Warum medizinische Vorträge in der Volksbildung?

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Author/Authoress:

Rot, Anton

Title: Warum medizinische Vorträge in der Volksbildung?
Year: 1947
Source:

Mitteilungen des Volksbildungshauses Margareten, 1947, Nr. 10/11, S. 1-2.

[S. 1] Seit Jahren werden immer wieder medizinische Vorträge im Rahmen der Volksbildung gehalten, zum Teil von berufenen, zum Teil von unberufenen Vertretern der Medizin. Gleichzeitig damit ist die Diskussion darüber entbrannt, ob es denn überhaupt gut und zweckmäßig sei, medizinische Themen volksbildnerisch zu behandeln.

Ich glaube, daß man die Streitfrage mit einem eindeutigen Ja beantworten kann und muß, wenn man sieht, mit welchem Interesse und Aufmerksamkeit die Hörerschaft den Ausführungen medizinischer Vortragender folgt. Und dies ist nur zu verständlich. Wenn man bedenkt, daß das Wissen um die Vorgänge im Innern unseres Körpers heute bereits ein ungeheures ist, täglich und stündlich neue Erkenntnisse hinzukommen, wenn man andererseits sich vor Augen hält, daß den jungen Menschen in der Schule heute Erkenntnisse geboten werden, die vor Jahrtausenden nur Geistesbesitz einzelner besonders hochstehender Menschen waren, so können wir verstehen, daß es gerade die aufgeschlossenen strebsamen Menschen unserer Zeit interessieren wird und muß, auch etwas über die Funktion ihres eigenen Körpers zu erfahren. Jeder Knabe kennt heute technische Einzelheiten eines Motors, eines Flugzeuges, warum soll dem Erwachsenen nicht Einblick in unseren Körper geboten werden?

Wir müssen uns allerdings hüten, diese Vorträge so zu halten, als befänden wir uns in einem Hörsaal der Universität. [S. 2] Unsere Ausdrucksweise muß einfach und klar, allgemeinverständlich sein, weg mit komplizierten Fachausdrücken, der Sprachschatz der deutschen Sprache ist groß genug, um damit die kompliziertesten Dinge erklären zu können.

Wir wollen nicht ein medizinisches Laienpublikum heranbilden, der kranke Mensch gehört in ärztliche Behandlung. Aber es schadet nichts, wenn die Menschen von heute wissen und verstehen, wie ihr Organismus funktioniert und was die Ursache verschiedener Krankheiten ist. Um so eher wird der Betreffende bei Symptomen einer Krankheit den behandelnden Arzt aufsuchen, damit vielleicht aber viel Schaden für den Körper durch rechtzeitige Behandlung abgewendet werden.

Vielleicht tragen diese Vorträge aber auch dazu bei, daß der Mensch erkenne, welch kompliziertes Wesen er doch ist, vielleicht erziehen wir damit die Menschen von heute zu mehr Hochachtung vor dem menschlichen Organismus, jene selben Menschen, denen während vieler Jahre Totschlag, Mord und Tötung des Feindes als höchstes Ideal hingestellt und gepredigt wurde.

Wenn sich ihnen staunend die große und kleine Welt unseres Körpers darbietet, werden sie erkennen, daß man mit dem eigenen und dem Leben anderer nicht leichtfertig umgehen darf. Gleichzeitig aber mögen medizinische Vorträge in der Volksbildung dazu dienen, in der Welt der Götzenanbetung der Technik den Menschen immer wieder zu zeigen, daß die Natur bereits Jahrmillionen vor jeder Technik in einfacher und klarer Form Probleme gelöst hat, auch in bezug auf unseren Organismus, die uns mit höchstem Staunen erfüllen müssen.

 

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. In eckigen Klammern steht die Zahl der jeweiligen Seite des Originaltextes.)

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