Einst und Jetzt der Naturwissenschaft in Oesterreich. Eröffnungsrede der 32. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Wien, am 16. September 1856

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Author/Authoress:

Hyrtl, Josef

Title: Einst und Jetzt der Naturwissenschaft in Oesterreich. Eröffnungsrede der 32. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Wien, am 16. September 1856
Year: 1856
Source:

Wiener Medizinische Wochenschrift. Ausserordentliche Beilage „Archiv der XXXII. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, 1856, Nr. 2 (vom Mittwoch, 17. September)“, 6. Jg., 1856, Nr. 38, Spalte 17-23.

[Sp. 17] Als in der letzten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Göttingen, Oesterreichs Hauptstadt zum nächsten Vereinigungsorte gewählt wurde, ward mir der ehrenvolle Auftrag zu Theil, in Verbindung mit Professor Schrötter, die Geschäftsleitung dieser Versammlung zu übernehmen.

In freudiger Erwiederung des uns geschenkten Vertrauens hatten wir im verflossenen Jahre die Vorbereitungen getroffen zum würdigen Empfang unserer werthen Gäste, zur Förderung ihrer wissenschaftlichen Zwecke.

Näher und näher rückten die schönen Tage festlicher Vereinigung, – mit ihnen aber auch die bange Ahnung, die bei der unerwarteten Wiederkehr jener allbekannten und gefürchteten Seuche die Freude unseres Hoffens störte.

Die Sorge wuchs mit jeder neuen Kunde des verheerenden Zuges der Cholera, und legte uns zuletzt mit gebieterischem Drang die Pflicht auf, im wohlverstandenen Interesse des Vereins und unserer Stellung zu ihm, die Vertagung der Versammlung auszusprechen.

Wir hatten nicht anders gekonnt, wenn wir nicht die Ursache sein wollten, dass eine Versammlung, welche unter günstigeren Umständen eine der zahlreichsten und glänzendsten zu werden versprach, unbeachtet und unbesucht verkümmerte unter dem Druck von Ereignissen, die das fühlende Herz der Trauer, nicht der Freude öffnen, und die heitere Ruhe, die des Geistes Arbeit erheischt, mit dumpfer Besorgniss stört.

Wir konnten nicht hoffen, dass jene Gelehrte, deren Forschungen in keiner unmittelbaren Beziehung zur Heilkunde stehen, sich veranlasst fühlen sollten, die nähere Bekanntschaft einer Krankheit zu suchen, deren räthselhaftes Wesen zu ergründen nicht ihre Aufgabe ist. Wir durften selbst nicht erwarten, dass Aerzte, durch ihre Stellung und mehr noch durch ich Pflichtgefühl gefesselt an den heimischen Herd, in den Tagen schwerer Heimsuchung einer Versammlung zuströmen würden, die neben dem Ernst der Wissenschaft, des Lebens heiterste Genüsse stellt.

Und hätte nach des Himmels unerforschlichem Willen, der Genius des Lebens am Sarge eines unserer werthen lieben Gäste seine Fackel gesenkt, und die fremde Erde geöffnet sich zu seinem Grabe, wer hätte von uns genommen den Vorwurf der schwersten Verantwortlichkeit? –

Wir haben nicht anders gekonnt, – und so möge denn unsere Vorsicht auch unsere Rechtfertigung sein! –

Vorüber zog die unheilvolle Zeit. – Kein Klagelaut trübt die verspätete Freude des Wiedersehn’s, – kein Trauerflor weht von ledigen Sitzen theuer gewordener Freunde, die mit letztem Händedruck in Göttingen die Zusage ihres Kommens uns gegeben.

Und so erfülle ich nun mit freudegehobenem Herzen meines Amtes erste, schönste, und mir wertheste Pflicht, indem ich den Gruss herzlichen Willkommens einer Versammlung zurufe, in welcher mich [Sp. 18] die ausgezeichneten Vertreter aller Kreise naturkundiger Forschung und ärztlichen Wirkens umgeben.

Nicht mein persönliches Gefühl allein spricht sich in diesem Zurufe aus. Er ist zugleich der Ausdruck der Huldigung, der Ihnen entgegentönt von den Bürgern dieser Stadt, von den Bewohnern dieses Landes, von tausend warmen Freundesherzen, die in meinem schönen Vaterlande für Ruhm und Grösse deutscher Wissenschaft schlagen.

Willkommen also hier am Donaustrand! – kein Ister gelidus für Uns, wie ihn einst der römische Dichter nannte. Willkommen in der alten deutschen Kaiserstadt! Willkommen unter Freunden, die Ihrer Gegenwart sehnsuchtsvoll zwei lange Jahre entgegengeharrt!

Zum zweiten Male erfreut sich Wien Ihres Besuches. Vierundzwanzig Jahre sind seit der ersten Versammlung in seinen gastlichen Mauern hingegangen. Eine kurze Spanne Zeit im Vergleich zum ewigen Fortschritt der Wissenschaft, – gross und folgenreich in der Entwicklung der wissenschaftlichen Zustände des österreichischen Kaiserstaates!

Erlauben Sie mir, dass ich als Einleitung in unsere gemeinsamen Arbeiten die Umstaltung unseres geistigen Lebens berühre, sein Einst und sein Jetzt zusammenstelle, und den Standpunkt der Gegenwart mit anspruchslosen Worten schildere, wie sie einem Manne ziemen, den ein feierlicher Augenblick seines Lebens, aus der Sphäre eines düsteren Berufes, der keine Redner zeugt, vor diese glänzende Versammlung führte. Wo das Grosse eines Gegenstandes so gänzlich in ihm selber liegt, dass prunkende Worte überflüssig werden, da mag auch ein Sprecher genügen in einfacher Form.

Vierundzwanzig Jahre! – Der Rückblick auf die entschwundene Zeit der ersten Versammlung in meiner Vaterstadt ruft manche theure Erinnerung in mir wach.

Obwohl der grösseren Mittelpunkte für naturwissenschaftliches Leben damals nur wenige waren, so zierte sie doch das Wirken hervorragender Männer, in denen ich die Führer meiner Studien, die Vorbilder meines Strebens, dankbar verehre.

Sie standen vereinzelt. – Die Zeit hat ihre Reihen gelichtet, – und nur Wenigen, deren Gegenwart in diesem Raume mir nicht erlaubt, mit ihren Namen meine Rede zu schmücken, nur Wenigen war es beschieden, Zeugen zu sein des Fortschrittes, den die Gegenwart ihrem thatenreichen Wirken in Schule und Wissenschaft verdankt.

Ausser den schon damals grossartigen Museen des kaiserlichen Hofes, in welchen der Fleiss des Sammelns sich mit dem Ernste tiefer Forschungen verband, war die Schule fast das einzige Asyl für organische Naturwissenschaft, und das Gesetz des Zwanges, unter welchem erstere stand, wirkte nicht immer kräftigend und belebend auf den Aufschwung und die freie Selbstentwicklung der letzteren.

Es war Maxime der damaligen Zeit, der Lehre nur die Berechtigung zuzugestehen, praktische Menschen zu bilden, wie sie die Welt braucht und das öffentliche Leben. Die Anerkennung der Wissenschaft als staatlich nothwendige Lebensform war noch nicht in alle Kreise gedrungen.

Was auf dem Markte des Lebens sich verwerthen liess, was in den Werkstätten der Technik, in den Arbeitsräumen der Fabriken, in den Prunksälen menschlichen Elends – in den Krankenzimmern der Spitäler –nützliche Anwendung verhiess, beschäftigte vorwaltend die Talente jener Zeit, und erfreute sich der kräftigsten und liberalsten Aufmunterung.

Die Medizin nahm die organischen Naturwissenschaften in ihr [Sp. 19] Gefolge auf, mehr als dienende Mägde, denn als ebenbürtige Schwestern. Der Massstab ihrer unmittelbaren Nutzanwendung am Krankenbette wurde zu ihrer Rangordnung angelegt, und diesem gemäss wusste man sich mit ihnen abzufinden. Die Zoologie, die nur die missverstandene Lebensgeschichte der Entozoën schlummernden Hörern zu erzählen hatte, wurde auf die unterste Stufe verwiesen, während Botanik und Chemie, durch welche die Natur die Vorrathskammern ihrer Arzneischätze aufzuschliessen versprach, ein besseres Loos theilten, eine höhere Stellung behaupteten. Die engherzige Furcht vor gefährlichem Missbrauch des Wissens lastete schwer selbst auf dem Bewusstsein redlichen Strebens. Mechanische Bewegung ersetzte das innere Leben der Wissenschaft. Man wünschte selbst nicht mehr. –

Der Born jener still in sich wirkenden Wissenschaften, die statt irdischen Gewinn bloss Wahrheit bieten, floss Wenigen nur, und wenn die Geschichte den Leistungen Einzelner volle Gerechtigkeit widerfahren liess, so bot ihr gegentheilig der als Dilettantismus sich geberdende Eifer Anderer kaum Stoff genug zu rühmender Anerkennung.

Gesellschaftliche Vereine, die in der Gegenwart so kräftiges Wirken entfalten, bewegten sich damals nur in den enggezogenen Schranken des Privatverkehrs, und obwohl sich das Bewusstsein ihrer Nützlichkeit und Nothwendigkeit in Wünschen, Plänen, Hoffnungen vernehmen liess, so waren doch gelehrte Gesellschaften und Institute zur Durchführung grosser Arbeiten in bestimmten Richtungen, wie die Jetztzeit sich ihrer rühmen darf, noch in den Schwierigkeiten ihrer Gründung befangen.

Man wird es an mir nicht tadeln, wenn der Flug des Fortschrittes seine ältere Geschichte nicht verläugnet. Die Lichtpunkte der Gegenwart strahlen ja um so heller, je länger die Schatten herüberfallen aus vergangener Zeit.

Als erster Wendepunkt des wissenschaftlichen Lebens jener Periode tritt der gewaltige Umschwung hervor, der vom Wiener Krankenhause aus die Reformation der Heilwissenschaft, insbesondere ihres diagnostischen Gebietes, vorbereitete.

Männer, die in der Leichenöffnung nur die Kontrolle der Behandlung zu führen beamtet waren, schufen die Grundlagen eines positiven Wissens.

Eine Schule bildete sich heran an unscheinbarer Stätte, eine Schule, deren Muth nicht vor der Grösse der Aufgabe zurückschreckte, strenge Kritik zu üben über die Empirie von Jahrtausenden, sie endlich preiszugeben, und an die Stelle des gefallenen Götzen veralteter Scholastik, die auf die Macht anatomischer Thatsachen gegründete Ueberzeugung zu setzen, dass das oberste Prinzip des ärztlichen Wissens die Kenntnis der materiellen Veränderungen sei, in welchen der Ablauf der äusseren Erscheinungen der Krankheit seine Regel findet, und sein Gesetz. –

Siegreich endete für diese Schule der Kampf, – in weitesten Kreisen verbreitete sich ihr Licht, – und in ihrem Geiste wirken gegenwärtig Deutschlands größte klinische Lehrer.

Während auf diese Weise nach einer Richtung hin ein wahrhaft edles Streben sich Geltung verschaffte, bildeten von anderer Seite die siegreiche Bändigung der wilden Dämonskraft des Dampfes, die Riesenwerke der Technik, die tausendarmige Rührigkeit der Industrie, die zauberähnlichen Wirkungen physikalisch-chemischer Entdeckungen, eben so viele Hebel für die Entwicklung jener Wissenschaften, die es lehrten, mit dem Lichte zu zeichnen, mit dem Blitze zu korrespondieren, und die in der gemeinsten Arbeit des Landmannes, durch die Anwendung neuer, mit der Schärfe der Wahrheit festgestellter Grundsätze den eigentlichen Stein der Weisen fanden. Jedes stromaufwärts getriebene Schiff, jeder qualmende Schlot der Lokomotiven, jedes schwingende Maschinenrad waren die beredten Zeugen für die grosse zeitgemässe Bedeutung jener der technischen Anwendung zugekehrten Fächer, auf deren ungehinderten Entwicklung der wachsende Wohlstand der bürgerlichen Gesellschaft, der materielle Flor des Landes beruht.

Das sicherste Mittel, den Fortschritt dieser Wissenschaften zu fördern, war: die Hindernisse wegzuräumen, die ihre freie Entfaltung erdrückten.

Das Interdikt gesellschaftlicher Verbindungen zu wissenschaftlichen Zwecken wurde zuerst durch die Gründung des Gewerbvereins ausser Wirksamkeit gesetzt, und wir begrüssten mit dem Rufe des Jubels das Aufgeben eines seither streng gehandhabten Prinzips durch die Sanktionierung zahlreicher anderer gemeinnütziger [Sp. 20] Verbindungen, unter welchen die kaiserliche Gesellschaft der Aerzte den hervorragendsten Platz behauptet.

Des reichen Landes Grenzen öffneten sich einem freieren geistigen Verkehr, – emporstrebende Talente brachten dem Vaterlande die auf fernen Bildungsanstalten gesammelten Kenntnisse heim, – wissenschaftliche Reiseunternehmungen fanden Aufmunterung und Unterstützung aller Art, – Sammlungen, Lehrstühle, Institute, die freigebigste Ausstattung.

Hochgestellte Männer, Freunde der Wissenschaft, liessen es an gewichtiger Vermittlung nicht fehlen, dem ersten Impulse zum Besseren, nachwirkende Kraft und Dauer durch den höchsten Schutz des Landesherrn zu sichern.

So konnte schon fünf Jahre nach Ihrem ersten Besuche in Wien, der edle Graf, der Nestor deutscher Naturforscher, der die in Böhmens uralter Königsstadt tagende Versammlung mit herzlicher Ansprache begrüsste, mit Recht die bedeutungsvollen Worte sprechen: Der Fortschritt der Entwicklung kann zuweilen gehemmt, gleichsam eingeschläfert werden durch die Trägheit seiner Umgebung. Er bedarf dann eines neuen Anstosses und ein solcher erscheint oft unerwartet, im Stillen vorbereitet durch Einzelne, ohne des grossen Effektes bewusst zu sein, der aus ihren einsamen Kammern hervorgehen soll.

Der würdige Greis, er hat im prophetischen Sinne gesprochen!

Fürwahr, die Zeit war reif. Sie hat aus morschem Stamm ein frisches junges Schoss getrieben, bestimmt das Leben des Ganzen zu erneuern. Ein Rückschritt war unmöglich. Unaufhaltsam vorwärts drägte der Strom, und mit jedem neuen Erfolg, den die vaterländische Wissenschaft errang, wurde das stolze Bewusstsein ihrer Macht, welches immer und lauter den Ruf erschallen liess nach einem grossen, des Kaiserstaates würdigen Vereinigungspunkt aller wissenschaftlichen Thätigkeit, wie ihn Leibnitz zuerst dachte, und van Swieten der grossen, unvergesslichen Kaiserin so warm und dringend empfahl. – Und es geschah! –

Bald nach der Versammlung in der lieblichen Hauptstadt der schönen Steiermark trat in Wien ein Kreis von Gelehrten zusammen, um den Plan einer naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu entwerfen. Die Berathungen waren noch im Gange, als die Gnade Kaiser Ferdinands, den das dankbare Oesterreich den Gütigen nennt, die Akademie der Wissenschaften in’s Leben rief.

In den edelsten Worten verkündete das kaiserliche Manifest die Sanktion des neuen Institutes. Zu des Kaisers Hofstaat sollte die Akademie gehören, und jeder andern Unterordnung frei, wurde ein kaiserlicher Prinz ihr alleiniger Schutzherr!

Ein neues Staatsprinzip spricht sich in jener denkwürdigen Stiftungsurkunde aus, – ein neues Prinzip, welches die letzte Fessel des geistigen Lebens zerbrach, und dem Streben der Wissenschaft keine andere Grenze gezogen wissen wollte, als die durch des Menschen zugemessene Kraft von selbst gegeben ist.

Nun war ein weites Feld geöffnet für unsere Thätigkeit. Das Wirken der Akademie begann. Sie trat hinaus in’s Licht der Welt.

Was sie in richtiger Auffassung ihrer grossen Aufgabe gethan, möge die Geschichte dereinst sagen, die die Thaten des Geistes richtet. Sie wird das Urtheil sprechen, ob unsere Kraft vergebens aufgeboten, ob in unseren Thaten mehr als das Verdienstliche des Wollens liegt.

Eines langen Friedens glückliche, letzte Tage haben dem Jugendleben der Akademie freundlich zugelächelt. Da zog von Westen her jene schwere Wolke auf, die sich über Deutschlands Gauen verderbendrohend lagerte, und den Sturm aus sich entfesselte, der über Oesterreichs glückliche Fluren das finstere Verhängnis schwerer Heimsuchung brachte.

Ferne hätte von dieser Stätte der Wissenschaft die Erinnerung an jene Zeit bleiben sollen, und unaufgeschlagen das Blatt der Geschichte, geschrieben mit dem Griffel von blutigem Erz, wenn nicht die grossartige Erscheinung dazu aufforderte, dass ein Staat aus Bedrängnissen, die kaum ein anderer zu überdauern vermocht hätte, nicht nur siegreich hervorging und neugestärkt durch die Gewissheit seiner Macht, sondern den kühnen Gedanken zu verwirklichen im Stande war, neue Gestaltung, und eine bis in das Weiteste sich erstreckende Umbildung allen seinen innern Verhältnissen zu geben.

Aufgescheucht von Kriegeslärm erhebt der kaiserliche Aar sein Doppelhaupt, er schüttelt seine ruhelahmen Schwingen, brüstet sich [Sp. 21] auf in Kampfesmuth, hält mit mächtigem Griff sein zerfahrendes Erbe, und bringt im Fluge des Triumphes zu des Thrones Stufen hin den Lorbeer des Sieges, und die Palme des Friedens; – zu des Thrones Stufen, über welche des Himmels Gnade den jugendlichen Monarchen geführt, und sichtbar über Ihn gehalten seine schützende Hand!

Ihm war es vorbehalten, die Verwirrung des Augenblicks in Harmonie und Ordnung aufzulösen, dem Staate Einheit zu geben, und dadurch innere Kraft, und sie zu befestigen in dem Tiefsten was ein Volk besitzt, in der Gesinnung, in der Treue, in der Liebe zu einem grossen, mächtigen, einigen Vaterland! –

Die bedeutungsvollsten Zeichen in allen Richtungen des neugeformten staatlichen Lebens verkündeten den Anbruch einer neuen Epoche. Von diesen Zeichen habe ich jener zu gedenken, die das Leben der Wissenschaft berühren. Ich nenne die bedeutsamsten nur: Die Vereinigung alles wissenschaftlichen Interessen unter eine selbstständige oberste Leitung, – die von dieser ausgegangenen zeitgemässen Reformen des Unterrichts, von den Dorfschulen bis zu den Universitäten, – die Freiheit der Lehre, – die Aufhebung des Studienzwangs, – die Errichtung besonderer Institute zur Pflege wissenschaftlicher Spezialitäten, vorzüglich der Medizin und der Naturwissenschaften, – die wahrhaft kaiserliche Munifizenz ihrer Dotierung, – und die noch nie verläugnete Bereitwilligkeit aller Regierungsorgane, aufzubieten, was ihrem Gedeihen, ihrem Aufschwung, Vorschub leisten konnte.

Alles dieses bildet in so kurzer Zeit eine lange Reihe dankenswürdiger Gaben, deren Werth wir um so tiefer fühlen, als der erhabene Geber, nicht gedrängt durch den Ungestüm der Vorstellungen, sondern aus eigenem Wollen, in weisester Würdigung der grossen Anforderungen, die die Gegenwart an Wissenschaft und Schule richtet, unseren Wünschen, unseren Hoffnungen zuvorgekommen ist, zu deren Verlautbarung in den Zeiten allgemeiner Kümmerniss der Muth uns fehlte.

Gleichzeitig mit diesen Einrichtungen entstand das grossartig organisirte geologische Reichsinstitut. Gegen Ende des Jahres 1849 wies ihm ein kaiserlicher Befehl die grosse Aufgabe zu, von der natürlichen Beschaffenheit des Bodens der Gesammtmonarchie Kenntniss zu sammeln, seine geologische Natur nach einem zusammenhängenden Plane zu erforschen, und die Resultate der vielgestaltigen Arbeit zur allgemeinen Benützung bekannt zu geben.

Der riesigen Aufgabe, deren Lösung in Angriff genommen werden sollte, konnte nur die nimmer rastende Thätigkeit jenes Mannes gewachsen sein, unter dessen Leitung sie gestellt wurde. Von den trefflichen Mitarbeitern, die zu dem ruhmvollen Werke berufen wurden, mit der aufopferndsten Hingebung gefördert, ist die ungeheure Arbeit schon jetzt so weit gediehen, dass für mehr als den sechsten Theil des Flächenmasses der Monarchie die geologischen Aufnahmen geschlossen, die Karten vollendet sind, und eine überreiche Ausbeute an Fossilien die herrlichen Räume dieses Institutes füllt, – ein unschätzbares Archiv für die Archäologie des Erdballs, für die Geschichte des vaterländischen Bodens.

Anderthalb Jahre später, als das geologische Reichsinstitut sein Wirken begann, rief der allerhöchste Wille die Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus in’s Leben.

Die Begründung eines meteorologischen Beobachtungssystems war ursprünglich eine von der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften im zweiten Jahre ihres Bestehens ausgegangene Idee. Freiherr von Baumgartner, damals Vicepräsident der Akademie, trug zuerst auf die Errichtung dieser Anstalt an, und zwar auf eine Weise, welche gestattete, ohne Verzug an die Ausführung selbst zu gehen, da er der Akademie seinen Gehalt für diesen Zweck zur Verfügung stellte, und dadurch das so gewöhnlich den guten Vorsätzen fehlende Mittel zur Stelle schaffte, durch welches der Gedanke fast eben so schnell er entstand, zur That werden konnte.

Ein vielmaschiges Netz von Beobachtungsstationen breitet sich, allmälig dichter und dichter werdend, über alle Provinzen des Kaiserthums. Seine Fäden laufen in der Wiener Zentralanstalt zusammen, die die Leistungen der Einzelnen zu wissenschaftlichen Resultaten kombinirt. Beobachtungen über Richtung und Stärke der magnetischen Kraft von Stunde zu Stunde, über den Wechsel der Erscheinungen in der luftigen Erdhülle, über das an Zeit und Ort gebundene Entwicklungsleben der Thier- und Pflanzenwelt, über verschiedene andere selbstgewählte Gegenstände, welche für Meteorologie von [Sp. 22] Wichtigkeit sind, vervollständigen den Kreis von Arbeiten, deren Ergebnisse in den Annalen der Anstalt zur öffentlichen Kenntnis gelangen.

Zur Seite dieser öffentlichen Institute hat sich ein wissenschaftlicher Privatverein zu hoher Bedeutung emporgeschwungen.

Nebst dem allgemeinen Zwecke: das Studium der wissenschaftlichen Zoologie und Botanik zu fördern, stellte er es als seine Hauptaufgabe hin, die Fauna und Flora des Reiches im weitesten Umfange zu erforschen. Mehr als 700 Mitglieder zählend, wirkt er mit dem lohnenden Bewusstsein, dass der stille Fleiss seiner Arbeit nicht ohne Segen geblieben. Seine gehaltreichen Schriften bilden eine wahre Fundgrube von Wissenswürdigem und Neuem, seine reichen Sammlungen, sein mit allen gelehrten Körperschaften desselben Strebens lebhaft geführter Verkehr sind sprechende Zeugen seines rüstigen Waltens und Wirkens, welches sich zu um so grösserer Anerkennung erhob, als der Verein erst auf fünf durch Arbeit verschönerte Jahre zurückblickt.

Leicht wäre es, dieses nur in Umrissen entworfene Bild unserer wissenschaftlichen Gegenwart in sprechenderen Farben auszumalen, und jeder Schöpfung einzeln zu gedenken, welche vereinigt bilden unseren werthesten Besitz. Nicht der Stoff, sondern die Zeit zu seiner Bewältigung gebricht! Ich wünsche und hoffe keine Empfindlichkeit zu verletzen – ich schone ja meiner eigenen nicht – wenn ich die übrigen Anstalten, besonders die so zahlreichen medizinischen, mit Stillschweigen übergehe. Sie sind in den engeren ärztlichen Kreisen zu sehr bekannt, und die Autopsie der Fachmänner wird sie richtiger beurtheilen, als es meine flüchtige Berührung in dieser Stunde thun könnte.

Es hat mich gedrängt, in kurzer Skizze der Vergangenheit wie der Gegenwart ihr Recht widerfahren zu lassen, um es hinzustellen vor das Bewusstsein dieser Versammlung, wie ganz anders mein Vaterland jetzt sie zu empfangen bereit ist, als es damals der Fall sein konnte – vor vierundzwanzig Jahren!

Gestatten Sie mir nur einen kurzen Blick auf das innere Wesen des Vereins.

Jede Wissenschaft strebt nach Mittheilung. Gezeuget im Geiste, findet sie in Geistern ihre Anerkennung, ihren Widerhall. Jeder Gedanke, jede Entdeckung, beurkunden ihre schöpferische Macht, dass sie mit fremden Gedanken in Berührung tretend, durch neue Verbindung Neues erzeugen. Die Mittheilung ist nicht blos das Vehikel der Verbreitung, – sie ist zugleich die fruchtbare Mutter tausendfältigen Fortschrittes in den Naturwissenschaften.

Ein durch Thatsachen gewecktes, durch Beobachtung und Versuch genährtes und geführtes Denken ist Naturforschung. Gross ist der Umfang ihrer Thätigkeit, denn ihr gehört das Universum. Sie ist’s, die die Planeten am Himmel wägt, und die Kräfte der Materie verfolgt bis zu Atomen.

So sehr die einzelnen Richtungen dieses Forschens sich in’s Weite dehnen, und nach Selbstständigkeit ringen, so wenig können sie sich dem allgemeinen Einflusse entziehen, den eine auf die andere übt, und der es eben ist, durch welchen zerstückelte Glieder zu Einer Kette sich verschlingen, die Alles umfasst was ist, und die dort oben endet in der Unendlichkeit!

In diesem Gefühle der Einheit des Naturganzen und seiner geistigen Erforschung haben die Gründer dieser Versammlungen die Heilkunde, die hehre, die segenreichste aller auf praktische Anwendung gerichteten Wissenschaften, in den Kreis aufgenommen, der uns hier umschliesst. –

Natur- und Heilkunde, Töchter Einer Mutter, Sprossen Eines Stammes, besiegeln treu und fest vor diesen Zeugen den Bund der innigsten Verwandtschaft, und der heisse Drang des ärztlichen Denkers, jetzt schon zu erfahren, wohin die Naturwissenschaften erst spät gelangen werden, ist ein nimmer ruhender Sporn geworden für die Strebelust der letzteren.

Wir haben es ja in jüngster Zeit erfahren, welchen unerwarteten Einfluss die Wahrheiten der Chemie und Physik, selbst die Gesetze der Zahlen und Linien, auf die Erforschung der Lebensvorgänge im gesunden und kranken Organismus üben. Ihre Anwendung auf diesem Gebiete hat die Ungangbarkeit des Weges in’s wahre Licht gesetzt, auf welchem die Physik des Lebens sich erfolglos bemühte, zu erreichen das verfehlte Ziel.

Was kann also den Tendenzen naturwissenschaftlichen und [Sp. 23] ärztlichen Forschens sich holder zeigen, als der Austausch, die Mittheilung von Ideen und Ansichten, von Thatsachen und von Zweifeln, von Wissen und von Meinen, wie sie nur unter verwandten und doch so verschiedenen Elementen in diesen Versammlungen möglich wird, deren tiefe Bedeutung das deutsche Volk zuerst begriffen hat.

Wahr ist’s, dass der Weg der Wissenschaft nicht kürzer wird, wenn viele auf ihm zugleich nach Einem Ziele drängen. Wahr ist’s, dass im Kalkül der Wissenschaft nicht die Menge zählt, sondern die Geister. Es ist und wird immer sein das Genie des Einzelnen, welchem die Wissenschaft die Auffindung ihrer kostbarsten Schätze dankt.

Aber eben so wahr ist es auch, dass diese Schätze nicht geringer werden, wenn Jene, die sie zu sammeln und zu vermehren wussten, sie ausstreuen mit verschwenderischer Hand, – wenn sie erzählen, wo und wie sie dieselben gehoben, – wenn im freimüthigen Verkehr mit Ebenbürtigen die Pläne neuer Unternehmungen reifen, – wenn sie dem jungen Talente sich freundlich zuneigen, seine Erstlingsversuche leiten mit Rath und That, seinen unsicheren Schritten, oder seinem muthigen Blicke nach Vorwärts, hinstellen das bewunderte Wahrzeichen ihres nachahmungswürdigen Beispiels.

Dieses ist der Zweck des Vereins, und dreissig Jahre seines Lebens bezeugen seine Erfüllung.

Allein nicht ernster Beschäftigung nur sind diese Tage heilig. Die Wissenschaft verschmäht es nicht, sich mit fröhlicher Hülle zu umgeben. Und so soll denn auch des Lebens heitere Freude den Knoten fester schürzen helfen, der die nur allzu oft nach Isolirung strebenden Tendenzen der Gelehrten in gemüthlicher Harmonie vereiniget und bindet. Vielleicht liegt hierin eben das Geheimniss der Anziehungskraft, welche unserem wandernden Verein, der alle Jahr ein anderer ist, Kraft, Gedeihen, und lange Dauer verheisst.

Für beide Zwecke der Versammlung bietet Wiens Gegenwart reichliche Mittel dar, und wenig Vorkehrungen genügten, die Zahl derselben zu vervollständigen.

Unsere Herzen sind nicht kälter geworden seit jener Zeit, und was die Wissenschaft von uns verlangt, wir sind gerüstet, es im vollsten Mass zu bieten.

Darum will ich schließen mit meiner Worte Anfang, und Sie begrüssen nochmals hier am Tag der Ehren, den festlich wir begehen unter meines Herrn und Kaisers gnädigstem Schutz.

Ihm, dem des Reiches Macht und Grösse seine festeste Stütze dankt, – Ihm, dem für seine geistige Wiedergeburt jubelnd zuruft das jüngere Geschlecht, – Ihm, dessen Devise

„Mit vereinten Kräften“

auch in dieser Versammlung von Gelehrten lebendigsten Ausdruck gefunden und schöpferische Kraft bewähren wird, Ihm sei mein letztes Wort, das Wort der Huldigung geweiht. – Ich sehe in Ehrfurcht nahn symbolische Gestalten, und mit den schönsten ihrer Gaben schmücken Seiner Hoheit Sitz. Der Kirche fromme Diener, – des Landes kampfgeübte Wehrkraft, – der freigewordene Bebauer seiner Scholle, – die Künste des Friedens alle im langen Zuge, – und nicht die letzte von ihnen ist die Wissenschaft. Sie tritt hervor, – sie legt an des Thrones Stufen, wo glänzendere Trophäen prangen, ein einfach sinnig Zeichen hin, – es ist ein Kranz von Immortellen, – der ewig blüht wie ihre Dankbarkeit!

Meine Rede schweigt. Die Versammlung ist eröffnet.

 

 

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. Die im Original durch Sperrung hervorgehobenen Wörter wurden kursiv gesetzt. In eckigen Klammern steht die Zahl der jeweiligen Spalte des Originaltextes. Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt.)

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