Leitsätze für die ländliche Volksbildungsarbeit

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Author/Authoress:

Witt, Gustav Adolf (Red.)

Title: Leitsätze für die ländliche Volksbildungsarbeit
Year: 1930
Source:

Bauernnot und Bauernkultur. Ergebnisse der deutschen Volksbildnertagung in Hubertendorf, nach dem derzeitigen Stand der Verhältnisse gemeinsam mit führenden Volksbildnern bearbeitet von Ing. Gustav Adolf Witt. Hrsg. vom Bäuerlichen Volksbildungsheim Hubertendorf, Wien 1932, S. 165-186.

[S. 165] Leitsätze für die ländliche Volksbildungsarbeit. Gemeinsam mit den Referenten der gesamtdeutschen Hubertendorfer-Tagung, Herbst 1930, verfaßt von Ing. G. A. Witt.

Diese Leitsätze fassen nicht nur die Ergebnisse obiger Tagung zusammen, sondern berücksichtigen nach Möglichkeit auch die bei früheren Anlässen für Teilgebiete der Bildungspflege an der Landbevölkerung aufgestellten Richtlinien, u. a. jene der Volksbildner-Arbeitsgemeinschaften von St. Martin bei Graz, die Grundsätze des christlichsozialen Reichsbauerntages in Graz 1921 über bäuerliche Volksbildnerarbeit in Oesterreich, die Leitgedanken der Dorfwochen in Neudietendorf in Thüringen und auf der Comburg in Schwaben, ferner jene der Lehrerarbeitsgemeinschaft für Volks- und Bauernkunde und der Frauenarbeitsgemeinschaft in der Volkshochschulwoche in Imst in Tirol vom Sommer 1930, die Grundsätze für christliche Bauernschulung der „Bauernschulung E. V.“ in Berlin, sowie die Leitsätze der österreichischen Volksbildnertagung in Hubertendorf, Ostern 1930.

Den im Dorfe oder für das Land praktisch tätigen Volksbildnern wird damit eine neue Grundlage für die Prüfung ihrer bisherigen und für den Aufbau ihrer weiteren Kulturarbeit geboten. Sache ihrer Arbeitsgemeinschaften wird es sein, für die organische Vervollkommnung dieser Leitsätze von Zeit zu Zeit Sorge zu tragen.

Die übersichtliche Ordnung nach praktischen Gesichtspunkten entspricht zugleich einem inneren Zusammenhange.

Grundlegendes, Hauptbegriffe.

1. Volk ist eine organisch entstandene und organisch geschlossene, geistig verbundene Gemeinschaft, die in der Vergangenheit wurzelt und für die Zukunft der Gemeinschaft verantwortlich ist. Für die Kulturpflege eines Volkes sind daher seine Vergangenheit, seine innere und äußere Entwicklung und seine Schichtenfolge1 von größter Bedeutung. Nicht minder wichtig ist sein Lebensraum. All dies bestimmt Individualität, Kultur, Wirtschaftslage und Rolle eines Volkes, somit auch seine Bildungsbedingungen.

2. Kultur ist das jeweilige objektive Gesamtergebnis der geistigen und materiellen Leistungen einer natürlichen Gruppe: Familie, Gemeinde, Stand, Volk.

Kulturquellen sind. Religion, Arbeit und Kunstschaffen. Die Lebensantriebe stammen nur zum Teil aus der Sphäre des Bewußten. In der gemäßigten Zone tritt die Arbeit als Kulturfaktor ausschlaggebend [S. 166] hervor. Kulturkrisen haben deshalb bei uns ihren Grund hauptsächlich in einer Krisis des Arbeitslebens. Daher verlangt die Ueberwindung einer Kulturkrise zunächst äußere und innere Gesundung des Arbeitslebens; diese aber setzt Neuorientierung an den letzten Dingen voraus, eine neue Sinnerfüllung unseres Daseins.

3. Bildung ist der persönliche subjektive Anteil des einzelnen an der Kultur. Sie ist zugleich das jeweilige Ergebnis einer von seelischen Kräften abhängigen Entwicklung. Diese kann auch rückläufig sein.

Den Bildungsgrad oder Bildungszustand eines Menschen erkennt man an seinem Verhalten in Beruf und Leben und im besonderen an seinem Verhältnis zu seinen Mitmenschen, zur Natur und Kultur.

4. Volksbildungsarbeit (außerschulische Bildungspflege, Erwachsenenbildung) wendet sich an das ganze Volk. Sie will die Menschen aus einem Triebleben zu bewußtem geistigen Leben, zur Erkenntnis der großen Zusammenhänge und zu einem Verantwortungsbewußtsein wecken, das sie aneifert, alle ihnen zu Gebote stehenden körperlichen und seelischen Kräfte zu entfalten, deren sie zur bestmöglichen Erfüllung ihrer Bestimmung, zur Ueberwindung von Versuchungen und Gefahren und zu selbstlosem Dienst vor Gott und an den Menschen bedürfen.

5. Die Bildungspflege auf dem Lande gilt der gesamten Landbevölkerung.

Die bäuerliche Bevölkerung stellt die Kerntruppe der Landbevölkerung, ihren im Wesen einheitlichen Hauptbestandteil dar. Die Bildungspflege auf dem Lande muß daher in Unterricht und Erwachsenenbildung die bäuerliche Bevölkerung besonders berücksichtigen. Sie muß dabei den Arbeits- und Lebensverhältnissen, der besonderen seelischen Verfassung der bäuerlichen Bevölkerung, ihren wirtschaftlichen Interessen, ihrer Religion, ihren Sitten, ihrem Brauchtum und nicht zuletzt ihrem Rechtsempfinden weitgehend Rechnung tragen.

6. Der Bauer ist der Hüter kostbarer Erbgüter des Volkes: Des Boden- und Wirtschaftserbes, des Blut- und Arterbes, des religiösen Erbes und des Volkstumserbes. Er hat grundlegende Bedeutung in bevölkerungspolitischer und wirtschaftlicher Hinsicht (Blut- und Brotspender im Industriestaat).

„Ohne gesundes Bauerntum keine Erhaltung der Volkskraft, ohne rentable Landwirtschaft keine starke Volkswirtschaft!“

Das Bauerntum ist die natürliche Mutterschicht des Volkes, die Keimzelle und der Kraftspeicher für Volk und Staat. Der Bauer muß daher in den Kreis des kulturellen Lebens des Gesamtvolkes als wesentlicher Faktor einbezogen werden.

7. Unser Bauerntum steckt wirtschaftlich und seelisch mitten in der größten und gefährlichsten Krisis, die es je durchzumachen hatte. Diese Krisis ist eine so große Gefahr für Volk, Kultur und Staat, daß ihr ehestens, und zwar auch mit Hilfe der Volksbildung, begegnet werden muß.

Wirtschaftliches.

8. Der Bauer, im Durchschnitt genommen, will nur seine selbständige Berufsstellung behaupten, seiner Familie den ererbten Hof erhalten und auf seiner Scholle durch Arbeit mit dieser Familie soviel Einkommen finden, daß er sie ohne fortwährende Sorgen ums tägliche Brot durchs [S. 167] Leben bringen, seine Kinder versorgen und sich und seiner Frau eine bescheidene Altersversorgung auf diesem Hofe sichern kann.

9. Markt und Wirtschaftweise haben seit dem Kriege wesentliche Wandlungen erfahren.

Der durch ausländische Waren verwöhnte Verbraucher bevorzugt heute Standardwaren (Qualitätswaren von vorgeschriebener, stets gleichbleibdender, einheitlicher Qualität und einheitlicher Aufmachung bezw. Verpackung).

Was der Bauer kauft, steht unter der Preisdiktatur von Kartellen, was er verkauft, unterliegt jedoch der freien Konkurrenz. Die Spannung zwischen den Konsumenten- und Erzeugerpreisen ist übertrieben. Die Organisation der Warenverteilung liegt im argen.

Beratung des Bauern bei der Sortenwahl und Qualitätsproduktion, Ausbau der genossenschaftlichen Absatzorganisation, Rationalisierung der Warenverteilung für die eigenen Erzeugnisse, Ausbau der Einkaufsorganisation für den Bedarf an Fremderzeugnissen und Ausbau der in den Händen der Bauernschaft liegenden Geldzentralen mit niedrigem Zinsfuß (Raiffeisenkassen) tun der bäuerlichen Landwirtschaft dringend not.

Der Bauer muß also im Genossenschaftsgeist erzogen werden. Geistige Beweglichkeit und wirtschaftlicher Zusammenschluß setzen Kenntnisse, Einsicht, Standesdisziplin und tief eingewurzelte Standesehre voraus: Ein wichtiges Tätigkeitsgebiet für die Pionierarbeit volksbildnerisch geschulter Fachleute, die von den anderen Volksbildnern kräftig zu unterstützen sind und mit ihnen Hand in Hand arbeiten sollen.

10. Die Bauernwirtschaft ist wegen ihrer verhältnismäßigen Krisenfestigkeit das Rückgrat unserer Landwirtschaft. Krisenfest ist sie durch ihre Arbeitsverfassung im Familienkreis, durch die äußerste Anspannung der Arbeitskräfte, durch Anpassung des Verbrauches an den Ertrag und durch die Vielseitigkeit des Kleinbetriebes, der sich dem Markt leicht anpassen kann.

Zu den wichtigsten Maßnahmen zur Stützung des Bauerntums wie auch der Volkswirtschaft überhaupt gehören deshalb: Schutz und Vermehrung der bäuerlichen Familienbetriebe, Wiederherstellung der Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe und gesetzliche Sicherung der bäuerlichen Berufsausbildung.

Bauer, Volk und Staat.

11. Der Staat bedarf der loyalen Haltung des Bauernstandes. Das erschütterte Vertrauen der Bauern in den Staat muß gefestigt werden. Die besten Mittel dazu sind:

a) wirtschaftliche Hilfen zur Erhaltung des Bauernstandes,

b) kulturelle Hilfen zur Erhaltung der Bauernkultur.

Der Bauernstand hat sich in allen Krisenzeiten als starke Reserve der Volkskraft, Heimattreue, Wirtschaftskraft und Wehrkraft erwiesen. Damit er sich auch weiterhin als Stütze für Staat und Volkstum bewähre, muß ihm das Staatsvolk neue Kraftquellen erschließen.

Aufgabe der Volksbildungsarbeit ist es, das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Bauer, Volk und Staat zu festigen, den Bauern und seine Arbeit bei den übrigen Ständen, diese und ihre Arbeit im Dorfe zu neuem Ansehen zu bringen, die Verbraucherkreise zu überzeugen, daß sie ihre Bedarfsdeckung der inländischen Erzeugung anpassen müssen [S. 168] und die Autorität des Staates und der geistigen Mächte bei der Landbevölkerung zu heben.

Bauer und Rechtspflege.

12. Der deutsche Bauer hat ein stark entwickeltes, im uralten deutschen Rechts- und Gemeinschaftsempfinden wurzelndes Rechtsbewußtsein, das mit dem durch die gelehrten Juristen ausgebildeten, auf das römische Recht zurückgehenden geltenden Gesetz nicht immer im Einklang steht.

Den Bauern zur Verträglichkeit, zur Vermeidung starrköpfiger Prozeßhändel zu erziehen, die Richter mit der Bauernpsychologie und den Verhältnissen des Bauerntums vertraut zu machen und den Richterstand zur Mitwirkung an der Kulturarbeit am Landvolk zu gewinnen, sind sehr wichtige Aufgaben der Bildungspflege.

Die Bedeutung der kulturellen Kräfte.

13. Andauernde Not ist eine seelische Gefahr für den Bauernstand (Entwurzelung, Proletarisierung). Wirtschaftliche Unterhöhlung des Bauerntums führt zur Zersetzung und zum Verfall der bäuerlichen Kultur.

Wirtschaftliche Hebung des Bauerntumes setzt aber kulturelle Kräfte voraus. Die bedeutsamste Hilfe, die Selbsthilfe, hängt von der Willensschulung und Charakterbildung ab. Alle Förderungsmaßnahmen sind vergeblich, wenn die Bauernschaft nicht Verständnis für die allgemeinen Probleme gewinnt. Die Intelligenz des Bauernstandes muß gehoben, gegen Teilnahmslosigkeit muß angekämpft werden.

Volksbildungspflege und Landwirtschaftsförderung müssen einander ergänzen; die Wertung der kulturellen Güter ist nicht minder wichtig, als jene der materiellen.

14. Das deutsche Volk hat seit dem Krieg den stärksten Geburtenrückgang. Die Städte halten ihre Einwohnerzahl seit dem Krieg nur durch die Saugwirkung aufrecht, die sie auf das Landvolk ausüben. Auch dieses aber schränkt schon in steigendem Maße die Geburten ein.

Verantwortungsbewußte Führerpersönlichkeiten im Nachwuchs der Bauernjugend müssen deshalb durch die Erwachsenenbildung geistig und sittlich befähigt werden, diesem Sichselbstaufgeben des deutschen Volkes entgegenzuwirken.

Unerläßlichkeit der Bildungshilfe.

15. Bauer und Landvolk brauchen kulturelle Hilfe durch Volksbildungarbeit nicht nur der katastrophalen Wirtschaftskrise halber, sondern auch aus folgenden Gründen:

a) weil sie seit jeher im Schul- und Bildungswesen gegenüber der städtischen Bevölkerung im Nachteil waren. Die Städte haben Bildungseinrichtungen in Ueberzahl für Jugend und Erwachsene, während das Land vielfach kaum über gleichwertige Elementarschulen verfügt. Auch diese arbeiten aber noch zu städtisch.

b) Weil der Unterschied im Fortschritt und Rhythmus zwischen dem an den Jahreskreislauf der Natur gebundenen, ruhigen, abwartenden Leben des Landes und dem von der Natur weitgehend unabhängigen, von ganz anderen Faktoren (Geistesleben, Kunst, Technik, Weltmarkt, Politik) beeinflußten, unruhigen, vorwärtsdringenden Leben der Stadt eine übermäßige Span- [S. 169] nung zwischen Land und Stadt erzeugt, die sich in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Beziehung zum Nachteil nicht nur des Landvolkes, sondern auch der Grundfesten des Staates und der Kultur auswirkt. Die rasche allgemeine, von den Städten aus bestimmte Entwicklung läßt der bäuerlichen Bevölkerung keine Zeit mehr zur Auslese und Anpassung der Kultur- und Zivilisationselemente. Durch den modernen Verkehr, durch Presse und Rundfunk wirkt die Stadt heute unmittelbar auf das Land ein. Deshalb vermögen die früheren, heute zum Teil ausgeschiedenen Erziehungs- und Vermittlungsfaktoren (Vertreter der geistigen Berufe und der bürgerlichen Kreise auf dem Lande, die geistlichen und weltlichen Gutsherrschaften und ihre Beamten, sowie Kirche und Schule, Aemter und Gerichte) nicht mehr soviel wie früher zur Anpassung beitragen.

c) Auch der Abgang des erziehlichen Einflusses der früheren Militärdienstzeit wird von der Landbevölkerung heute allenthalben schon stark empfunden.

d) Die Gemüts- und soziale Bildung im Landvolk nimmt ab. Seine Kultur und seine Tradition drohen unterzugehen; jedenfalls befindet sich die ländliche Kultur-, Gesellschafts- und Wirtschaftslage in einer Umbildung, an einer Bruchlinie.

e) Bauer und Landvolk allein sind offensichtlich nicht imstande, aus sich selbst heraus für eine zeitgemäße Lebens-, Berufs- und Gemeinschaftsbildung zu sorgen und eine Weiterentwicklung wesenseigener Bauernkultur zu bewerkstelligen.

Volksbildungsziele auf dem Lande.

16. Ziele der ländlichen Volksbildungsarbeit müssen demnach sein:

a) Erweckung geistigen Lebens, Befähigung zur zielsicheren Orientierung im praktischen Leben, besonders zur Unterscheidung von Haupt- und Nebensachen, ferner Ueberwindung von Minderwertigkeitsgefühlen, Bereicherung des notwendigen Wissens, Pflege des Ausdrucks und Erziehung zu Tatmenschen;

b) Befähigung des Bauern, seine wichtige wirtschaftliche, kulturelle und soziale Stellung im Gesamtorganismus des Volkes und Staates richtig zu erfassen und auszufüllen (staatsbürgerliches und volkswirtschaftliches Denken);

c) Einbau des bäuerlichen Eigenwesens ohne Schädigung seiner Wurzelkraft in die heutige Zeit;

d) Entfaltung und Stärkung von Willen und Gemüt;

e) Entwicklung von Abwehrkräften gegen die zersetzenden Einflüsse, die eine gesunde Entwicklung des Bauerntums gefährden (Verstiegenheiten der Jugendbewegung, seichte Aufklärung, tendenziöse Propaganda, Klassenkampf usf.);

f) bessere Abstimmung des Uebertragungsrhythmus städtischer Einflüsse auf das Land durch die Einschaltung kultureller Hilfsfaktoren und durch die Befähigung der Landbevölkerung zur Auslese und schöpferischen Verarbeitung dieser Einflüsse gemäß der bäuerlichen Eigenart.

[S. 170] /Welche Bildung braucht der Bauer?*

17. Der Bauer braucht somit eine gründliche berufliche und eine gute allgemeine Bildung. Beide sollen ihn befähigen, wieder festen Boden unter den Füßen zu gewinnen und sein Schicksal mitzubestimmen.

Ganz wesentlich ist für ihn die Kenntnis der Zusammenhänge der modernen Volks- und Weltwirtschaft, weil sie heute für seine Privatwirtschaft entscheidend sind.

Er braucht Fortschrittsgeist und Bildungsstreben.

Die weltanschauliche, die Charakterbildung und eine zweckmäßige Frauenbildung müssen die harmonische Formung der bäuerlichen Persönlichkeit beider Geschlechter herbeiführen.

Führerschulung und Erziehung zur Gemeinschaft sind für die Entwicklung berufsständischer Gesinnung, gesunder Selbstdisziplin und eines lebendigen, praktisch betätigten Verantwortungsbewußtseins unerläßlich.

Bäuerliche Bildungsmöglichkeiten.

18. Dies alles soll bewirkt werden:

a) durch die Bildungseinflüsse der Familie im Bauernhaus;

b) durch eine für das Bauernleben und die Bauernarbeit begeisternde echte Landschule;

c) durch das Wirken der Kirche;

d) durch eine an die Schulzeit sich anschließende häusliche, landwirtschaftlich-berufliche Lehrzeit;

e) durch eine schulmäßige Weiterbildung für den Beruf;

f) durch eine womöglich in anderen Ländern zugebrachte Lehrzeit zur Erweiterung des Gesichtskreises und der Praxis;

g) durch eine in gereifterem Jugendalter in einem bäuerlichen Volksbildungsheim erworbene Gemeinschafts-, Lebens- und Charakterschulung;

h) durch die Sammlung praktischer Erfahrungen bei der Anwendung der erworbenen Kenntnisse als Führer im Dorfleben und durch eifrige Betätigung in den von den Forderungen der Bauernbildung durchdrungenen Standesvereinen der Landjugend (z. B. in landwirtschaftlichen Fortbildungsvereinen und in landwirtschaftlichen Genossenschaften).

Bildungsarbeit und Lebenskreise.

19. Der Mensch kann nur in seinem Lebenskreise zum Vollmenschen gebildet werden. Alle ernsthafte Bildungsarbeit hat sich demnach auf den Lebenskreis der zu Bildenden und vor allem auf ihren Beruf einzustellen.

20. Für den Kultur- und Bildungszustand der Landbevölkerung ist die Wechselwirkung zwischen der geistig vorauseilenden städtischen Oberschicht (dem städtischen Lebenskreis) und der beharrenden Mutterschicht eines Volkes (dem ländlichen Lebenskreis) ausschlaggebend. Es liegt lediglich an der geistigen Oberschicht, was in die Mutterschicht an Kultur- und Bildungsgütern fließt.

21. Alle Kulturfortschritte kommen aus der Stadt auf das Land, aber [S. 171] auch alle Talmikultur und alle Auswüchse einer rein äußerlichen Zivilisation. Das Land gilt der Stadt leider vielfach nur als Absatzgebiet für Minderwertiges. Der irrewerdende Bauer läßt sich immer häufiger verleiten, gediegenes Eigenes gegen unzweckmäßiges und wertloses Fremdes aufzugeben. Umso wichtiger ist die volksbildnerische Gegenwirkung durch Beispiel und Gegenbeispiel, durch Geschmacks- und Urteilsbildung.

Es wäre verfehlt, den Bauer von der Stadt abschließen zu wollen; man muß ihn offen auf die Gefahren des blinden Uebernehmens städtischer Dinge und Gewohnheiten, Urteile und Methoden aufmerksam machen und ihn dagegen immunisieren. Man muß ihn aber auch zugleich lehren, das zweckmäßige Neue herauszufinden und seinen Bedürfnissen anzupassen.

Der Bauer weiß viel zu wenig von der Stadt, über die er durch Besuche, Zeitungen, Lautsprecher, Bücher und Filme nur ein schiefes Urteil erlangt. Man muß ihm von ihren ungünstigen Lebensbedingungen und Lebensschicksalen, von ihren gesundheitlichen und sittlichen Gefahren wahrheitsgetreu berichten. Er muß aber auch von ihren bedeutenden, auch dem Landvolk zugute kommenden Leistungen in Geistes- und Wirtschaftsleben, Technik und Medizin, Sicherheitsdienst, Rechtspflege, Kunst, Musik, Wohlfahrtspflege und Gemeindeorganisation erfahren. Hervorzuheben wäre ihm gegenüber, daß manches aus der Dorf- und Bauernkultur auf die Stadt zurückwirkt und dort geschätzt wird.

Zeitungen.

22. Die Zeitungen könnten viel zur zeitgemäßen wirtschaftlichen und Kulturhilfe beim Land- und Bauernvolk beitragen, wenn sie seine Arbeit, deren Bedeutung und die Lage des Bauerntums verständnisvoll würdigen und den Nachwuchs ermutigen wollten, indem sie seinen Beruf loben und ihm Hoffnung machen. Leider geschieht meist das Gegenteil.

Sommerfrischler, Fremdenverkehr.

23. Eine nicht minder bedeutsame Kulturmission hätten die Sommerfrischler und sonstigen Fremden. Wollten sie ihre „überlegene“ Bildung wenigstens dadurch betätigen, daß sie mit den Dorfbewohnern und den einschichtig hausenden Bauern ohne Uebertreibung, objektiv, gewissenhaft und gemeinverständlich über Verhältnisse in der Stadt und Welt sprechen, so wäre damit schon vieles getan.

Leider bringt die Hebung des Fremdenverkehrs überwiegend ungünstige Wirkungen in Kultur und Lebensführung bei der Landbevölkerung mit sich

Die Ausnützung von Volksbräuchen für Fremdenverkehrszwecke ist als kulturwidrig unbedingt abzulehnen.

Schutz und Förderung der Bauernkultur.

24. Bauernkultur ist, wie Kultur überhaupt, Auswirkung des ureigensten Wesens einer Gemeinschaft. Sie kann daher nur organisch wachsen und muß, gestört, durch eigene Kraft der Gemeinschaft wieder ins Gleichgewicht und zur Weiterentwicklung können.

Nur wo es unerläßlich ist, soll daher der Bauernkultur zu Hilfe gekommen werden, und zwar nur durch eine solche Beeinflußung des Bauerntums, daß es das bewährte Alte behalten möge, soweit [S. 172] es noch Lebenskraft besitzt, und daß es das gute Neue damit sinngemäß verquicken möge. Der Wille zur eigenberechtigten ländlichen Volkskultur ist zu wecken.

25. Dem Bauern muß seine Heimat erst wirklich wieder bewußte, seelisch empfundene Heimat werden. Es fehlt heute an bodenständiger bäuerlicher Schönheit im Ortsbilde, an den Häusern, in den Fluren, in den Stuben, an Wandschmuck, Gerät und Kleidung, in Lebensformen und Gedanken. Gewohnheitsmäßigkeit und gedankenlose Oberflächlichkeit müssen weichen, das Bauernhaus muß schon der äußeren und inneren Gestaltung nach neue Bauernheimat werden. Verbundenheit mit der Heimat entwickelt Volksverbundenheit, stärkt Volksgemeinschaft und Staat.

26. Hütet euch vor hohler Romantik! Der Bauer muß mit der Zeit gehen. Ueberlebte Bräuche, die nicht mit neuem Sinn erfüllt werden können, verdienen nicht, festgehalten zu werden. Sucht zunächst mit Menschen und Sitten eines Dorfes vertraut zu werden, Wesen und Quellen der nicht offen zutage liegenden, aber vorhandenen Dorfkultur zu erkennen! Auch eine dogmatische Verzichtleistung auf die Wiederbelebung nur verschütterter Keine kann unrichtig sein.

Der bäuerliche Beruf in der Bildungsarbeit.

27. Im Mittelpunkt der Bauernkultur steht der bäuerliche Beruf. Ländliche Bildungspflege muß daher in allem vom bäuerlichen Berufe ausgehen und an die bäuerliche Arbeit anknüpfen. Dem Landvolk muß zeitgemäße Berufs- und Lebenstüchtigkeit vermittelt werden.

Eine der wesentlichsten Aufgabe der Volkserziehung ist, die im Berufe vorhandenen Formungskräfte zu benützen, lebendig werden zu lassen und ihnen zur zielsicheren Wirkung zu verhelfen. Mißformungskräfte, insbesondere jene des heutigen, weitgehend zerstörten Berufslebens, sind möglichst zurückzudrängen. Den auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiete liegenden Berufsgefahren ist entgegenzuwirken.

Bauernarbeit kann, richtig erfaßt und bei nur einigem Wirtschaftserfolg, wie keine andere den Menschen an Leib und Seele befriedigen. Sie bedarf jedoch einer Erneuerung der bäuerlichen Arbeitskultur im Sinne unserer Zeit. Den Gestaltungswillen dazu müssen wir Volksbildner dem Jungbauern geben. Dabei muß man den bescheidensten Verhältnissen Rechnung tragen.

28. Mit der Kulturarbeit allein geht es praktisch nicht. Der Volksbildner darf an den nüchternen wirtschaftlichen Tatsachen nicht blind vorübergehen. Ohne gesicherte wirtschaftliche Grundlage schwebt das Kulturelle in der Luft.

Volksbildungsarbeit soll deshalb berufliche und wirtschaftliche Hilfe mit seelischer Hilfe zu einer Gesamtwirkung vereinigen.

Bedeutung der Religion als Bildungsfaktor.

29. Nur eine von religiösem Geiste getragene Erwachsenenbildung vermag jene seelischen Kräfte im Bauern zu wecken und zu stärken, die ihm im Existenzkampfe zum Siege verhelfen.

Religion und Beruf sind die Angelpunkte bäuerlicher Volksbildungsarbeit. Nur aus dem Glauben kann das Volk, kann die Menschheit erneuert werden.

[S. 173] Die bewußte Pflege und Behütung des religiösen Erbes der Vorfahren ist die beste seelische Stütze des Bauerntums.

Dorfkirche und Gottesdienst, religiöse Arbeits- und Hausbräuche und Friedhofskultur sind daher vom Volksbildner nicht etwa bloß vom künstlerischen oder denkmalpflegerischen Standpunkt, sondern als höchster Ausdruck dörflicher Seelenkultur mit innerer Anteilnahme, Ehrfurcht und Liebe zu pflegen.

Volksbildnerische Fürsorge.

30. Ländliche Bildungspflege sei vorbeugende Volkspflege auf weite Sicht: Betreuung der Gesunden, Pflege und Rettung der Angekränkelten! Am meisten bedürfen die aus der organischen Gemeinschaft des Dorfes abgebröckelten Menschen ohne Persönlichkeitskultur (z. B. die halbentwurzelten Bauern im Weichbild städtischer Siedlungen) der kulturellen Hilfe. Festigung der Seelen ist die Hauptsache.

Die Familienpflege.

31. Grundlage des Lebens sind nicht Schule und Staat, sondern Haus und Familie; das häusliche Leben verdient daher mehr Aufmerksamkeit als das öffentliche.

Eine der schönsten Aufgaben der ländlichen Volksbildung ist es, Familiengeist und Familienfreude wieder zu erwecken. Der Zusammenhalt der natürlichen Gemeinschaften (Familie, Nachbarschaft, Verwandte, Dorf) ist gelockert. Die Familie soll wieder Lebens- und nicht bloß Arbeitsgemeinschaft sein. Familiensinn, gemütliches Familienleben, Familienfeste und persönliche Festtage, Hochzeits- und Begräbnissitten, Familienforschung und Familientradition sollen gepflegt, alle abträglichen Einflüsse sollen bekämpft werden.

Auf eine gute Behandlung der Alten und Kranken, der unverheirateten Geschwister und der Dienstboten, besonders auch der zu Dienstzwecken angenommenen Kinder ist überall hinzuwirken.

Die Landfrau.

32. Die Landfrau seufzt heute, bei einer auch in hauswirtschaftlicher Hinsicht unzulänglichen Vorbildung, unter einer erbarmungslosen Ueberlastung als Weib, Mutter, Hausfrau und Arbeiterin.

Der Landfrau und der weiblichen Landjugend zu verhelfen

a) zur rücksichtsvolleren Behandlung und zur Entlastung durch eine Erziehung der männlichen Landbevölkerung,

b) zur Erfassung ihrer großen und schönen Aufgaben als Frau und Wirtschaftsfaktor, ihrer Verantwortung als Hüterin der Sitte und des Familienglücks und als Kulturfaktor durch Erschließung von Bildungsmöglichkeiten,

gehört zu den schwierigsten aber dringendsten Aufgaben ländlicher Volksbildung.

Landflucht und Abhilfe.

33. Landflucht ist eine Folge des bäuerlichen Erbrechtes, der Härten der Bauernarbeit und den Menschenbedarfs der Großstädte, heute allerdings gemindert durch die allgemeine Erwerbslosigkeit in den Städten. Nicht bloß [S. 174] Dienstboten und Landarbeiter, sondern auch Bauern, Bauernsöhne und besonders die weibliche Landjugend suchen in der Stadt bessere Lebensbedingungen und Aufstieg. Die Landwirtschaft verliert dadurch viele der tüchtigsten und intelligentesten Kräfte. Entwurzelte Landleute werden in der Stadt oft die radikalsten Proletarier.

Siedlungshilfe, Innenkolonisation, Hilfe beim Zurückfinden stadtmüder Proletarier zur Landwirtschaft, Neuverwurzelung ländlicher Dienstboden in der Scholle durch Haus und Grund und andere einschlägige Maßnahmen bieten dem Volksbildner reichlich Gelegenheit, mitzuhelfen.

Soziale Besserung.

34. Die durch den freien Wettbewerb bedingten und jetzt durch die Weltwirtschaftskrise verschärften Erschwerungen seines Lebensunterhaltes und der Versorgung seiner Kinder haben beim Bauern die Empfänglichkeit für soziale Erwägungen gemindert, zumal er durch die sozialen Lasten, den gewerkschaftlichen Kampf der Landarbeiter und durch die Landflucht in Bedrängnis geraten ist.

Der Uebergang zu kapitalistischen Wirtschaftsmethoden mit reinen Erwerbstendenzen droht den Abstand zwischen Bauer und Dienstboten bezw. Landarbeitern gefährlich zu erweitern und leistet dem Vordringen egoistischer Motive Vorschub.

Diese sozialen Gegensätze, nicht zuletzt im Bauernstand selbst (Groß- und Kleinbauern), wirken sich im politischen Kampf, in der Sozialpolitik und Kultur ungünstig aus.

Die Volksbildungsarbeit muß im Interesse aller Berufsstände diesem unseligen Zwiespalt durch Weckung und Entwicklung gegenseitigen sozialen Verständnisses entgegenwirken. Besonders wichtig ist es, den Gruppen (Bauern, Arbeitern, Gewerbetreibenden, Kaufleuten, Industriellen, Beamten, Angestellten, freien Berufen usf.) wechselseitig wahrheitsgetreuen Einblick in die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der jeweils anderen Gruppen zu geben.

Dienstboten und Landarbeiter.

35. Den Dienstboten und Landarbeitern gehen durch die Umwandlung des Bauerntums ihre frühere Familienzugehörigkeit zum Bauernhaus, Naturalzuwendungen und andere Vorteile immer mehr verloren. Andererseits hat der Mangel einer eigentlichen Lehrzeit und Berufsausbildung die Folge, daß sie wirtschaftliche Maßnahmen nicht verstehen und namentlich dann hemmen, wenn ihnen ungewohnte Arbeit zugemutet wird.

Befassung mit ihren sozialen Sorgen, berufliche Ausbildung und gemütvolle Betreuung der Dienstboten und Landarbeiter im Bauernhaus tun daher not.

Die Heranziehung nicht bodenständiger Arbeiter muß nach Möglichkeit unterlassen werden. Die bodenständigen Landarbeiter müssen jedoch den Wettbewerb mit den Saisonarbeitern bestehen.

Die Seßhaftmachung der Landarbeiter ist nach Möglichkeit zu fördern, desgleichen die bessere Unterbringung und die Einräumung von kleinen Häusern und Grundstücken für verheiratete Dienstboten.

Eine neue Eingliederung ständiger Hilfskräfte in den Bauernhaushalt und [S. 175] eine Neuorientierung des Dienstverhältnisses auf christlicher Grundlage wird die sozialen Spannungen vermindern. Zu diesen sozialpolitischen Maßnahmen, die im engen Zusammenhange mit der Volks- und Familienkultur stehen, kann die Volksbildungsarbeit viel beitragen.

Neue Lebensgestaltung und Geselligkeit.

36. Die Unwissenheit und Gleichgültigkeit, sowie die Veräußerlichung in Tradition und Brauchtum rufen nach anregender Erklärung und nach neuen Stoffen. Es fehlt an edler häuslicher und dörflicher Geselligkeit. Die Winterabende bedürfen neuen Inhaltes und zeitgemäßer Gestaltung.

In die Kalender, Lehrbücher und Bauernblätter ist möglichst Fesselndes und Vielseitiges aus Heimat und Volkskunde einzufügen.

Mehr Gemüt, mehr Freude, mehr schöne harmlose Unterhaltung!

Die Menschen müssen befähigt werden, der Lebensgestaltung durch die Umwelt eine eigene veredelnde Lebensgestaltung aus sich heraus gegenüberzustellen, die ihnen Befriedigung gewährt. Dies gilt besonders von der Pflege der Gemeinschaft.

Vereinswesen.

37. Das Vereinswesen bedarf einer Beschränkung, Vertiefung und Veredlung. So anerkennenswert die durch manche Vereine bewerkstelligte Führung der Landjugend ist, so liefert doch das Vereinswesen im Durchschnitt zu wenig Ertrag. Es bleibt oft in Aeußerlichkeiten und Organisation befangen, woraus dann Vereinspolitik und Negatives gegenüber anderen Organisationen entsteht. Das Positive, Gemeinschaftsbildende und Persönlichkeitsbildende kommt dabei zu kurz.

Weit besser sind echte Volksbildungskurse.

Nicht zuviel Veranstaltungen! Sie zerstören das Familienleben.

Ländliche Jugendbewegung und Jugendpflege.

38. Die ganze Hoffnung auf eine kulturelle Hebung des Bauerntums und auf seine Zukunft beruht auf der Landjugend. Diese muß daher geistig und sittlich ertüchtigt, zur Berufsfreude, Heimatliebe und Schollenfestigkeit erzogen werden.

Die Landjugend ist bildungswillig und bildungsfähig.

Volksdichtung, Musik und Heimatgeschichte sind die Schlüssel zur Volksseele und besonders zu der der Jugend.

39. Der reifere, erweckte Jungbauer will bewußt Autorität, aber nicht eine, die ihn vergewaltigt, sondern solche, die ihn zu innerer Freiheit, vernünftiger Lebensreform und moderne Wirtschaftsweise führt. Er braucht vor allem innerliche Klarheit und Festigung.

Der Widerstand vieler Altbauern gegen jede Aenderung bewirkt eine Spannung zwischen den beiden Generationen, desgleichen die späte Uebergabe des Hofes; doch sind Fälle offener Auflehnung der Jungen selten.

Der Volksbildner muß vermittelnd wirken: Die Jungen [S. 176] zur maßvollen Geltendmachung berechtigter Wünsche erziehen und die Alten von der Notwendigkeit einer Umgestaltung und der Versuche zur Lebensreform durch die Jungen überzeugen.

40: Die Jugend muß vor Verstiegenheiten bewahrt werden. Die Gefahren des Klassenkampfes, der politischen Verhetzung und der seichten Aufklärung für Bestand und Kultur des Bauerntums können ihr nicht eindringlich genug klar gemacht werden. Gegenmittel sind: Ausgleichende, frohe Geselligkeit und religiöse Vertiefung von Beruf und Dorfgemeinschaft.

Besonders gepflegt soll durch die Volksbildung die Ehrfurcht vor dem Uebersinnlichen und vor dem Geheimnis des Lebens werden, dies auch mit Beziehung auf Mitgeschöpfe und Natur.

Der neuzeitige Bauerntypus.

41. Die Jugend braucht ein Ziel, ein Ideal.

Das Persönlichkeitsideal des Zukunftsbauern, das uns bei der Volksbildungsarbeit vorschweben muß, weil es vom Leben so gefordert wird, und zu dem wir die Bauernjugend erziehen müssen, ist der seelisch-kernhafte, rationell wirtschaftende, kaufmännisch denkende, genossenschaftstreue und standesbewußte Landwirt, der nach den Grundsätzen der Standesehre handelt; ein verantwortungsbewußter Gemeindebürger mit religiöser Weltschau, sittlicher Haltung und Initiative in der Führung der anderen; der Bauer, der für seine Familie und für sein Geschlecht, zugleich aber für das Wohl seines Volkes arbeitet, indem er durch den schicksalsmäßigen Kampf mit den Mächten der Natur und der Konjunktur den Hof für seine Familie zu erhalten sucht und seine Aufgabe als Brotvater des Volkes erfüllt.

Es sind nicht genüg Führer in den Dörfern. Darum muß gerade die Jungbauernbewegung in die Bildungsarbeit einbezogen werden. Wir müssen mit selbstloser Hingabe und dienender Liebe die erforderlichen Führer großziehen.

Erziehungsersatz für die frühere Militärzeit.

42. In den Dörfern Deutschlands und Oesterreichs macht sich der Entfall der Volkserziehung durch die früheren Militärjahre zum Nachteil des Ordnungssinnes und der Gemeinschaftsdisziplin sowie des Verantwortungsbewußtseins und des Pflichtgefühls der Landjugend in Haltung und Ausdruck immer mehr fühlbar. Es ist Aufgabe der Bildungspflege, dafür Ersatz zu schaffen, und zwar namentlich durch planmäßige Körpererziehung, Geisteserziehung und Gemütsbildung. Sport allein ist zu einseitig, Rekordwesen ist abzulehnen.

Volksbildung und Politik.

43. Volksbildungsarbeit und Parteipolitik müssen streng getrennt werden. Bei Verquickung von Politik und Volksbildung kann wirkliche Bildung nicht gedeihen. Die politischen Leidenschaften und Methoden zerstören oft in kurzer Zeit, was Volksbildungsarbeit mühsam in Jahren aufgebaut hat.

Wohl aber hat der Volksbildner die Pflicht, über die Parteiprogramme, die Ursachen und Auswirkungen politischer Strömungen und Bestrebungen [S. 177] und über die großen Zusammenhänge des politischen Lebens unparteiisch und streng sachlich zu belehren. Er muß dahin wirken, daß sich Menschen verschiedener Weltanschauung und politischer Richtung in maßvoller Aussprache gegenseitig anhören und sachlich beurteilen lernen. Vor allem ist auf Offenheit, Toleranz und Verantwortungsbewußtsein bei Ausübung der politischen Rechte hinzuwirken.

Das bäuerliche Volksbildungsheim.

44. Das wichtigste Mittel zur Schulung der Landbevölkerung für das praktische Leben, zu ihrer Immunisierung gegen die das Bauerntum zersetzenden Einflüsse und zu ihrer staatsbürgerlichen und seelischen Ertüchtigung ist die Pflege der Erwachsenenbildung an Angehörigen des Bauernstandes und Landvolkes in internatsmäßigen Lehrgängen von mindestens dreimonatiger Dauer auf bauernkundlicher und volkspsychologischer Grundlage. Eine längere Dauer dieser Lehrgänge oder eine stufenweise Weiterführung würde ungleich größere Bildungserfolge zeitigen, doch sind bäuerliche Teilnehmer daheim meist nicht so lang entbehrlich, ferner sind die Kosten nicht leicht zu erschwingen und schließlich sollen die Teilnehmer der bäuerlichen Arbeit nicht entwöhnt werden. Eine Verbindung eines Landwirtschaftsbetriebes bäuerlicher Art mit dem Bildungsheim ist erstrebenswert.

Das Bildungsheim setzt inneren Antrieb zur Selbsterziehung und Erweiterung des Lebenshorizontes und der Berufsbildung voraus, wendet sich daher nur an freiwillige Teilnehmer des reiferen Jugendalters und der im Berufsleben stehenden Generation, ohne Altersgrenze nach oben.

45. Das bäuerliche Bildungsheim wird am besten auf gesunder weltanschaulicher Grundlage wirken. Es ist eine Lebens-, Gemeinschafts- und Charakterschule, die darauf abzielt, daß die Kursteilnehmer sittlich starke, geistig reife, hilfsbereite und innerlich frohe Menschen werden, die, in ihrem Stande und ihrer Familie wurzelnd, beruflich vorwärtsstreben und an allen Fragen des Gemeinschaftslebens in Gemeinde, Land, Staat und Volk tätig und erfolgreich Anteil nehmen.

Bauernleben, Bauernarbeit und Bauernkultur müssen ein in sich geschlossenes Ganzes bilden. Im Bildungsgang ist daher ebenso wie in der Lebensweise des Heimes den Lebens- und Berufsforderungen des Bauernstandes je nach Stammestypus und örtlicher Eigenart Rechnung zu tragen.

Das Heimleben der Teilnehmer ist auf Selbstverantwortung und Selbstverwaltung aufzubauen, soweit dies Arbeitsplan und Verwaltung des Heimes zulassen. Die Ziele und Richtlinien der Bildungsarbeit im Heim entsprechen den vorliegenden Leitsätzen.

Bauernbildungsheime sollen stets in entsprechender Entfernung von Siedlungen liegen, um Ablenkungen zu verhüten, Gemeinschaftsleben und Verinnerlichung zu stärken.

46. Das bäuerliche Volksbildungsheim soll auch eine Kulturstätte für die ganze Umgebung bilden dadurch, daß es der Landbevölkerung Gelegenheit zur Weiterbildung in verschiedener Form gibt und einen Stützpunkt für die freie Bildungspflege in den Dörfern darstellt.

Vom Heim aus angeregte und besuchte Dorftage und Dorfwochen, [S. 178] praktisch gerichtete kleine Kurse mit kulturellen Zielen für Bäuerinnen, Bauern oder Landarbeiter, eingeleitet oder abgeschlossen durch vorbildliche Volkskunstdarstellungen (Musik, Lied, Tanz, Laienspiel, Handpuppenspiel u. dgl.), in welche die Dorfgemeinschaft einbezogen wird, bieten bewährte Anknüpfungspunkte für die eigentliche Kulturarbeit.

47. Altschüler-Treffen und –gemeinschaften im bäuerlichen Volksbildungsheim, verbunden mit kurzen Weiterführungskursen und dem sehr wichtigen Erfahrungsaustausch über die zwischenzeitliche Kulturarbeit in den Heimatdörfern dienen der Aufrechterhaltung dauernder Fühlung der Altschüler mit dem Heim und untereinander.

Vervielfältigte Mitteilungsblätter des Heims und ein Briefwechsel des Heims mit den Teilnehmern sollen auch auf die persönlichen Schicksale und Arbeitserfolge der Altschüler Rücksicht nehmen. Es empfiehlt sich, über den Entwicklungsgang der Altschüler im Heim Vormerkungen zu führen. Dies stärkt das Verantwortungsbewußtsein der Heimschüler.

48. Die soziale Umstellung und Bildung gelingt am besten im bäuerlichen Volksbildungsheim. Das lange familienhafte Zusammensein im Heimleben führt ungezwungen zum Bewußtwerden des Gemeinsamen und Einigenden. Der unvermerkt gewonnene Einblick in die Lebensbedingungen und Schicksale der anderen erregt Mitgefühl und führt zur Erkenntnis sozialer Pflichten und Rücksichten. Die in der Selbstverwaltung begründete Selbsterziehung dämpft die Selbstsucht. Das Klärende und Entgiftende der sachlichen offenen Aussprache über heikle Dinge und Gegensätze lehrt unvermeidliche Spannungen zu ertragen. So entsteht gegenseitiges Verständnis, soziales Verantwortungsgefühl, Opferbereitschaft und Tatgemeinschaft.

Diese Entwicklung muß durchaus nüchtern aber taktvoll geleitet werden, keinesfalls darf man die sozialen Gegensätze verschleiern oder übergehen. Alles werde objektiv und gerecht behandelt. Schatten- und Lichtseiten sind gegeneinander abzuwägen. Gesellschaftskunde, Lebenskunde und religiöse Betrachtung bieten dazu reichlich Anlaß und Gelegenheit

49. Damit die ländliche Bildungsarbeit von den Volksbildnern soweit als möglich einheitlich gepflegt werde, ist eine einheitliche Einstellung, Ausbildung und Fortbildung dieser Kräfte unerläßlich. Sie erfolgt zweckmäßig durch die bäuerlichen Volksbildungsheime nach den später in den Leitsätzen für die Heranbildung von Volksbildnern angegebenen Gesichtspunkten. Das Volksbildungsheim verfügt nicht nur über hauptamtliche Lehrkräfte, die sich ständig mit den einschlägigen Bildungsfragen und der Gesamtentwicklung des bäuerlichen Bildungswesens befassen, sondern es ist auch ein berufener Mittelpunkt für Beratung und Erfahrungsaustausch der ländlichen Volksbildner (Arbeitsgemeinschaft).

Die bäuerlichen Bildungsheime sollen daher Kurse für alle in der verantwortlichen Dorfarbeit stehenden Angehörigen von Intelligenzberufen abhalten, das Schrifttum sammeln und den ländlichen Volksbildnern organisatorisch und pädagogisch mit Rat und Tat an die Hand gehen.

Die Volksbildner ihrerseits sollen mit Hintansetzung aller persönlichen [S. 179] Interessen oder Gegensätze treu an diesem Mittelpunkte festhalten, um der gesamten Sache alle vorhandenen Kräfte nutzbar zu machen.

Die bäuerlichen Volksbildungsheime sind ebenfalls auf Zusammenschluß und Erfahrungsaustausch auf periodischen größeren Tagungen angewiesen, um ihre Arbeit in materieller und methodischer Hinsicht vervollkommnen zu können.

Bildungspflege am ländlichen Handwerk.

50. Der ländliche Handwerkerstand bedarf ebenso wie der Bauernstand der Kulturfürsorge aus seinem Lebenskreise heraus; denn er ist seit der Zerstörung der Ständeordnung um seine eigene alte, allerdings großenteils schon hohl gewordene Kultur gekommen. Ihm die Kraft zu verleihen, daß er eine neue, zeitgemäße handwerkliche Kultur entwickle, ist auch im Hinblick auf die durch den Niedergang des ländlichen Handwerks eingetretene Verödung der materiellen Volkskultur und Volkskunst von besonderer Bedeutung. Es müssen neue gestaltende Kräfte entwickelt werden, die Bildung im Handwerkerstand auf eine höhere Stufe zu heben. Für gute Vorbilder neuzeitlicher Handwerkskunst und Stilkunde in Verbindung mit einer praktischen Förderung handwerklicher Berufe ist zu sorgen. Diesem Zwecke dienen Handwerkerwochen in bäuerlichen Volksbildungsheimen oder als Sonderkurse und eine damit im Zusammenhang stehende ausstrahlende Tätigkeit bäuerlicher Volksbildungsheime. Hierin ist einvernehmlich mit der Gewerbeförderung vorzugehen.

Das Dorfheim.

51. Schule und Pfarrhaus werden oft gemieden, wenn Belehrung befürchtet wird. Das Gasthaus aber ist kein geeigneter Ort für Unterricht und Bildungspflege.

Es bedarf alkoholfreier Dorfheime als Kulturpflegestätten, in denen alle Dorfbewohner, namentlich die Ledigen, ruhige, lichte, heimelige Aufenthaltsräume mit guten Büchern und Zeitungen finden, und wo sie auch über ihren Alltag erhoben werden. Dorfbücherei, Dorfmuseum, Schulküche, Nähstube, Kindergarten, Wannenbäder und das Heim der Dorfschwester können in einem geräumigen, für diesen Zweck bestimmten Bauernhaus oder in einem aufgelassenen Dorfwirtshaus als Dorfheim untergebracht werden. Alle Rauch- und Rauschgifte sind auszuschließen. Solche Heime gibt es in Deutschland und in der Schweiz in großer Zahl, in Oesterreich vereinzelt2 Schaffet Dorfheime!

Hilfsmittel ländlicher Bildungspflege.

52. Der ländlichen Bildungsarbeit stehen außer der wirksamen Arbeit im Bauernhaus selbst oder in der gelegentlichen Einflußnahme hauptsächlich folgende Bildungsmittel und -Wege zur Verfügung:3

a) der belehrende Vortrag und das Rundgespräch. Sie können sich auf die einfachste sachliche Frage beziehen, dürfen aber nie ohne [S. 180] kulturellen Hintergrund sein. Besonders wichtig ist die überzeugende Anschaulichkeit und Volkstümlichkeit.

b) Die Büchereiarbeit. Sie sei bauerngemäß im Sinne der heutigen Lage des Bauerntums, bodenständig und werde tunlichst auf eine einzige gemeinsame Bücherei im Dorfe beschränkt.

c) Die Pflege von Sitte und Brauch im Alltag und bei feierlichen Anlässen.

d) Die Verinnerlichung und Verschönerung des religiösen Einzel- und Gemeinschafslebens, besonders der Hauptfeste im Kirchenjahr und des religiösen Erlebens in den Wendepunkten des Menschenlebens.

e) Verständnisvolle Pflege der gestaltenden und schmückenden Volkskunst (Aufschriften, Bildschnitzerei, Malerei, schöpferisches Gestalten im ländlichen Handwerk, Handfertigkeiten, Nadelkunst, Pflege des Farbengefühls und des Sinnes für Ebenmaß, Schönheit und Form, für Harmonie der Erscheinung, Wohnkultur und Bildschmuck im Bauernhaus).

f) Pflege der Ausdruckskunst, darstellenden Volkskunst und der Neugestaltung dörflicher Festkultur. Hierher gehören außer den bekannten Zweigen: Lied, Musik, Tanz, Spiel besonders die Volksdichtung, die Spruchweisheit, die schlagfertige und witzige aber harmlose Unterhaltung, Sprach- und Sprechkultur und die persönliche Haltung im Verkehr.

g) Erziehung zur kulturell richtigen Beurteilung und Benützung von Film, Rundfunk und Schallplatten.

h) Körpererziehliche Maßnahmen. Körperpflege und Leibesübungen, die dem Geschlecht. Alter und Beruf angepaßt sind, sollen dem einzelnen einen bis ins hohe Alter leistungsfähigen und widerstandsfähigen Körper geben. In unmittelbarer Verbindung damit stehe eine richtige Ernähungsweise, ohne die eine zweckmäßige Körperbildung undenkbar ist.

i) Willensübungen, namentlich bei der Jugend, durch geregelte Tageseinteilung und Lebensweise, Enthaltung von Rauschgiften und Glücksspielen, Ueberwindung von Trägheit und falschen Hemmungen, ferner durch Selbstbeherrschung und Auferlegung von Entbehrungen und freiwilligen Entsagungen; so z. B. im Hinblick auf die Erziehung zur Sparsamkeit, auf sexuelle Enthaltsamkeit und behufs Gewöhnung an bewußte Einordnung im Dienste der Gemeinschaft.

k) Für Frauen und Mädchen außerdem im besonderen Unterweisungen theoretischer und praktischer Art: in der richtigen Ernährung und im Kochen, in der Gesundheitslehre, Säuglings-, Kinder-. Kranken- und Alterspflege. in der sparsamen Wirtschaft (Erwerbung, Aufbewahrung und wirtschaftlicher Ausnützung von Bedarfsgegenständen und Abfällen aller Art), in der zweckmäßigen Herstellung, Pflege, Ausbesserung und Verschönerung geschmackvoller, haltbarer und volksgerechter Kleidung und Wäsche, mit besonderer Pflege der Warenkunde; in der Verschönerung des Lebens und des Heimes.

Erfahrungsgrundsätze für die praktische Arbeit.

53. Einleitung, Methoden und Mittel der ländlichen Volksbildung müssen [S. 181] sich nach den umständen richten und weichen daher oft wesentlich von einander ab. Vieles steht noch in Diskussion; es fehlen genügende einheitlich durchgeführte Beobachtungsreihen. Nur eine ständige Arbeitsgemeinschaft ländlicher Volksbildner im Sinne der in P. 49 erwähnten Gemeinschaften kann planmäßige Versuche mit hinlänglichem Material anstellen (P. 62). Dies wäre dringend notwendig. Eine Unterstützung dieser Arbeit durch die landwirtschaftlichen Hauptkörperschaften und durch die Staatsbehörden ist unerläßlich.

Schon jetzt stehen gewisse Erfahrungsgrundsätze für die praktische Arbeit fest, und zwar:

a) Nicht schaden! Jedes Zuviel schadet. Deshalb: Nicht zu viel Volksbildung treiben! Selbst wachsen lassen, nur helfen, nichts als helfen! Der neue Bauerntyp (P. 41) muß sich aus eigener Kraft entwickeln. Vor allem keine Ueberfeinerung! Es schadet aber auch alles Unzeitgemäße, Unrichtige, Art- und Entwicklungsfremde. Selbst an sich richtige Maßnahmen können, übermäßig oder irrig angewendet, ihren Zweck verfehlen.

Nicht zuviel auf einmal erreichen wollen, lieber mit kleinen Erfolgen zufrieden sein! Sie sind nachhaltiger. Zeit lassen!

b) Die rechte Zeit und den rechten Ort wählen! Hausbank und Ofenbank sind der richtige Platz für den Volksbildner. Man muß den Bauer ferner von der richtigen Seite nehmen. Zuerst sein Vertrauen erwerben!

c) Alle Volksbildungsarbeit im Dorf muß vom Elementaren ausgehen. Erst das Fundament legen!

d) Ländliche Bildungsarbeit muß lebensvoll und praktisch sein, immer vom Menschen, vom Tatsächlichen, von Beispielen aus dem bäuerlichen Leben ausgehen und immer wieder zur praktischen Anwendung im bäuerlichen Leben zurückkehren.

e) Anerkenne das Gute und Schöne im Bauernhaus und Bauernleben! Lob und Anerkennung im richtigen Maß sind wichtige Volksbildungsmittel.

Die Fortbildungsschule.

54. Der Bauer braucht eine gründliche berufliche neben der gediegenen Allgemeinbildung. Soweit er nicht in der Lage ist, diese berufliche Bildung in landwirtschaftlichen Fachschulen und Fachkursen zu erwerben, bietet ihm die Fortbildungsschule die einzige Möglichkeit dazu.

Aber auch der Besuch eines bäuerlichen Volksbildungsheimes zum Zwecke der Erlangung einer gediegenen Allgemeinbildung ist nur einem sehr geringen Hundertsatz der ländlichen Bevölkerung möglich. Das bäuerliche Volksbildungsheim kann daher nur eine Schule für eine Auslese dörflicher Charaktere darstellen, die ihrerseits wieder im Dorfe Kulturarbeit leisten sollen.

Deshalb fällt der Fortbildungsschule auf dem Lande sowohl in beruflicher als auch in volksbildnerischer Hinsicht ein wichtiger Aufgabenkreis zu. Die Lösung dieser Doppelaufgabe ist bisher nur in Steiermark (System St. Martin: Ländliche Fort- und Volksbildungsschulen auf dem Dorfe, geleitet von bauernkundlich und volkspädagogisch geschulten Pflichtschullehrern [S. 182] und Laienlehrkräften unter Mitwirkung fachlicher Lehrkräfte) annähernd befriedigend gefunden worden.

55. Der in den einzelnen Ländern ganz verschiedenen oder auch völlig mangelnden Regelung des ländlichen Fortbildungsschulwesens entsprechend, herrschen Meinungsverschiedenheiten darüber,

a) ob die Fortbildungsschule eine pflichtgesetzliche oder die Teilnahme daran eine freiwillige sein soll;

b) ob sie unmittelbar an die Volksschule anschließen oder erst nach einer häuslichen Lehrzeit beginnen soll;

c) ob sie der Hauptsache nach nur eine Wiederholung und Ergänzung des Volksschulwissens und nur eine Anbahnung der beruflichen Ausbildung bieten oder aber schon ein Mindestmaß beruflicher Ausbildung vermitteln soll;

d) ob sie eine allgemein ländliche oder eine rein bäuerliche Fortbildungsschule sein soll;

e) ob der landwirtschaftliche Fachlehrer oder der Pflichtschullehrer der Volks- oder Hauptschule die Fortbildungskurse leiten soll.

Diese Fragen werden in jedem Lande von den betreffenden Kreisen im Einvernehmen mit den bäuerlichen Volksbildungsheimen und den zuständigen Behörden zu klären sein.

In Steiermark, Niederösterreich, Oberösterreich und im Burgenland hat sich der Grundsatz der Freiwilligkeit und die Beschränkung auf die Lebensalter vom 17. und 18. Jahr an durchaus bewährt.

56. Zur Aufschließung der Landbevölkerung für die Förderungsmaßnahmen landwirtschaftlicher und agrarpolitischer Richtung haben sich turnusmäßige Wanderkurse mit freiwilliger Beteiligung und geringem Teilnehmerbeitrag als Vorstufe für Standkurse bewährt. An diesen Kursen beteiligen sich zum Vorteil ihres Lehrerfolges bei geschicktem Vorgehen eines tüchtigen Lehrers auch Erwachsenen in vorgerückten Jahren.

Namentlich bei Burschen empfehlen sich mehrstufige, d. h. auf mehrere Jahre erstreckte Kurse von je mehrwöchiger Dauer.

Die Mädchen dürfen in ihrer Fortbildung gegenüber den Burschen nicht zurückgesetzt werden.

Standkurse haben den Vorteil, daß der Leiter sich ins Dorf einleben und den Absolventen ein Führer sein kann. Dann wird die Fortbildungsschule ein Mittelpunkt des geistigen Lebens im Dorf.

Fachschullehrer haben infolge ihrer hauptberuflichen Bindung schwerer die Möglichkeit, eine solche Führerrolle in ihren Dörfern zu übernehmen.

57. Die bäuerliche Fortbildungsschule arbeitet zweckmäßig nach einem Rahmenlehrplan und mit Gesamtunterricht. Dieser gestattet entsprechende Beweglichkeit hinsichtlich lokaler und temporärer Verhältnisse. Der Unterricht muß sich jeweils ganz den Bedürfnissen des Tages anpassen. Für den Erfolg der Arbeit hat die laufende Korrektur des Lehrplanes ganz besondere Bedeutung.

Wo sich der gefächerte Unterricht nicht vermeiden läßt (wie bei Fachlehrervorträgen) muß der ständige Leiter für die entsprechende innere und äußere Verbindung des Lehrgutes sorgen. Das bedingt eine entsprechende gediegene und vielseitige Bildung dieses Leiters.

Als Grundpfeiler der Steinberger’schen Erfolge in Steiermark hat sich [S. 183] eine gewisse Mitbestimmung der Schüler an der Gestaltung des Unterrichtes im Rahmen des Lehrplanes bewährt.

Zur Belebung des Fortbildungsunterrichtes, der an die zuerst geistig wenig lebendigen und aufnahmefähigen Schüler große Anforderungen stellt, ist die Anwendung der modernen Lehr- und Anschauungsmittel sowie sonstiger Hilfen sehr zu empfehlen. (Diaskopisches und episkopisches Lichtbild, Rundfunk, Film, Schallplatte, Wandbild, Aufschreibung des Wichtigsten auf der Tafel, Experiment und Vorführung, Hinführung zum Objekt, Beobachtungsübungen, Lehrtexte für die Hand des Schülers mit Tabellen und schematischen Zeichnungen, Klassenlektüre, Rundgespräch usf.)

58. Im Mittelpunkt des Fortbildungsschulunterrichtes muß die landwirtschaftliche Naturkunde stehen. Sie bereitet die Aufnahmefähigkeit der Schüler für die fachliche Unterweisung durch die mitwirkenden Fachleute vor. Die Schule muß ja besonders das pflegen, was im Bauernhause und in der Bauernwirtschaft gebraucht wird (P. 17, 27).

59. Da die Fortbildungsschule für die meisten Bauernkinder die einzige außerschulische Bildungsmöglichkeit darstellt, muß sie auch das bäuerliche Berufsethos, d. h. die alte bäuerliche Berufsauffassung als göttliche Mission und Schicksal sowie die Erziehung auf sittlich religiöser Grundlage pflegen. Die berufliche Bildung darf nicht zu äußerlich aufgefaßt und betrieben werden.

60. Für die fachliche ebenso wie für die allgemein menschliche Bildungsarbeit sind die Vierzehnjährigen noch zu jung. Erst nach der Pubertät kommt das Erkenntnisalter. So viele Vorteile die unmittelbare Angliederung der Fortbildungsschule an die allgemeine Volksschule, namentlich hinsichtlich der Ausnützung jener Zeit hat, in der die Jugendlichen für die schwere Bauernarbeit noch zu schwach sind und Lebensraum für ihre Reifung brauchen, so wenig ertragreich ist eine Pflichtschule in diesem Alter. Mit Pflichtschülern ist schwer zu arbeiten.

Die allgemeine ländliche Fortbildungsschule mit der bloßen Wiederholung des Elementaren nach Volksschulmethoden ohne gediegene berufliche Bildungsarbeit befriedigt nicht, weil sie weder der Bauernschaft noch den übrigen ländlichen Kreisen Nutzen bringt, fachlich und erzieherisch zu wenig bietet.

61. Allgemein ist der Wunsch nach einer möglichst gediegenen Aus- und Weiterbildung der in der Fortbildungsschule auf dem Land wirkenden Lehrkräfte, und zwar auch in volksbildnerischer Hinsicht. Man erkennt, daß es hier auf eine besondere Auslese nach Neigung und Eignung ankommt und daß neben einer landwirtschaftlich-naturkundlichen Schulung die Einführung in die bäuerliche Volks- und Seelenkunde sowie in die Methodik der Erwachsenenbildung erforderlich sei.

Man stimmt darin überein, daß der Pflichtschullehrer das Verständnis für den fachlichen Unterricht vorbereiten soll, daß aber dieser nur von landwirtschaftlichen Fachleuten zu erteilen ist.

62. Um für jedes größere, in sich stammlich, wirtschaftlich und kulturell einheitliche Gebiet die richtige Art der Fort- und Volksbildungsarbeit zu ermitteln, müßten ausgewählte, für die Kulturarbeit und Bildungspflege an Erwachsenen wohlgeschulte Lehrerpersönlichkeiten mit Versuchkursen systematisch betraut werden (P. 53).

[S. 184] 63. Nach dem Beispiele Steiermarks erscheint die bäuerliche Fortbildungsschule berufen, die Keimzelle für einen Bildungsmittelpunkt des Dorfes zu sein, wenn es der Leiter versteht, das Vertrauen der reiferen Jugend und ihrer Eltern zu gewinnen und Vorträge des landwirtschaftlichen Förderungswesens, die volkstümliche Bücherei und anderes mit der Fortbildungsschule in Beziehung zu bringen. Gleichzeitig hat die Fortbildungsschule auch die Aufgabe, die Schulentwachsenen auf die landwirtschaftlichen Fachschulen entsprechend vorzubereiten, so zwar, daß diese keine Zeit mit der Wiederholung von Elementargegenständen und mit dem Unterrichte in den Grundzügen der landwirtschaftlichen Naturkunde zu verlieren brauchen.

64. Da die Lehrpläne, Behelfe und Methoden der Fortbildungsschule in innigem Zusammenhange stehen mit jenen der Volksbildungsarbeit, erscheint eine Zusammenarbeit der Lehrkräfte der Fortbildungsschule mit den Volksbildnern und Büchereileitern in der im Punkte 49 angeführten Arbeitsgemeinschaft geboten (Siehe auch P. 53 und 69.)

Damit diese Arbeitsgemeinschaft sich lebendig und organisch entwickle, sollen die angeschlossenen Volksbildner nicht nur über ihr Erfolge, sondern auch über ihre Mißerfolge und deren Ursachen offen und rückhaltlos im Interesse der Sache berichten.

65. Die schwebenden Fragen der Fortbildungsschule sind auch zum Gegenstande besonderer Enqueten und Tagungen zu machen, die jedoch nach Möglichkeit landschaftlich getrennt vorzubereiten sein werden, um den verschiedenartigen Verhältnissen zunächst unter Ausschaltung des Trennenden Rechnung tragen zu können.

66. Die Landwirtschaft steht vor der Frage, ob nicht ein besonderes Berufsausbildungsgesetz für die Stützung und zeitgemäße Entwicklung der bäuerlichen Landwirtschaft und für eine Ausbildung der landwirtschaftlichen Hilfskräfte von Vorteil wäre.

Auf jeden Fall bedarf das Fortbildungswesen einer den heutigen Bildungsnotwendigkeiten Rechnung tragenden gesetzlichen Regelung.

Der ländliche Volksbildner.

67. Alle, die in bevorzugter Stellung mit gesichertem Einkommen auf dem Lande leben und Bildung erworben haben, sollten sich verpflichtet fühlen, der Landbevölkerung kulturelle Hilfe zu leisten und dabei namentlich den Aermeren beizustehen.

68. Volksbildnerisch wirken, d. h. Schulentwachsene und Erwachsene so unterrichten und erziehen, wie das Leben und das Gewissen es fordern, soll allerdings nur der, der den Beruf dazu wirklich in sich trägt und sich gewissenhaft auf die besonderen Aufgaben dieses Berufes vorbereitet hat.

Wahre Berufung zum ländlichen Volksbildner setzt voraus, daß man mit immer neuer Freude am Lehren zu seinen Schülern kommt, daß man leicht und dauernd ihre Herzen gewinnen kann. Die Liebe zum Landvolk stärkt einem solchen Volkslehrer die Geduld und Unverzagtheit im Führen und Veredeln trotz mancher Enttäuschung. Er braucht ein großes Maß Selbstverleugnung, Aufopferungsfähigkeit und Gottvertrauen, um aller Schwierigkeiten und aller Verkennung Herr zu werden. Tiefe Einsicht in alles Menschliche [S. 185], die unerläßliche Einfühlungsgabe und die eigene geläuterte Kultur in seelischer und körperlicher Hinsicht, in Haltung, Ausdruck und Lebenssitte verhelfen ihm zum Erfolg. Ausschlaggebend sind der lebendige innere Antrieb und die seelische Befähigung zur Formung des ländlichen Menschen (volksbildnerische Haltung).

Wer andere erziehen und bilden will, muß zuerst in sich selbst das Vorbild dazu gestalten, also bei der Besserung des eigenen Wesens beginnen. Der Volksbildner auf dem Lande muß ja vor allem durch das eigene Beispiel wirken.

69. Wer wenig hat, kann nur wenig geben; darum darf die Bedeutung eines umfassenden, geordneten und geklärten Wissens nicht unterschätzt werden. Vor allem kommt es auf die theoretische und praktische Vertiefung in Volkskunde, Bauernkunde, Volkspsychologie, Volkspädagogik, Soziologie und Wirtschaftskunde und speziell auf ein entsprechendes Vertrautsein mit der Bauernwirtschaft an.

Der ländliche Volksbildner muß ferner den industriestädtischen Lebenskreis nicht minder kennen wie den ländlichen, um die volksbildnerische Gerechtigkeit wahren und dem ländlichen Nachwuchs ein richtiges Urteil über die Stadt und ihre Kräfte vermitteln zu können (P. 43, 48).

Damit alle jene, die wahre Volkslehrer werden wollen, die gehörige Ausbildung dazu erwerben können, wären namentlich in bäuerlichen Volksbildungsheimen internatsmäßige Schulungskurse von mindestens vierwöchiger Dauer mit einem sorgfältig durchdachten, diesen Leitsätzen Rechnung tragenden Arbeitsplane für Dorfbildner einzurichten. In diesen Kursen soll Gegenwarts- und Wirklichkeitskunde betrieben werden; denn es gilt die Stärkung für ein hartes Leben der Gegenwart und Zukunft. In diesem Rahmen ist außer den oben angeführten Wissensgebieten der religiösen und lebenskundlichen Vertiefung, den naturkundlichen Gebieten und der Staatsbürgerkunde im höheren Sinn, sowie der Technik ein Hauptaugenmerk zuzuwenden. Es versteht sich von selbst, daß diese Unterweisung nicht durch nebeneinander gestellte dozierende Vorträge, sondern in einer wirklichen Arbeitsgemeinschaft durch die besten und erfahrensten Volksbildner erfolgen soll. Aehnliche Kurse brauchen die Lehrkräfte der Fortbildungsschule auf dem Lande. Erprobung, Prüfung, Eichung und Auslese tun not.

70. Der Volksbildner muß erst selbst im Dorfe heimisch werden, das Vertrauen der Gemeinde gewinnen und rechtfertigen, ehe er an seine eigentliche Arbeit gehen kann. Er muß daher vor allem bodenständig werden und darf nicht bauernfremd unterrichten und erziehen.

71. Damit man mit dem Landvolke verwachsen kann, muß man lange Jahre in einer Gemeinde wirken. Häufige Versetzungen und unsteter Aufenthalt sind der ländlichen Kulturpflege nicht zuträglich. Freilich sollen in den Dörfern und namentlich in entlegenen Tälern nur wirklich auf opferwillige Kulturarbeit am Landvolk eingestellte und darauf gut vorbereitete Lehrer und Seelsorger wirken. Bewährte Kulturträger dieser Art verdienen besondere Beachtung und Förderung! Es ist grundfalsch und kulturell nicht zu verantwor- [S. 186] ten, wenn unzulängliche oder ungeeignete Kräfte ins Dorf entsendet werden. (P. 15, a.) Dieses bedarf vielmehr tüchtiger und liebevoller geistiger Führer.

In diesen Punkten könnten die Schulaufsichts- und die geistlichen Behörden viel Gutes stiften.

72. Eine sehr wichtige Voraussetzung für die Verwurzelung des Volksbildners im Dorfe ist eine freundliche gesunde Wohnung daselbst.

Finanzfragen.

73. Ausbildung und Fortbildung sollen den Volksbildner nicht viel, die Arbeit soll ihn nichts kosten als Zeit und Mühe; doch läßt sich oft bei Beginn der Volksbildungsarbeit ein weitergehendes Opfer kaum vermeiden.

74. Wer den Beruf zur Volksbildungsarbeit in sich fühlt, wird nicht zuerst nach Entlohnung fragen, sondern vor allem den Erfolg seiner mit Liebe und Freude begonnenen Arbeit für das Landvolk im Auge haben. In dieser Hinsicht hat sich das Prinzip der Freiwilligkeit seitens der Volksbildner auch wegen der damit verbundenen Auslese bewährt. Lehrer oder Volksbildner, die nur aus Zwang oder nur um der Entschädigung willen arbeiten, werden keine besonderen Erfolge erzielen.

Viel wichtiger, schwierig aber lösbar ist die Frage der laufenden Beschaffung der Mittel für die Bedeckung der sonstigen Kosten der Volksbildungsarbeit (Bücher, Papier, Schreib-, Lehr- und Hilfsmittel, Raum, Heizung, Beleuchtung usf.).

Der Weg dazu ist: Klein anfangen! Durchkämpfen! Die Kinderkrankheiten überwinden! Mit dem Vertrauen und Erfolg kommen die Mittel.

Ob verdiente Volksbildner für ihre Mühe entschädigt werden sollen, hängt nicht nur von den Mitteln, sondern auch davon ab, ob der Volksbildner geneigt ist, eine Entschädigung anzunehmen.

Bildungsarbeit an den übrigen Ständen zugunsten der Landbevölkerung.

75. Die aus der inneren und äußeren Entwurzelung des Bauerntums und der Landarbeiter entstehenden Gefahren müssen allen dafür in Betracht kommenden Kreisen, besonders allen Führenden, in Wort und Schrift, durch Tagungen und durch volkskundliche Beeinflussung in Kursen zum Bewußtsein gebracht werden, damit sich die Ueberzeugung von der Notwendigkeit einer ehesten Behebung der Ursachen dieser Gefahren tief einwurzle und zu einer aktiven Unterstützung der kulturellen Bildungsarbeit auf dem Lande, namentlich aber der bäuerlichen Volksbildungsheime als der wichtigsten Stützpunkte für die Arbeit führe.

Anmerkungen:

1 [S. 165] Volksbildung, Wien, X. Jahrgang 1930, Heft 7/8.

2 [S. 179] Vgl. S. 49. P. 7.

3 [S. 179] Vgl. auch die Leitsätze zur Frage „Pflege der Volksart im Rahmen der Volksbildungsarbeit“, Volksbildung, Wien, X. Jahrg. 1930, Nr. 7/8, S. 229 f.

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