Laudatio auf Elisabeth Nöstlinger anlässlich der Verleihung des Staatspreises für Bildungsjournalismus am 18.11.2008

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Author/Authoress:

Liessmann, Konrad Paul

Title: Laudatio auf Elisabeth Nöstlinger anlässlich der Verleihung des Staatspreises für Bildungsjournalismus am 18.11.2008
Year: 2008

Sehr geehrte Frau Bundesminister,
sehr geehrter Herr Generaldirektor,
liebe Elisabeth Nöstlinger,
meine Damen und Herren!

Die Tatsache, dass hier und heute zum ersten Mal ein Staatspreis für Bildungsjournalismus vergeben wird, legt es nahe, vorerst einige wenige Worte über die Idee der Bildung selbst zu verlieren. Ist gegenwärtig nämlich von Bildung die Rede, dann denkt fast niemand mehr an die neuhumanistischen Ideale, die mit diesem, im deutschen Sprachraum erst seit dem späten 18. Jahrhundert gebräuchlichen Begriff einstens assoziiert waren. Im gegenwärtigen Diskurs fungiert „Bildung“ als Sammelbegriff für all jene Lern- und Trainingsprozesse, denen sich die Menschen unterziehen müssen, um im Kampf um die knapper und anspruchsvoller werdenden Arbeitsplätze mithalten zu können. Als ein - wenn auch nicht alleiniges - Kriterium für die Qualität von Bildungseinrichtungen fungiert dann auch folgerichtig die Nähe zum Arbeitsmarkt. Bildung wird in der Regel mit Ausbildung gleichgesetzt.

Was bei einer Reduktion von Bildung auf Ausbildung allerdings verloren gehen könnte, wird klar, wenn man sich an der Bestimmung der Differenz von Bildung und Ausbildung orientiert, wie sie etwa der Berliner Philosoph Peter Bieri, der unter dem Namen Pascal Mercier auch als Romancier bekannt geworden ist, in einem im Jahre 2005 gehaltenen Vortrag an der Pädagogischen Hochschule Bern formuliert hat: „Bildung ist etwas, das Menschen mit sich und für sich machen: Man bildet sich. Ausbilden können uns andere, bilden kann sich jeder nur selbst. Das ist kein bloßes Wortspiel. Sich zu bilden, ist tatsächlich etwas ganz anderes, als ausgebildet zu werden. Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können. Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden - wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein.“

Im Gegensatz zu vielen sieht Bieri dann auch kein allzu großes Problem darin, die wesentlichen Dimensionen von Bildung auch inhaltlich zu bestimmen. Selbstorientierung, Aufklärung, historisches Bewusstsein, Artikuliertheit, Selbstbestimmung, moralische Sensibilität und poetische Erfahrung gelten Bieri als jene Faktoren, an denen sich die Bildungsprozesse von Menschen orientieren sollten. Bildung, so Bieri, ist deshalb nicht denkbar ohne Neugier, ohne Leidenschaft, ohne Reflexion und Selbstreflexion, ohne Wertung und Bewertung, ohne das Wagnis, sich durch das, was man im Bildungsprozess erfährt, verändern zu lassen. Ausbildung hingegen orientiert sich an operationalisierbaren Kenntnissen und Fähigkeiten, die nicht in Hinblick auf ihr bildendes Potential, sondern in Hinblick auf die Einsetzbarkeit des Menschen für verschiedene Zwecke vermittelt und geübt werden.

Aus dieser Überlegung wird klar, dass Bildung von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen muss, als Ausbildung, es wird aber auch klar, dass die Frage nicht sein kann, Bildung oder Ausbildung, sondern in welchem Verhältnis Bildungsprozesse zu Ausbildungsgängen stehen können. In welcher Weise man in der Welt ist, ist nicht ganz unabhängig davon, was man weiß und was man kann. Aber der Erwerb von Qualifikationen ist etwas anderes als die Arbeit an sich selbst. Bilden hat tatsächlich viel mit Formen und Gestalten zu tun, die Idee der Bildung ist stets vom Individuum, vom Subjekt her gedacht worden, obwohl kein namhafter Bildungstheoretiker je darauf vergessen hätte, dass jedes Individuum in einer Gemeinschaft mit anderen Menschen lebt und Bildung nur im Austausch mit anderen gelingen kann.

Stimmt man der Unterscheidung von Bildung und Ausbildung, wie sie etwa Peter Bieri vorschlug, zu, so ergeben sich daraus auch einige interessante Konsequenzen für die Organisation von Bildungsprozessen. Da wir uns nur selbst bilden, aber von anderen ausgebildet werden können, können, in einem strikten Sinn, nur Ausbildungsprozesse organisiert, kontrolliert und operationalisiert werden. Nur was jemand kann, kann überprüft werden, nicht, wie jemand in der Welt ist. In der Transformation unserer Bildungssysteme in effiziente Ausbildungsstätten liegt deshalb durchaus eine gewisse Logik. Zu glauben, dass man in der Schule die Emanzipation des Menschen und die Entfaltung von Freiheit und Schönheit so lernen könnte wie Rechnen und Schreiben, war und ist ein Irrtum. In dem Maße aber, in dem Bildung nicht als private Idiosynkrasie, sondern als notwendige Voraussetzung einer Gesellschaft erscheint, der es grundlegend um Freiheit und Selbstbestimmung, Autonomie und Würde des Menschen geht, bleibt die Frage nach den Chancen authentischer Bildung eine öffentliche Angelegenheit.

Man muss sich aber im Klaren darüber sein, dass das Gelingen von Bildungsprozessen weder an Standards gemessen noch an Erfolgsquoten welcher Art auch immer überprüft werden kann. Man kann aber Möglichkeiten für das Gelingen von Bildungsprozessen vor allem im öffentlichen Raum bereitstellen, man kann Angebote machen und Anregungen versuchen. Das kann in Schulen, Akademien, Universitäten, Diskursforen geschehen, das kann aber auch und vor allem in öffentlich-rechtlichen Medien geschehen, deren Bildungsauftrag sich an solch einem Konzept von Bildung orientierten könnte. Elisabeth Nöstlinger hat mit ihrer Arbeit für den ORF, namentlich durch ihre Arbeit für Ö1 und durch das von ihr betreute Salzburger Nachtstudio in vorbildlicher Weise dieser Idee von Bildung in einem umfassenden Sinn Rechnung getragen. Durch die redaktionelle Führung dieser seit 50 Jahren bestehenden anspruchsvollen und doch erfolgreichen Sendung, durch die Gestaltung eigener Beiträge, die die Gratwanderung zwischen hohem inhaltlichem Niveau und spannender journalistischer Präsentation scheinbar mühelos meistern, und durch Innovationen wie das „Archiv des Wissens“, das auf höchst originelle Art Denker und Wissenschaftler, die im Salzburger Nachtstudio in den letzten fünf Jahrzehnten zu Wort kamen, mit den Fragen und Problemen der Gegenwart zu konfrontieren weiß, hat Elisabeth Nöstlinger gezeigt, was Bildungsjournalismus zu leisten imstande ist. Die Sendungen etwa über Herbert Marcuse oder Hans Jonas können nicht nur als Sternstunden dieses Genres gewertet werden, sondern auch als Beweis dafür, dass Nachdenken, Reflexion, historisches Bewusstsein und Aktualität sehr wohl ein sinniges und erfolgreiches Sendungskonzept bilden können. Es ist dann auch die Vielfalt und Präzision der Themen, die im Salzburger Nachtstudio präsentiert werden, die diesen Bildungsanspruch unterstreichen. Ich greife nur einige wenige Sendungen der letzten Monate heraus, die ich selbst mit Interesse, Faszination und Gewinn gehört habe: „Von der Kraft des Wortes und der Sozialisation des Menschen durch das Lesen“ - die Bildungsfrage par excellence also -, oder „Philosophie des Geldes“ - das aktuelle Thema schlechthin und eine Sendung, die aus der von Elisabeth Nöstlinger gegründeten Salzburger Diskussionsreihe CityScienceTalk hervorgegangen ist, oder „Liebe - Analyse eines starken Gefühls“ - seit Platon die interessanteste Frage des Lebens und der Philosophie.

Diese wenigen Beispiele zeigen schon, dass es in diesen Sendungen durchaus um lebensweltliche Erfahrungen des Menschen geht, die allerdings aus unterschiedlichen wissenschaftlichen und kulturellen Perspektiven umfassend beleuchtet werden. Und wenn ich einen Blick auf die ersten Sendungen des kommenden Jahres werfe, z.B. - als Pendant zur Liebe - „Von Achilles bis Zidane. Zur Genealogie des Zorns“ oder „'Für Dein Alter sieht Du gut aus'. Normierung des faltigen Körpers“, dann weiß ich, was ich an diesen Abenden im Jänner 09 zu tun habe. Dass ich das weiß, das haben ich und viele andere neugierige Menschen Dir, liebe Elisabeth, zu verdanken. Dass Dir der erste Staatspreis für Bildungsjournalismus verliehen wird, ehrt nicht nur Dich, sondern durch Dich als Preisträgerin ist auch die Idee der Bildung in ihrem öffentlich-rechtlichen Kontext geehrt. Dazu gratuliere ich Dir von Herzen.

(Elisabeth Nöstlinger, Wissenschaftsjournalistin und Producerin der Ö1 Sendereihe „Salzburger Nachtstudio“, ist die erste Trägerin des „Österreichischen Staatspreises für Bildungsjournalismus“.)

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