Pflicht der Volksbildung

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Author/Authoress:

Metzler, Franz Gebhard

Title: Pflicht der Volksbildung
Year: 1932
Source:

40 Jahre Wissenschaftlicher Landesverein für Vorarlberg 1892-1932 (= Beilage zur „Vorarlberger Landes-Zeitung"), Bregenz 1932, S. 10-11.

Es gibt Rechte, die zugleich eine heilige Pflicht einschließen. Das gilt auch von der Volksbildung.

Es liegt dies in der Natur des menschlichen Geistes als einer nach Selbstvervollkommnung strebenden Kraft, sich weiterzubilden. Schon Plato erblickt in der Wissenschaft die moglichste [ sic!] Gottverähnlichung.

Vom Standpunkt der christlichen Weltanschauung bezweckt die Bildung jene Vervollkommnung der Seele, durch die das natürliche Menschenkind in das Gotteskind umgewandelt wird. Heiligkeit ist höchste Bildung.

Der Heiland selbst hat dies Ideal aufgestellt mit der Aufforderung, dass wir vollkommen seien, wie der Vater im Himmel vollkommen sei. Das Vollkommensein wie Gott liegt in der völligen Uebereinstimmung des menschlichen mit dem absolut vollkommenen Willen Gottes. Es gilt daher, die Züge des Gotteskindes aus der Seele des Menschen herauszuarbeiten, oft mit Hammer und Meißel, mit sittlichem Kampf und Aszese, um das spröde Material in die Form der Schönheit zu bringen. Dazu bedarf es aber eines Vorbildes, und das ist kein geringeres als Christus, der durch Wort und Beispiel uns gelehrt hat, wie wir Menschen im Sinn und Wandel schon auf Erden Gottes Wesen abspiegeln können.1

Jesus Christus ist daher das höchste Bildungsideal des Christentums und der Heiligen.

Die Nachahmung Jesu, der nach einem Worte Klugs den Menschen ein Transparent Gottes2 geworden, lehrt uns, die uns zugewiesene Stellung in der Welt kraftvoll zu bejahen und in geschlossener Lebensführung unsere gesamte Lebensaufgabe auf Gott zu beziehen.

Pflicht ist die Bildung aber auch im Hinblick auf die Kulturarbeit, die der Mensch im göttlichen Auftrage zu leisten hat.

Nur durch unablässiges Bemühen um Bildung wird der bereits errungene Kulturstand eines Volkes gewahrt werden. Eine alte Kultur, ein durch lange Generationen mühsam gewonnener Kulturgehalt kann nur dann durch Bildung und Erziehung erfolgreich übertragen werden, wenn der Nachwuchs in Fleiß und Ausdauer selbsttätig ist. Wenn der Heiland in seiner unvergleichlichen Bergpredigt vom Suchen nach dem Reiche Gottes spricht, dann liegt darin auch die Erfüllung der Bildungs- und Kulturpflicht enthalten, die Pflicht der geistigen Mitarbeit an den Kulturbestrebungen der Zeit.

Nicht umsonst kam beim ersten Pfingstfest die Kraft des Geistes auf uns herab und beschenkt uns mit den Gaben des Verstandes, des Rates, der Weisheit und der Wissenschaft. Welch ein Versäumnis, wollten wir sie nicht für uns auswerten!

Das ist ganz besonders ein Gebot der Stunde für die Katholiken, die im Dienst der katholischen Aktion arbeiten sollen. Müssen nicht gerade sie ein besonderes Interesse daran haben, dass die besten aus ihren Reihen als wahre Bildner und Führer des Volkes geschult werden?

Wenn wir wieder im Staats- und Wirtschaftsleben bessere Verhältnisse erreichen wollen, dann darf kein Raubbau [S. 10] mit Talent und Können getrieben werden. Wissen und Können ist Macht. Das soziale Gewissen wird verlangen, dass Aemter und Würden an den Befähigsten und Tüchtigsten bergeben werden.

Es war in den Jahren des Krieges so viel von einer kommenden deutschen Kultur die Rede. Daß der Katholizismus an dieser Erneuerung und an ihren Früchten den ihm gebührenden Anteil erlange, dazu ist Geistesbildung der entsprechende Schlüssel.

Noch ein Grund, weshalb das katholische Volk die Bildung schätzen und pflegen soll: aus ihm soll sich der Priesterstand erneuern und fortpflanzen. Aber in einer christlichen Familie, die auf einer gewissen Höhe der Bildung steht, sind gegenüber einer anderen, wo das nicht der Fall ist, günstigere Bedingungen gegeben.

Die Pflicht der Selbstfortbildung bestimmt sich natürlich für den Mann der Wissenschaft anders als für den Mann aus dem Volke. Besonders sorgfältige Bildung ist selbstverständlich erfordert für die geistigen und geistlichen Führer des Volkes, für Lehrer und Priester, aber auch für die Eltern, die ja zunächst an der geistigen Entwicklung der Persönlichkeit arbeiten.

Wann wäre die Pflicht zur Volksbildung größer als in der heutigen Zeit, wo es gilt, den Kampf ums Dasein energischer als je zu kämpfen: wo größere Anforderungen als je an den Einzelnen gestellt werden: wo der Materialismus immer mehr die Massen in die Tiefe zu ziehen sucht: wo die wahre Bildung mehr denn je gefährdet ist? Wilhelm Lexis schreibt: „Es scheint, dass wir heute schon an einen Punkt gelangt sind, wo die Kultur unerträglich erscheint“.3 Wundt gesteht: „Die ganze Geistesrichtung unserer Zeit ist auf niedere, meist materielle Ziele eingestellt und nicht selten werden auch geistige und ideale Zwecke jenen untergeordnet. Eine allzu sehr auf den unmittelbaren Nutzen gerichtete Zeit ist der höheren Bildung nicht förderlich“.4 Friedrich v. d. Leyen scheut sich nicht, in seinem Buche „Deutsche Universität und deutsche Zukunft“ (Jena 1906) die Behauptung aufzustellen, daß unsere Hochschulen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts dem Verfalle entgegengehen trotz des Aufschwunges der Naturwissenschaften und Medizin. Eucken, ein scharfsinniger philosophischer Kritiker, bezeichnet Unfertigkeit, Verworrenheit als Signatur der Gegenwart. „An Wissen reich, an Bildung arm, ein Midas, der an seinem Reichtum Hunger stirbt.“ Deshalb die Fauststimmung so vieler:

„Ihn treibt die Gärung in die Ferne:

er ist sich seiner Torheit halb bewusst.

Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne

und von der Erde höchste Luft.

Und all die Nähe

und all die Ferne

befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.“

Wie lange dauert die Bildungspflicht? Sie schließt nicht ab mit einem gewissen Zeitpunkt des Lebens. Daher ist der einzelne Mensch verpflichtet, an seiner geistigen Durchbildung das ganze Leben weiterzuarbeiten.

Auch für die Geistesbildung gilt das Wort Christi, welches dem, der die Hand an den Pflug gelegt hat, verbietet, rückwärts zu blicken, stehen zu bleiben und dem rüstigen Voranschreiten des Werkes Eintrag zu tun. Das Ackerfeld des Geistes soll nicht brachliegen. Nichtdazulernen ist Verlernen, Nichtdazugewinnen ist Verlieren.

So verstehen wir es denn, wenn der Dichter sagt:

„Rastlos vorwärts mußt du streben,

nie ermüdet stillesteh´n,

willst du die Vollendung seh´n.“


Anmerkungen:

1 Alban Stolz, Kalender 1864.

2 Lebensbeherrschung I. 418.

3 (im Original Anmerkung 1 auf S. 11): Wilhelm Lexis, Das Wesen der Kultur. In: Hinneberg, Die Kultur der Gegenwart.

4 (im Original Anmerkung 2 auf S. 11): Vgl. Mannheimer, Die Bildungsfrage als soziales Problem, Jena 1901.

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. Die im Original durch Sperrung hervorgehobenen Wörter wurden kursiv gesetzt. In eckiger Klammer steht die Zahl der jeweiligen Seite des Originaltextes. Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt.)

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