslangen Lernens - die Einzelnen und die Unternehmen (vgl. Lassnig 2000). Die Inhalte definieren die Unternehmen. Alle müssen sich anstrengen um die gemeinsamen Ziele zu erreichen: Aber gibt es diese universellen, das heißt für alle gültigen, nationalen Ziele und Anforderungen und gibt es universelle Bildungsbedürfnisse und Bildungskulturen?

Europäische Gesellschaften im 21. Jahrhundert

Nun, es ist nicht von der Hand zu weisen, europäische Gesellschaften haben sich in den letzten Jahrzehnten unter verschiedenen Aspekten verändert:

• Abbau von Sozialstaats- und Solidaritätsstrukturen

• Verdichtung der Arbeit (Extensivierung, Intensivierung, Flexibilisierung)

• Prekarisierung

• Normierung der Arbeitsplätze (Computerisierung)

• „Domestication“ der Arbeit – Einbruch in den Raum des Privaten (Teleworking etc.)

• Veränderung der Produkte und der Arbeit („immaterielle Arbeit“ – Arbeit an Ideen, Dienstleistungen etc.) bei gleichzeitiger Erosion politischer Öffentlichkeit .

Damit verbunden ist die These, die Arbeitsgesellschaft des 20. Jahrhunderts, die sich ungefähr mit Beginn der 80er Jahre von der fordistischen Produktion der 70er mehr und mehr in eine postfor-distische, zunehmend dezentralisierte Produktionsform verwandelte, sei verschwunden und habe einer Wissensgesellschaft Platz gemacht (vgl. kritisch Kübler 2005).

„Die heutige Gesellschaft ist einem ständigen Wandel, einer schnellen Evolution des Wissens un-terworfen, und mit ihr die Menschen, die Teil dieser Gesellschaft sind. Dieser Wandel verläuft schneller als je zuvor, mit einer riesigen Spannweite und erstaunlicher Unvorhersagbarkeit. Der Mensch der Wissensgesellschaft muss sich also immer weiter bilden, vorhandenes Wissen wird immer schneller obsolet(...). Der Prozess des lebenslangen Lernens erfordert vom heutigen Menschen ganz besondere mentale Fähigkeiten und Charaktereigenschaften. Fachwissen ist zwar wichtig; entscheidend aber ist die Fähigkeit und Bereitschaft, dieses Fachwissen auch effektiv und kreativ in kooperativen Arbeits-prozessen anzuwenden. Nur wer über Eigenschaften wie Optimismus, positives Denken, Offenheit gegenüber dem Neuen, Kommunikationsfähigkeit und persönliche Handlungskontrolle verfügt, wird sich in der heutigen Wissensgesellschaft dauerhaft gut positionieren können“ (Jendryschik 2005).

Wissensgesellschaften seien vor allem charakterisiert durch die Wichtigkeit des Produktionsfaktors „gebildete Arbeitskraft“ und die dauerhafte, selbstverantwortete Notwendigkeit für die Arbeitskraft die eigenen Kompetenzen „jobfit“ zu erhalten, um sich auf dem Arbeitsmarkt bestmöglich verkaufen zu können. Verkauft wird die eigene Arbeitskraft, aber es geht nicht mehr rein um die fachspezifische Kompetenz: optimistisch, positiv denkend etc. muss das Humankapital von heute sein. In feministischer, soziologischer Theorie wird in diesem Zusammenhang von „affektiver Arbeit“ (vgl. Hardt 2005) gesprochen. Affektive Arbeit oder affektive Bildungsarbeit meint die Notwendigkeit, auch die eige-nen Gefühle zu verkaufen oder zu „bilden“, um eben jung, dynamisch, fit, freundlich und glücklich auch der unangenehmsten Arbeitsanforderung gegenüberzutreten. Die Verantwortung für die „Nachgefragtheit“ am Arbeitsmarkt wird gleichzeitig mehr und mehr individualisiert. Die Individuen tragen die Verantwortung für ihre durch Bildung ständig upgedatete Arbeitskraft (Scheinselbständige, ICH-AG, Knowledge-Worker).

In der Wissensgesellschaft ist der Zugang zu Bildung als mythische Deklaration frei. Damit meine ich: es wird behauptet, jeder(!) habe freien Zugang zu Bildung, gleichzeitig wird Bildung mehr Pflicht als Recht. Dem steht die empirische nachweisbare Tatsache einer zunehmenden Verstärkung von Bildungsungleichheit durch ungleiche Zugangschancen oder Beteiligungsraten gegenüber (vgl. Bayer 2002, S.262). Eine Hauptstrategie gegen ungleiche Zugangschancen in lebenslangen Lernen-Papieren (vgl. bm:bwk 2001, S.29ff) ist die Verstärkung und Verbesserung der Bildungsberatung und Bildungsinformation – beispielsweise im aktuellen Strategiepapier lebenslanges Lernen des österreichischen Bildungsministeriums (BMBWK): Motivation verbessern, Bewusstsein schaffen, informieren, beraten. Fraglich bleibt, ob Information die kaum vorhandenen Zugangschancen bestimmter Gesell-schaftsgruppen verbessert, oder wen die Information erreicht. Weiters lautet die – zwar statistisch zutreffende – These: Bildung erhöhe die Chancen auf einen Arbeitsplatz. Für die Einzelnen ist diese Hoffnung angesichts steigender Arbeitslosenzahlen bes-tenfalls eine illusionäre Hoffnung schlechtestenfalls neokonservativer Zynismus, vor allem dann, wenn sich viele Menschen weiterbilden.

Sergio Bologna, ein italienischer Theoretiker der Arbeit und Soziologe sprach anlässlich einer Ta-gung der Wiener Arbeiterkammer über Veränderungen auf den europäischen Arbeitsmärkten und erwähnte in der Analyse deutscher und amerikanischer Arbeitsplatzstatistiken einen wesentlichen Aspekt: gesucht werden vor allem niedrig qualifizierte und billige Arbeitskräfte.

Reflexivität als Lebensform

In der Grundbotschaft 4 (Innovation in den Lehr- und Lernmethoden) des Memorandums Lebens-langes Lernen (vgl. Kommission 2001) wird eine reflexive Lernfähigkeit als adäquate Lebensform in Wissensgesellschaften vorausgesetzt. Die Menschen sollen sich ihre Lernprozesse selbst organisieren.

„Um Lernbereitschaft und Lernmotivation zu sichern, müssen Bürgerinnen und Bürger jedoch auch dazu ermuntert werden, mehr Verantwortung für ihre Weiterbildung zu übernehmen. Neben einer breiten Grundbildung werden daher in zunehmendem Maße die Fähigkeit zur kritischen Reflexion des eigenen Bildungsbedarfs und zur Selbststeuerung von Lernprozessen notwendig, da die Wissensgesellschaft die Fähigkeit zur eigenständigen Informationsbeschaffung sowie zur eigenständigen Informationsselektion bzw. –strukturierung voraussetzt“. (vgl. bm:bwk 2001, S.11)

„Insgesamt gilt es jedoch zu beachten, dass mittel- und langfristig in den Bildungssystemen eine Schwerpunktverschiebung von der Wissens- zur Kompetenzvermittlung erfolgen muss. Insbesondere ist dabei dem Ausbau der Ich-Kompetenzen (wie z.B. lebenslanges Lernen, Reflexions- und Kritikfähigkeit, Manipulationsresistenz und Eigenständigkeit),..... Rechnung zu tragen“. (vgl. Bm:bwk 2001, 12)

Mit Forneck (vgl. Forneck 2005) formuliert kann dieses Konzept als mittelschichtorientiert charakte-risiert werden. Die Erfolge des selbstgesteuerten Lernens als eine Forderung reflexiver Lernfähigkeit sind deutlich sozial segmentiert (vgl. Six 1989). Wenn Selbstlernfähigkeiten aber nur bedingt vorausgesetzt werden können, dann hat dies Konsequenzen bezüglich der stratifikatorischen oder einfacher formuliert Ungleichheit schaffenden Effekte von Lernkonzepten im Rahmen des Lebens-langen Lernens und bezüglich der darin universell geforderten Lernkultur.

Der stärkste Wirtschaftsraum

Ich erspare Ihnen historische Ausführungen zur Entwicklung des Begriffes Lebenslanges Lernen aus einer emanzipatorischen Kritik der Verschulung hin zu einer für die Sicherung des Wirtschafts-standortes notwendigen Anpassung des Humankapitals. Erhalten blieben in den aktuellen Papieren vage und etwas schal klingende Anklänge an emanzipatorische Terminologie der 70er. Diskursanalytische explorative Analysen von Lebenslanges Lernen-Papieren und Konzepten, die von Studierenden der Linzer Kepler Universität durchgeführt wurden, ergaben ein erdrückendes Übergewicht von (vgl. theoretisch und methodisch: Vater 2003):

• Fremdbestimmtheit

• eingeschränkter kurzfristiger Nutzenorientierung

• Glaube an die unsichtbare Hand des Marktes

• Übergewicht ökonomischer Begriffe: Wirtschaftsraum, Employability, Jobreadiness, Standortsi-cherung, Effizienz, Verwertbarkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Bildung als Dienstleistung, Unter-nehmergeist/Entrepreneurship,....

• Pflicht zur Bildung (ohne Beachtung des gesellschaftlichen Kontextes: Reallöhne sinken, Arbeitszeiten steigen, Bildungskosten steigen,.....)

Die Hegemonie neoliberaler Strategien und die Dominanz betriebswirtschaftlicher Logiken.

Die Währung, in der politisch gedacht und argumentiert wird, hat sich verändert, meint Stuart Hall (vgl. Hall 1988, vgl. Larner 2000) in seiner Analyse der Veränderungen der Ära Thatcher, die er als neoliberale Wende charakterisiert.

„Wo vorher soziale Bedürfnisse ihre eigenen Ansprüche gegenüber den Gesetzen des Marktes geltend machen konnten, bestimmen jetzt Themen wie „Leistung, die ihr Geld wert ist“, das Recht, über privates Vermögen nach eigenem Gutdünken zu verfügen, und die Gleichsetzung von „Freiheit“ und „freiem Markt“ nicht nur die politischen Auseinandersetzungen im Parlament, in der Presse, den Zeitschriften und Politikkreisen, sondern auch das alltägliche Denken und Handeln (im Büro, Restaurant, an der Supermarktkasse). Es hat ein bemerkenswerter Wertewandel stattgefunden: die Aura, die alles, was mit „staatlicher Wohlfahrt“ zu tun hatte, umgab, haftet jetzt allem „Privaten“ oder Privatisierbarem an.“ (Hall 1988, S.180)

Die Ära Thatcher bedeutete auch für Großbritanniens Bildungsbereich eine Zeit der Einschnitte und Kürzungen. Im Vergleich der politischen Strategien – mit all ihren unterschiedlichen Ausprägungen – sind diese mit aktuellen politischen Strategien in Mitteleuropa durchaus vergleichbar. Es geht in neoliberalen politischen Strategien darum die „Anziehungskraft des Sozialstaates“ wei-ter aufzubrechen und einen alternativen (=neuen) hegemonialen, ideologischen Block (Gramsci), charakterisiert durch neo-liberale, marktwirtschaftliche und besitzindividualistische Züge, zu stärken und dominant für viele Lebensbereiche werden zu lassen. „Ideologischer Block“ ist ein etwas sperriger, durchaus nützlicher Begriff Antonio Gramscis für übereinstimmendes Denken, Wollen, Wünschen und politisches Agieren -im weitesten Sinne- einer Gruppe von Menschen.

Einige Charakteristika neoliberaler Politik

Politik als Krisenmanagement

Die Palette reicht vom Slogan „Speed kills“ der österreichischen konservativen Bundesregierung (bezogen auf mögliche andere Auffassungen oder möglichen Widerstand) bis zur bereits angedeu-teten Rettungsfunktion im Katastropheneinsatz. Brian Massumi beschreibt die Entdemokratisie-rung und negative Isolierung von Individuen durch die strategische Erzeugung von Angst (Überalterung, Schuldenfalle, Ausländerflut, etc.) und Paranoia in „The Politics of Everyday Fear“ (vgl. Massumi 1993).

„Der Mensch ist des eigenen Glückes Schmied“

Im Falle des Scheiterns an Lernanforderungen: Hätten Sie doch mehr gelernt oder vielleicht sind sie faul, dumm oder ..... Pierre Bourdieu beschreibt (vgl. Bourdieu 2001) die Funktion von Bildungseinrichtungen als Indivi-dualisierung der Verantwortung von Selektion und Ausschluss und er beschreibt Bildungsinstitutio-nen als dominiert von einer Bildungskultur in der Scheitern als selbstverantwortet gilt und wo Scheitern in diesem Sinn Brüche in Bildungsbiografien aufreißt.

Marktmechanismen als universelle Problemlöser

Es scheint zunehmend notwendig alles nach Marktmechanismen zu optimieren, selbst Dinge die vor einigen Jahren noch außerhalb jeglicher Diskussion standen. Und auch Einschränkungen des Marktprinzips innerhalb mikroökonomischer Logik, wie das dem Marktprinzip eigene Versagen von Märkten (beispielsweise aufgrund verzerrter Präferenzen), kom-men nur äußerst selten ins diskursive Spiel.

Knappheit

Alles ist immer knapp und defizitär und das heißt weiter, es können nie alle Wünsche erfüllt wer-den, die konkrete Verteilung wird über den Markt geregelt. Und Geiz wird durchaus zur positiven Eigenschaft.

Abbau von Demokratie zugunsten von Expertenurteilen(!)

Auch die Zeit ist knapp und je weniger nicht-fachkundige, berechenbare und einmütige Menschen in guten Positionen, also Experten (Männer!), entscheiden desto schneller geht es. Und je einfacher diese bestellt werden am besten ohne Wahlen desto schneller.

Partikularinteressen werden verallgemeinert

Damit ist nicht Konsensfindung gemeint, diese ist demokratisch wichtig. Die angesprochene Ver-allgemeinerung meint die Arbeit an der Dominanz von Partikularinteressen auf Dauer und auf vie-len sozialen Ebenen.

Kurzfristiges Nutzendenken

Privatisierung

Neoliberalismus ist unmittelbar verbunden mit Enteignung öffentlicher Güter. Und das lateinische privare (Wortstamm) bedeutet nicht zufällig: „berauben“.

Kurzfristige Profitorientierung mit mangelnden Nachhaltigkeitsüberlegungen

Vorwort zum 2. Teil

Im ersten Teil meines Beitrags habe ich, wie gesagt, versucht ausgehend von einer Mischung von diskursanalytischen Forschungsergebnissen und Neoliberalismusanalysen die Realität aktueller bildungspolitischer Diskurse aufzuzeigen. Lebenslanges-Lernen-Begrifflichkeiten sind heute, wenn sie meiner Analyse folgen wollen, Teil neoliberaler diskursiver Formationen.

2. Widerstand gegen Bildung – a stupid attitude?

Rahmenbedingungen / Wer partizipiert?

Es gibt viele Faktoren, die eine Bildungsbeteiligung beeinflussen und diese Faktoren lassen sich nur wenig mit Appellen und Drohungen verändern. Nicht-Beteiligung kann aber auch nicht unbe-dingt als Widerstandsphänomen gefasst werden. Beteiligung ist abhängig von Rahmenbedingungen (vgl. Holzer 2004, 168f.), die für potentielle TeilnehmerInnen prinzipiell die „Entscheidungs“grundlage abgeben, also von:

  • Geschlecht
  • Unterstützungen (finanziell, sozial, etc.)
  • Zeitressourcen
  • Gesundheit
  • Prekarisierung, Jobgefährdung, Arbeitsmarktsituation, beruflicher Situation
  • Wohnort, regionalen Strukturen
  • biografischer Situation
  • sozialem Milieu, Elternhaus
  • Bildungskultur, Vorbildung, Bildungsniveau
  • Sprache, ethnischer Herkunft
  • Status
  • Bildungserfahrungen
  • Alter
  • familialer Situation
  • Kosten
  • Kurszeiten
  • Kursorten
  • Informationsmangel
  • Ängsten
  • Werthaltungen
  • Sinn und Sinnlosigkeit

Allgemeiner formuliert sind die strategischen Dispositive (d.h. die diskursanalytische gesellschaftli-che Gesamtordnung, innerhalb derer verschiedene Interessen konkurrieren) wesentlich, die forma-len oder informalen Hürden, Inklusion und Exklusion, Wohlstandsveränderungen, Stärke/Rigidität der sozialen Reproduktion einer Gesellschaft. Widerstand gegen Bildung ist aber nicht die schlichte Verhinderung einer Teilnahme aus einem der oben genannten Gründe, Widerstand setzt eine individuelle oder kollektive Regelmäßigkeit und Gerichtetheit oder Bewusstheit voraus. Weiters können von der Nichtteilnahme bis zur widerstän-digen Teilnahme (Wegschlafen bis Stören) die verschiedensten Phänomene unterschieden wer-den.

Das Unbehagen „soviel Blödsinn lernen zu müssen“

Ich weiß nicht, ob Ihnen Geschichten einfielen, die Widerständigkeit – ob positiv oder negativ gedacht – erzählten.

Ich denke an viele subtile Strategien meiner Bildungspraxis um Missfallen oder Langeweile auszu-drücken und vor allem erinnere ich mich an ein ungutes Gefühl: „soviel Blödsinn lernen zu müs-sen“, also Dinge lernen zu müssen, deren Irrelevanz von Anfang an völlig klar war und wo nach erreichtem Zertifikat oder Abschluss die Arbeit bewussten Vergessens beginnen muss.

Ein etwas ausgearbeiteteres Beispiel ist die Studie von Paul Willis aus dem Jahr 1977 (Willis 1982) in der er Widerstandsstrategien von ArbeiterInnenschichtjungen in einer englischen Schule beobachtet und beschreibt. In aller Kürze: die Jungen sind in den Beschreibungen ihres Widerstandsverhaltens teils witzig, schlau, selbstbestimmt lernend, sexistisch, rassistisch, brutal, unfair, solidarisch, aktiv.... Ihr Widerstand führt zu verschiedenen Dingen: Zum Gefühl sich selbst entschieden zu haben, zum Ausscheiden spätestens nach der Pflichtschulzeit und zu besseren Chancen im Schwerarbeitsbereich. Bessere Chancen durch ein spezifisches Widerstandsverhalten und eine spezifische Alltagskultur, die für den bildungsstatistisch erwartbaren Verbleib im Schwerarbeitsbereich die nützlicheren Kompetenzen vermitteln. Eine bunte Mischung.

Wesentlich erscheint mir zweierlei: der Bildungswiderstand ist verbunden mit Lernerfahrungen - „etwas wirklich Wichtiges lernen“ und er führt zum zumindest praktisch auch selbstverantworteten Ausscheiden.

Weitere Beispiele finden sich bei Axmacher an Beispielen von in Zünften organisierten Handwerkern deren Auffassungen von Wissen, vom Erwerb von Wissen und von dessen Weitergabe nicht mit den entstehenden neuen Bildungskulturen der beginnenden Industrialisierung vereinbar waren. (vgl. Axmacher 1990, S. 63ff)

Wissen ist Macht? Widerstand gegen Bildung?

Ich glaube wir liegen falsch, wenn wir es uns so einfach machten wie ein Kritiker von Paul Willis und seiner Studie mit jungen Männern aus einem noch recht klassischen Arbeitermilieu. Partington hält als Kritik fest, es sei eine Erhöhung der rückständigsten und ignorantesten Gruppen innerhalb der gesamten Bevölkerung zu heroischen Staturen: die Schulschwänzer, die Schulvandalen und Eltern, die sich aus anderen als religiösen Gründen weigern, ihre Kinder auf die Schule zu schicken. (vgl. Axmacher 1990, 28)

Aber macht lernen und Wissen prinzipiell jeden und jede mächtig? Dazu ein Beispiel von Marx, seine Kritik an den MaschinenstürmerInnen – er forderte die Trennung eines Widerstandes gegen Herrschaft oder gegen eine spezifische Gesellschaftsformation vom Wissen, das anhand eines strikten Fortschrittsdenkens, neutral ist und erlernt werden muss, um den Fortschritt kontrollieren zu können. Eine Fehlannahme: Wissen ist immer umkämpft und mit Wissenskulturen genauso verknüpft wie mit spezifischen politischen/strategischen Rationalitäten und somit niemals neutral. Berufliche Wei-terbildung beispielsweise ist primär auf die Weitergabe von explizitem, wissenschaftlich-technischem Wissen ausgerichtet, deren Inhalte von Macht extrem geprägt sind. (vgl. Axmacher 1990, S. 217f) Es gibt gute Gründe gegen spezifische Wissensvorstellungen und Zielvorstellungen aufzutreten oder sie abzulehnen. Widerstand gegen Bildung ist hier die Abwehr enteigneter Wissensproduktion und eines neuen unkontrollierbaren Wissens. Wissen und Wissensinhalte sind umkämpft. Um ein historisches Beispiel zu erwähnen: Der Übergang vom ptolemäischen Wissenssystem, das die Erde und den Menschen ins Zentrum setzte zum kopernikanischen, heliozentrischen System war keineswegs friktionsfrei und frei von Vorwürfen der Irrationalität, aber auch von Forderungen natürliche Notwendigkeiten anzuerkennen. Praktisch funktioniert haben mehr oder weniger beide Systeme. (vgl. Koyre 1980) Was ist „Really Useful Knowledge“? Und vor allem, nützlich für wen? Lernen erfüllt oft eine andere weniger emanzipatorische Funktion als den Lernenden nützlich zu sein: Anpassungslernen ist lernen als eiliges Hetzen nach notwendigen Kompetenzen, das Lernen für den Wirtschaftsstandort auch ohne Job.

Wissen ist in unseren Gesellschaften nicht gleich verteilt, es ist auch nicht für alle gleichermaßen nützlich und die Institutionen und Lernpraxen verstärken diese Ungleichverteilung. Lernabstinenz wird im Kontext von Lebenslangem Lernen tatsächlich treffend charakterisiert als „Motivationsproblem“ verschiedener sozialer Gruppen, als Problem eines fehlenden Nutzens von Bildung oder einer negativ entschiedenen Nutzenabwägung.

In der aktuellen Situation einer zunehmend marktförmigen Organisation von Bildung wird Bildungs-Inaktivität angesichts der normativen Erwartung und postulierten Selbstverantwortung der Individu-en mehr und mehr zum Widerstandsphänomen. Märkte setzen aktive Individuen mit mehr oder weniger gleichen Chancen voraus, sie setzen kaufkräftige und kaufwillige KundInnen voraus. Bildungsmärkte unterscheiden sich in vielen Punkten von Bildungsinstitutionen wie Schulen. Schu-len sind abgeschlossene klar abgegrenzte Institutionen, Michel Foucault bezeichnet sie als Diszip-linarinstitutionen (vgl. Foucault 1998, vgl. Foucault 2002, 222ff.). Sie haben fixe Lehrpläne, klare Hierarchien und fixe Regeln sowie festgelegte Bestrafungen für Verfehlungen.

Der Zwang zur Weiterbildung, zusammengedacht mit der diffusen, historisch gewachsenen Struktur der Institutionen und der in meinem Referat umrissenen gesellschaftlichen Situation bezogen auf Bildungsanforderungen, ähnelt - mit ihren normativen und internalisierten Vorschriften und Selbstkontrollmechanismen - Kontrollgesellschaften (vgl. Deleuze 1993). Ich beziehe mich auf die postulierte Pflicht zur Weiterbildung, die der individuellen Selbstverantwortung obliegt. Die adäquate Widerstandsstrategie gegen unzumutbare Bedingungen kapitalistischer, marktförmiger Bil-dungsorganisation in diesen Kontrollgesellschaften ist die Flucht, der Rückzug. Zumal das mit den Lernforderungen des Lebenslangen Lernens verbundene Menschenbild von einer lebenslangen Unzureichendheit ausgeht und Anpassung von der Wiege bis zur Bahre fordert.

 

veröffentlicht in: Stefan Vater, Laura Rosinger, Eine Konferenz der anderen Art. 50 Jahre «Salzburger Gespräche» für Erwachsenenbildung, Frankfurt 2009.

Abbildung Cover "Eine Konferenz der anderen Art"

Bibliographie:

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bm:bwk (Hg.): Österreichischer Länderbericht. Memorandum über lebenslanges Lernen der Euro-päischen Kommission. Materialien zur Erwachsenenbildung Nr. 5 / 2001, Wien 2001.

Deleuze, Gilles: Postskript über die Kontrollgesellschaften, in: derselbe, Unterhandlungen 1972-1990, Frankfurt 1993, S. 254-261.

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