Einiges über die Gaben der Natur an die Frau und die Konsequenzen hieraus für Bedeutung, Stellung, Aufgaben und Rechte der Frau in der menschlichen Gesellschaft

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Author/Authoress:

Brühl, Carl Bernhard (Vortragender)

Title: Einiges über die Gaben der Natur an die Frau und die Konsequenzen hieraus für Bedeutung, Stellung, Aufgaben und Rechte der Frau in der menschlichen Gesellschaft
Year: 1892
Source:

Jahresbericht des Vereines für erweiterte Frauenbildung in Wien, 4. Jg. (October 1891- October 1892), S. 33-64.

[S. 33] Meine liebe, hochansehnliche Zuhörerschaft! Geehrte Frauen, ehrenwerthe Herren!

Die Letzteren besonders ehrenwerth, weil sie hieher zu Ihren vorgeblichen „Feindinnen“ gekommen sind, zu den sogenannten „Frauenrechtlerinnen“. So hat nämlich Sie, die Frauen vom Vereine „für erweiterte Frauenbildung“ und anderen ähnlichen Frauen-Vereinen, das, jedenfalls noch mehr energische als gedankenreiche, Fräulein Dworžak, die moralische und schriftstellerische Fahnenträgerin der Wiener Reform-Arbeiterinnen, jüngst in einer Versammlung derselben genannt.

Fräulein Dworžak wollte hiemit einen vorgeblich schlagenden Gegensatz zwischen den Reform-Arbeiterinnen (Socialistinnen) und den Frauen, die ihre natürlichen Rechte anstreben, den „Frauenrechtlerinnen“, bezeichnen.

Die Letzteren sollen nämlich, wie das genannte Fräulein behauptet, den Kampf gegen die Männer wollen, d. i. den Kampf um das Dasein gegen die Männer. Die Ersteren, die Arbeiterinnen, wollen hingegen den Kampf mit (im Vereine mit) den Männern zu – socialdemokratischen Zwecken!

Nun, – wir werden vielleicht noch heute, später, oder ein anderes Mal Gelegenheit haben, diesen sogenannten Kampf zu beleuchten, welchen die „Frauenrechtlerinnen“, d. s. die gebildeteren, die nicht socialdemokratischen Vorkämpferinnen für Frauenbildung, Frauenfortschritt und Frauenrecht, mit einem Worte die „Bourgeois-Frauen“ der Socialistinnen, vorgeblich gegen die Männer führen. –

Zunächst will ich hier jedoch die eigentliche Veranlassung, die Genesis der heutigen Vorlesung besprechen.

Diese Veranlassung ist in erster Linie eine ganz subjective, eine pro domo. Sie ist eine Herbstblume, ersprossen auf einem, wohl sich bald wölbenden Grabeshügel, – auf dem meinigen! – Vergönnen Sie mir dies zu erklären.

Als ich vor wenigen Wochen meinen, Anfangs Mai fallenden 72. Geburtstag heranrücken sah, nachdem ich fast zwei Jahre körperlich verhindert war, irgendwie lehrend in der Oeffentlichkeit wirken zu können, nahm ich mir vor, wenn mich der Welten-Herr den obgenannten Tag erleben liesse, im selben Monate noch einmal zu einer grösseren Menge meiner Mitbürger zu sprechen, und zwar von einer jener Fragen, die mich mein Lebelang beschäftigt haben.

Ich hatte nun unter diesen zu wählen zwischen Fragen, welche eine grössere, besonders gegen gewisse Kreise gerichtete Kampfesmuthigkeit erheischen und dadurch wahrscheinlich allerlei Streit und Gegenreden wieder herbeigeführt hätten, – und solchen, die dies kaum thuen könnten.

[S. 34] Wenn man aber so alt geworden, wie ich nun, und nicht gerade die moralische .und physische Disposition eines Bismarck oder Gladstone hat, den beiden, bekanntlich trotz ihren hohen Alters, noch jugendlichen Heissspornen, so gibt man es doch, wenn auch nur sehr schweren Herzens, endlich auf, einen Kampf besonders mit den gewissen dunkeln, will sagen Verfinsterungs-Kreisen, wieder aufzunehmen. Dorthin führende Themata liess ich daher sogleich fallen.

Ich wollte mir nur ein friedliches erwählen. Deshalb erwog ich nach links und nach rechts. Allüberall aber, wo die naturhistorische Erkenntniss, die einzig richtige des Menschenthums, zu vertreten war, gab es zahlreiche Elemente zum Kampfe!

Da, – eines Abends spät, vor zwei Monaten, mit mir selbst berathend, entschlief ich endlich und hatte folgenden Traum; einen Traum, den ich, ich möchte sagen, in kleinerem Massstabe, einst schon als angehender Medicinae Studiosus geträumt hatte, – damals als ich meine Gehirnstudien begann. Mir träumte nämlich jüngst, Ende April 1892, Folgendes:

Ich war in eine Riesenhalle getreten, von wunderbarer Art, eine Halle von oben her in einer Weise beleuchtet, wie man auf Erden derartig Licht nicht sieht.

Am hinteren Ende dieser Halle stand eine Frauengestalt, etwa sechsmal so gross wie ich und von unsagbarer Schöne, in Worten nicht zu schildern, mit saphirblauen Augen, welche Strahlen aussandten, dass sie mich, den kleinen, winzigen Sterblichen zu Boden leuchteten. Ueber dem strahlenden Haupte dieser weiblichen Gestalt zitterte in ganz eigenthümlicher Weise eine Schriftlinie, das Wort „Natur“.

Zu beiden Seiten dieser Gestalt nun war je ein gigantischer Wolkenballen zu sehen. Ich stand zagend und wie verloren. Da rief mir jene Frauengestalt zu: „Menschling, nähere Dich mir!“ Das war nun, wie Sie wohl hören, eine recht Richard Wagner’sche Apostrophe. (Heiterkeit.)

„Menschling, schreite nur muthig vorwärts“, so klang es weiter mit orgelartigem Ton. Zu muthig war ich eben nicht, die Scenerie bewegte mich in eigenthümlicher Weise.

Ich, der ich mich seit meiner Jugend mit Naturforschung beschäftigt habe, sah die ewige Mutter Natur selbst vor mir. Ein ehrfurchtsvolles und zugleich banges Gefühl durchzuckte mich. Gebeugten Hauptes schritt ich vor.

Als nun die Gestalt und die beiden Wolkenballen zu deren Seiten nur noch in geringer Entfernung von mir waren, entstand plötzlich ein eigenthümliches Geräusch in den Lüften und die Natur rief mir zu: „Schau hieher, Menschling, schau je rechts und je links!“

Die Wolkenballen waren plötzlich verschwunden und es standen zwei riesige Krystallschalen da, in deren jeder ein Gehirn lag, ganz gleich diesem (hier zeigte Professor Brühl ein in Alcohol erhärtetes menschliches Gehirn; die Red.), in eigenthümlichem opalfarbigen Glanze leuchtend, und zwar in einem Schimmer, den ich bis dahin auf Erden nicht gesehen. Es waren zwei menschliche Kolossal-Gehirne, eines in der Krystallschale rechts, eines in jener links, die auf den ersten Blick ganz gleich aussahen.

„Schreite noch näher, Menschling!“, rief nun die Natur, „schau diese beiden Gehirne an: das Eine ist ein weibliches, das Andere ein männliches. Bestimme nun, der Du Dich Dein Lebelang der Anatomie des Menschen und Thieres gewidmet hast, das Geschlecht beider Gehirne!“

Ich war in nicht geringer Verlegenheit. Denn soviel ich vom Menschenhirne [S. 35] wusste, so viele menschliche Gehirne ich auch gesehen, nie hatte ich einen auch nur annähernd wesentlichen und leicht zu erfassenden Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Gehirne finden können.

Da sprach die Natur nochmals zu mir mit strengem Blicke: „Sieh nur genau her, und sage, welches Hirn ist des Weibes, welches des Mannes?“

Ich vermuthete nun in diesem neuerlichen Zurufe der Natur eine Art geheimer Drohung, als würde ich nicht zugeben wollen, dass die Natur wirklich zweierlei Gehirne, männliche und weibliche, geschaffen habe, und könne mich deshalb nicht entscheiden. Ich schaute nun auf, noch immer stumm. Da entsann ich mich, dass in einem Orte in Deutschland, von welchem vor 20 Jahren, 1873, der erste Krieg gegen die Befähigung des Weibes, auf Grundlage vorgeblicher Gehirnunterschiede zwischen Mann und Frau, ausgegangen war, – dass aus derselben Stadt am Isarstrande, die sich rühmt, Kunst und Wissenschaft in gleicher Weise zu pflegen, wiederum in jüngster Zeit, 1890, von sogenannten Jüngern jener Münchener Schule (unter Anderen auch von einem Österreicher, Dr. Rohon, und Anderen) neuerliche Versuche gemacht worden waren, darzuthun, dass das weibliche Gehirn im Vergleiche zum männlichen doch ein inferiores, in vielen Beziehungen minderwerthig ausgestattetes ist.

Da ich nun mich nicht für unfehlbar hielt, – Menschen sind ja niemals unfehlbar, nicht einmal gewisse Römer, die sich dafür halten! – ging ich in mich und dachte: ich werde einmal meine eigene Erfahrung ignoriren und jenes Wissen verwenden, das ich den neuen Münchner Berichten entnommen hatte, – und wies auf das Gehirn zur linken Seite der Natur als auf das weibliche.

Denn, ich will’s gestehen, ein echter „Männling“, wie ich ja doch als Menschling es war, dachte ich: es werde wohl der Mann, als das physisch jedenfalls bevorzugtere Wesen, zur rechten und das Weib zur linken Seite der Natur placirt sein!

Im selben Augenblicke aber, wo ich meinen Zeigefinger gegen links ausstreckend „Weib“ rief, – ertönte ein donnerähnliches Geräusch; die ganze Halle erzitterte, ich blickte scheu nieder und dann voll Angst wieder auf, – und an der Stelle des linken Gehirnes, auf das ich als weibliches hingewiesen, stand ein wunderbar schöner Mann, weit schöner als der Apoll vom Belvedere; ober ihm zitterte eine Oriflamme, beleuchtend das Wort: „Adam“!

An der Stelle der Krystallschale auf der rechten Seite der Natur hingegen, deren Hirn ich, – nach meiner früheren Bestimmung des linken als weibliches, – somit als ein männliches bezeichnet hatte, – stand, in schämiger Herrlichkeit, ein liebliches und doch hehres Weib, mit der Flammenschrift ober ihrem, von längstem Goldhaar umflutheten Haupte: „Eva“! –

„Was Du, Menschling, hier gesehen und gelernt“ sprach nun mit energischem Stimmfalle die Natur, „geh’ hin und verkünde es!“ „Du hast auf Erden von mannigfacher Seite gehört, das Weibes-Gehirn sei vom Mannes-Gehirn sehr verschieden und wichtige Konsequenzen sind hieraus für das Weib auf Erden erwachsen. Gehe nun, berichte von dem, was Du hier im Gegensatze erfahren hast!“

Da noch ein Donnerschlag, – ich erwachte.

Ich hatte meine Aufgabe gefunden, die ich noch in jenem Mond mir zu lösen fest vorgenommen.

Es war dies dazu eine Aufgabe, die ich schon vor vielen Jahren mir wiederholt gesetzt. Im Jahre 1872 war es zuerst, dass ich über das Weib, von einem Forum [S. 36] der Naturwissenschaft aus, von dem Katheder der von mir bekleideten Lehrkanzel der Zootomie (vergleichenden Anatomie) an der Wiener Universität, sprach.

Im Jahre 1876 war es dann zum 2. Male, und 1878 habe ich, als Resumé beider Vorlesungen (der von 1872 und 1876) eine Schrift veröffentlicht, welche den Titel führt: „Einiges über das Gehirn der Wirbelthiere mit besonderer Berücksichtigung jenes der Frau, mit, den Gehirnbau erläuternden Figuren“. Dieser, in den Schriften des „Vereines zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien“ 1878, veröffentlichten umfangreichen Darstellung, liess ich 5 Jahre später, 1883, einen Aufsatz in der Monatsschrift „Auf der Höhe“, Leipzig, Jänner 1883, folgen, unter dem Titel: „Frauenhirn, Frauenseele, Frauenrecht“.

Ich hatte mithin sowohl ein gewisses chronologisches als litterarisches Recht, bei der mir im Traum zugewiesenen Aufgabe zu bleiben.

Für den Ort, diese Aufgabe zu lösen, ergab sich bald eine passende Gelegenheit. Es kam nämlich Frau Bosshardt, die ehrenwerthe Präsidentin des Vereines für erweiterte Frauenbildung, zu mir. Ihr sprach ich dann von der Absicht, noch in diesem Monate (Mai), vom „Frauenhirn“ öffentlich zu meinen Mitbürgern beiderlei Geschlechtes reden zu wollen, und diese Dame forderte mich auf, dies in ihrem Vereine zu thun.

So erscheine ich denn in Ihrer Mitte, in einem hoffentlich der Sache und mir freundlichen Kreise und werde, soweit die sehr kurz zugemessene Zeit reicht, zunächst den Gegenstand besprechen, von dem ich Ihnen im Traumberichte erzählt, vom Frauenhirne, dieses als Grundlage benützend, um meinem im Titel angekündigten Vorhaben näher zu kommen.

Bevor ich jedoch in medias res gehe, fühle ich mich unwillkürlich veranlasst ein Wort über mehrere Briefe zu sagen, die ich bezüglich dieser heutigen Vorlesung empfangen habe und in welchen mir über die Art des Vortrages allerlei Grundsätzliches empfohlen wird.

In dem einen dieser, durchwegs von Frauenhänden herrührenden Briefe, ersucht man mich, ja nicht länger als eine Stunde zu sprechen. Es wurde hinzugefügt, ich möge für diese Vorlesung den alten Spruch Luthers beherzigen: „Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör’ bald auf!“

Diesem „tritt fest auf“ contradictorisch entgegengesetzt lautete ein zweiter Rath: »“Treten Sie ja nicht zu fest auf, damit Sie Niemand provociren! – seien Sie hübsch artig und fein, – denken Sie, dass Sie ein alter ruhebedürftiger Mann sind und scheuen Sie den Kampf mit den stets im Finstern wühlenden, Ihnen wohlbekannten Leuten, welche Sie schon genug geschädigt haben.“

Ein dritter Rath kam aus meinem engsten häuslichen Kreise. „Ich solle ja nichts Schlimmes von den Frauen erzählen; sonst glaube alle Welt, ich hätte trübe Erfahrungen in domo gemacht.“

Da hatte ich also schon drei Directiven für meine Vorlesung.

Es hätte mir nur noch ein Mann schreiben sollen: „Unterstehen Sie sich ja nicht, viel Gutes von den Weibern zu sprechen, denn sonst werden Sie von uns ausgezischt!“

Nun, – einem solchen vierfachen Rathe gegenüber, thut ein Mann von Ueberzeugung Folgendes: er hört auf gar keinen, folgt ausschliesslich seinem Wahrheitstriebe, folgt dem, was ihn begeistert, folgt dem, wozu ihn der Schöpfer in dem Augenblicke bestimmt hat, in welchem er spricht.

[S. 37] Ich spreche zu Frauen von – Frauen; ich spreche zu Männern von – Frauen.

Es ist nicht leicht, Beiden zugleich Genüge zu leisten. Indem ich nun weiter erwäge, dass ich doch vorherrschend auf ein Frauen-Publicum wirken möchte, fällt mir sogleich eine Frage ein, welche von Frauen an Männer, in ernsten Stunden fast immer, besonders wenn die Männer Naturforscher sind, gestellt wird, – eine Frage, welche am treffendsten Göthe, in unvergleichlich wahrer und erhabener Weise, in seines Faust’s erstem Theile, als Gespräch zwischen Faust und Gretchen, formulirt hat. Ich erlaube mir, die betreffende Stelle zu lesen.

Gretchen, die kindlich gläubige, von ihrem Glauben hold und naiv beseeligte, jedoch wissensarme Jungfrau frägt den heissgeliebten, gelehrten Mann, Heinrich Faust’s, der ihr aber in dieser Beziehung etwas verdächtig vorkömmt:

Margarethe: Versprich mir, Heinrich!

Faust: Was ich kann.

Margarethe: Nun sage, wie hältst Du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, – allein ich glaube, Du hältst nicht viel davon!

Faust: Lass das, mein Kind, Du fühlst, ich bin Dir gut. – Für meine Lieben liess ich Leib und Blut; – will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

Margarethe: Das ist nicht recht, man muss daran glauben!

Faust: Muss man?!

Margarethe: Ach wenn ich etwas auf Dich könnte! – Du ehrst auch nicht die heiligen Sacramente !

Faust: Ich ehre sie.

Margarethe: Doch ohne Verlangen. – Zur Messe, zur Beichte bist Du lange nicht gegangen. –

Und jetzt, meine Damen, kömmt der Hauptschlag, wie ihn nur ein Mann voll echter, durch begeisterte Naturanschauung ganz allein möglicher Religiosität, – Göthe, – führen konnte.

Margarethe: Glaubst Du an Gott? –

So einfältig das Gretchen auch ist, so fühlt sie doch, dass die Grundlage der Religion nicht wesentlich „die Sacramente“, nicht „die Messe“ seien; – der Glaube an Gott ist es ganz allein. – Wer nun überhaupt mit Frauen über Ernstes spricht, muss in dieser Beziehung Farbe bekennen, wenn er ihr Vertrauen gewinnen will.

Ich bekenne Farbe: ich bin der entschiedenste Deist, der auf Erden nur möglich. Ich habe das einzige wahre Glück in meinem Leben, besonders werthvoll in höherem Alter, darin erfunden, dass ich mit derartiger Liebe an dem Schöpfer der Welten und ihrer Wunder zu hängen vermag, wie sie, – diese Liebe –, allein den Menschen Tag und Nacht und in allen Lagen des Lebens zu beleben, zu trösten und aufzurichten vermag.

Wessen Lebensaufgabe es ist, mit dem Mikroskope ausgerüstet Alles, was da Lebendiges existirt, wissenschaftlich zu untersuchen, kommt zu jener Lebens- und Weltanschauung, zu der einst ein grosser holländischer Anatom, der grösste seiner Zeit, Swammerdam, gekommen und von dem ich später einige, ihn und meine Anschauung bezeichnenden Aeusserungen hier vorlesen will.

Ich habe diese Swammerdam’schen Aeusserungen schon vor einigen Jahren mitgetheilt, in einer kleinen Untersuchung von mir über Thiere, die man in guter Gesellschaft kaum nennen darf, nämlich über die Läuse. Diese, – wie jene Thiere, die mich eben jetzt sehr angelegentlich beschäftigen und meist die Gefährten jener sind, [S. 38] die Flöhe, die man bekanntlich auch nicht vor „keuschen Ohren“ nennen darf, – zeigen unter dem Mikroskope, als, ich möchte sagen stille Geheimnisse der Natur, eine Schönheit der Formen und architektonische Wunder des Baues, welche über alle Beschreibung genial und herrlich sind, – wenn anders ein Menschenkind überhaupt von Gottes Werken diese Worte gebrauchen darf.

Eine vor Jahren, 1876, in der Wiener medicinischen Wochenschrift erschienene Abhandlung über die „menschlichen Läuse“ begann ich mit den Worten:

„Der grösste Anatom des 17. Jahrhunderts, der für alle Zeiten sowohl durch die Art als durch die Resultate seiner Arbeiten unsterbliche Jakob Dürk oder Dittrichsohn, nach seinem Geburtsorte Swammerdam genannt (1607 geboren) hat ein Buch veröffentlicht, von dem Sie, geehrte Anwesende, vielleicht schon einmal gehört haben; es heisst: „Die Bibel der Natur“, Biblion naturae. In diesem Buche sind alle anatomischen Abhandlungen, die Swammerdam geschrieben, gesammelt.

Jene dieser Abhandlungen über die „Laus der Menschen“1, die erste grössere und fast die beste, die je über diesen Gegenstand publicirt wurde, hat S. dem damaligen Gesandten Frankreichs in der freien Stadt Genua, Herrn Thevenot gewidmet. Damals haben die Gesandten grosser Staaten noch anderartige Dedicationen angenommen, wie heutzutage; jetzt würde der Unterbreiter einer, einem Gesandten gewidmeten Abhandlung „über die Läuse“ einfach die Treppe hinabgewiesen.

Swammerdam hat aber jenem Gesandten folgende Worte als Dedications-Einleitung zugerufen, aus denen Sie, meine lieben Zuhörer, ersehen können, wie ein Naturforscher Gott lieben kann und muss, wenn er dessen „kleinste“ Werke mit Enthusiasmus studiert.

„Ich stelle hiemit Euer Hochedlen in der Zergliederung einer Laus den allmächtigen Finger Gottes vor Augen. Sie werden in derselben mit Wunder angehäufte Wunder erblicken und in einem kleinen Punkte die Weisheit Gottes deutlich erkennen.“

Zum Schlusse dieser in vielen Stücken noch heute unübertroffenen Laus-Anatomie ruft Swammerdam weiter aus: „Ich gebe Euer Hochedlen zu bedenken, ob der Zufall oder Zufälligkeiten auch nur einigen Antheil haben an dem künstlichen Bau dieses kleinen Punktes der grossen Welt, in welcher so viele und so verschiedene Wunder die Allmacht Gottes mit lauter Stimme preisen“.

Diese treffenden Worte bezeichnen die ganze Breite der Kluft zwischen jenen Leuten, die, von ihrem irrlichterirenden Verstande hin und her geworfen, vermeinen, an Gott nicht glauben zu können und stets ausrufen: „die Natur hat es so gemacht“, – und Jenen, die diesen Rationalisten? immerfort zurufen: „wer hat denn diese euere Natur gemacht?“ Hierauf Schweigen jener als Antwort, oder: „Die Natur hat sich selbst gemacht“, – eine complet verrückte Antwort, da sie alle irdische Logik über den Haufen wirft.

Swammerdam hingegen sagt ausdrücklich, „dass nicht das Kleinste der Zufall gemacht hat“, und fährt fort: „Ich beschliesse hiermit diese Abhandlung und bewundere standhaft die Wunder der Natur als eine aufgeschlagene Bibel, die überall auf Gottes ewigen Ursprung zurückweist“.

So denkt und spricht nun einer der allerexactesten Naturforscher, die jemals gelebt haben.

[S. 39] Nicht das kleinste Atom von Zweifel, nicht das kleinste Moment zum Abirren von dem grossen Gottesgedanken vermochte in ihm Macht zu gewinnen!

Ich füge noch hinzu, dass es historisch festgestellt und bekannt ist, dass Swammerdam jede seiner Arbeiten mit einem Gebete, – jedoch durchaus nicht mit einen confessionellen, sondern mit einem naturforscherlichen, – begonnen hat, und dass er jedesmal Abends, am Schlusse seiner Arbeit, wieder zum Schöpfer aller jener tagsüber gesehenen Wunder betete.

Von dieser Art der Naturforscher nun, meine verehrten Hörerinnen, bin auch ich! Ich kann keine anatomische Arbeit beginnen oder vollenden, ohne hiebei an den Schöpfer der Welten inbrünstig zu denken. Und es gilt mir völlig gleich, ob Sie mich um dieser Aussage willen für einen Mucker halten oder nicht. Meine Antwort auf Gretchen’s Frage: „Glaubst Du an Gott?“ wäre ein lautes entschiedenes „Ja“.

Warum sage ich Ihnen aber dies Alles? Weil Sie später Einiges hören werden, was Sie vielleicht, wenn ich nicht ausdrücklich meinen deistischen Standpunkt betonte, über meine Anschauungen bezüglich des Göttlichen und seiner wahren Offenbarung, „der Natur“, irre führen könnte, oder aber Sie glauben machte, ich rede so, weil ich nicht ganz bestimmte Vorstellungen über Gott und dessen erhabenen Willen für den Menschen hätte!

Sie, erzogen in den traditionellen Anschauungen über die Geschöpfe-Entstehung, könnten z. B. zu dieser Meinung vielleicht veranlasst werden durch meine Darstellung eines, besonders die anwesenden Frauen interessirenden Punktes der Schöpfungsgeschichte. Es ist dies nämlich meine ganz entschiedene Ansicht über die Entstehungsweise der „Frau“ und hiernach über die Bedeutung und die Stellung des „Weibthums“ in der Natur!

Vor der betreffenden Discussion jedoch eine Mahnung an Sie, meine geehrten Damen, Sie müssen nicht etwa, glauben, dass ich Ihretwegen, Ihnen zu Gefallen, so spreche, wie ich es thun werde. Sie sind mir, individuell völlig gleichgiltig, ob alt oder jung, schön oder hässlich. Sie sitzen hier vor mir nur als exemplifizirte Ausführungen des Begriffes, als Figurinen der mir so hochwichtig scheinenden Schöpfungs-Form »Weibthum«.

Wenn ich an dieses denke und von ihm zu Mitmenschen beiderlei Geschlechtes reden soll, fühle ich sogleich jenen Enthusiasmus in mir wach werden, der schon vom Anbeginn meines naturhistorischen Strebens und Denkens, mich bezüglich des gleich erhabenen wie formell herrlichsten Schöpfer-Gedankens, „das Weibthum zum Mittelpunkte alles menschlichen Fortschrittes auf Erden zu machen“, stets durchglüht und zur Verkündigung dieses Lehrsatzes angeregt hat.

Weibthum?“ Was bedeutet dies, von mir hier zuerst naturhistorisch verwendete Wort? Es bedeutet die organische Grundlage alles dessen, was da ist, den vom Schöpfer, am Anfange aller Zeiten eingesetzten Ausgangspunkt aller noch höheren organischen Existenzformen, um unsere Welt, die Erde, zu einem fortwährend vervollkommnungsfähigen und herrlichen Daseinsorte zu gestalten.

„Welche Ueberschwänglichkeit!“ höre ich Sie, besonders die anwesenden Männer, ausrufen!

„Durchaus nicht!“ entgegne ich Ihnen. Sie werden meinen Ausspruch selbst zugeben, wenn Sie meinem Gedankengange genau folgen.

Vor Allem: das Weibthum hat die angedeutete Mission nur, wenn es so ist, sich so entwickelt, wie es sein soll und sein kann.

[S. 40] Sie Alle, die hier gegenwärtigen Vertreterinnen des Weibthums, sind freilich, (entschuldigen Sie die Offenheit) noch kaum so, wie Sie sein sollen, – die Eine mehr, die Andere minder!

Es ist nun die Aufgabe des Naturforschers, – als Menschenstamm-Erzieher (seine höchste Aufgabe), – das Weibthum, d. i. die menschliche Frau, so herauszubilden, dass sie ihrer wahren und eigentlichen Naturaufgabe gerecht werden kann. Und diese ist: die wirkliche Genossin, die echte, wahre, theilnehmende, ausdauernde Genossin des anderen Wesens zu werden, welches der Schöpfer als Krone seiner lebendigen Existenzformen auf Erden schuf, – des Mannes.

Die Geschichte der Entstehung des Weibes ist eben eine ganz andere, als sie traditionell gewöhnlich gelehrt wird.

Es wurde nicht zuerst der Mann geschaffen und aus ihm das Weib, wie eine orientalische Sage dies lehrt. Es war vielmehr ganz gewiss zuerst das Weibthum, die weibliche Existenzform, und aus ihr hat sich später, als höchste lebende Daseinsform, die männliche entwickelt.

Damit aber dieser, die höchste irdische Daseinsstufe repräsentirenden Mannesform die nöthige Genossin zur Seite stehe, – die, laut Schöpfungs-Gedanken unerlässliche und entsprechende Hilfskraft zur Erzeugung von anderen menschlichen Geschöpfen, – hiezu muss das „Weibthum“, das Weibs-Individuum so herangebildet werden, wie dies der denkende Naturforscher, und er zunächst allein, im Sinne hat, – wie Sie dies, so ich mich nicht irre, anstreben, – und wie dies leider bis nun weder von der öffentlichen Meinung, noch von denjenigen, welche das Unterrichtswesen in den meisten Staaten leiten (mit Ausnahme Russlands! merkwürdigster Weise), in entsprechender Weise gewürdigt wurde.

Vielleicht erscheint Ihnen als ein etwas gewagter Ausspruch die Behauptung, dass alles wahre Glück der Manneswelt auf unserer Erde auf dem Weibthume beruhe, von ihm ausgehe, jedesfalls durch selbes sehr getrübt, ja zerstört werden könne. Und doch ist es so. Ich meine nämlich, was hier besonders betont werden muss, das Weibthum nicht allein im Menschenreiche, sondern auch jenes aller Thiere und sogar der Pflanzen.

Allüberall, d. i. im ganzen Gebiete der organisirten Wesensformen auf unserer Erde, ist die Weibsform die frühere, die der Mannesform vorhergehende gewesen.

Dieser naturhistorisch leicht zu begründende Ausspruch ist aber noch zu erweitern und näher zu präcisiren durch eine gleichfalls naturhistorisch sichere Thatsache. Es ist nämlich mehr als wahrscheinlich, ja zweifelsohne, dass eine ganz neutrale Existenzform der dermalen bestehenden männlichen und weiblichen Thier- und Pflanzenform voranging, zur Zeit als Gott seine Welten2 schuf und deren Einwohner hervorrief.

Es scheint fast, als ob der Schöpfer anfangs in seinem Entschlusse, verschiedene Geschlechter zu bilden, geschwankt habe und darum eine organische Existenzform entstehen liess, welche die Grundlage aller zweigeschlechtlichen Thier- und Pflanzen-Bionten (Lebewesen, von βιον Leben) werden konnte. Wir wollen sie die neutrale Lebensform nennen, die in zweierlei Anordnung, als neutrales Thier- und neutrales Pflanzen-Bion geschaffen wurde.

[S. 41] Aus dieser neutralen Thierform entstand nach dem Schöpfungsgesetze eine weitere Form, welche schon den Keim all der Herrlichkeit und Wunder in sich trug, zu welchen sie in weiterer Entwicklungsfähigkeit bestimmt war: es wurde die thierische Weibesform, „das thierische Weibthum“ hervorgerufen.

Als die weibliche Form vollendet war, und diese vielleicht viele hunderte und tausende von Jahren allein die Erde bevölkert hatte, entstand dann der göttliche Entschluss, eine noch vollendetere Lebensform darzustellen und diese höchste aller thierischen Existenzformen ist die männliche.

Das eben Gesagte klingt zwar nicht sehr schmeichelhaft für ein Frauen-Publikum, noch auch sehr einladend, um auf eine, gleichsam von der Natur schon im Vorhinein (durch ihren Schaffungsplan) abgelehnte, radikal umwandelnde Verbesserung der Existenzform „Weib“ hinzuarbeiten.

Wenn wir aber ruhig überlegen, liegt doch ein tiefer, mit grösster Weisheit ausgedachter und für das „Weibthum“, speciell für das Menschenweib, sehr vorsorglicher, zugleich aber dem ganzen Menschthume dienender Plan hinter dieser Entwickelungsanordnung des Schöpfers.

Diese andere obenerwähnte höhere Existenzform, der Mann, das „Mannthum“, hätte absolut keine dauernde Existenz-Berechtigung für den Fortbestand der Welt, wenn sie allein bleiben würde. Denn, wenn sie nur das und nicht mehr vollbrächte, was sie allein bleibend vollbringen könnte, wäre aller irdische Fortschritt bald zu Ende. Sie hätte aber ferner auch keine Existenz-Freude zu gewärtigen, wäre sie die einzige Form.

Die wahre Existenz-Freude für den Mann, „das Mannthum“, erwächst erst ganz wesentlich aus der Weiterentwickelung der weiblichen Form, „des Weibthums“, in einer, dem Manne correspondirenden Weise, in einer, seinem, dem männlichen Geiste und dessen Aufgaben auf Erden, auch adäquaten Art.

Hierüber ist noch folgendes Wesentliche zu bemerken. Obschon die Natur den Mann als eine vollkommenere Form aus dem Weibe entstehen liess und ihn hiebei mit mancherlei körperlichen Eigenthümlichkeiten ausgestattet, ja, man muss sagen, bevorzugt hat, war sie doch, entschieden nicht gewillt, dass gewisse, beim Manne wegfallende vegetative Körpereigenthümlichkeiten des Weibes dieses dem Manne gegenüber etwa physisch herabsetzen, noch, dass diese das in letzter Linie eigentlich Massgebende der weiblichen Existenzform sein sollen.

Die Natur, d. i. der weise Schöpfer, hat hingegen ganz entschieden beabsichtigt, schon um des Mannes und seiner Weltaufgabe willen, „das Weibthum“ organisch so zu gestalten und es auch in geistiger Beziehung so hoch zu entwickeln, dass das Weib die wünschenswerthe und gleichzeitig würdige Genossin des Mannes werden könne.

Vielleicht denken Sie, geehrte Hörerinnen: „wie können Sie (ich) dies behaupten? Es ist ja in der ganzen weiten Welt nicht das, was factisch geschieht. In den verschiedensten Ländern der Erde denkt man nicht entfernt daran, das Weib zur würdigen Genossin des Mannes heranzubilden“. Ja, an der Hand der Tradition könnten noch weitere Einwände gegen meine Behauptung vorgebracht werden. Liest man z. B. die Entstehungsgeschichte der Frau in der Darstellung jener Männer, von denen die gültigste Tradition stammt (Moses), so findet man von obiger Behauptung absolut Verschiedenes.

Sie, meine geehrten Frauen, könnten weiter fragen: „warum ist, wenn die Absichten [S. 42] der Natur mit dem Weibe so klar vorliegen, wie Sie (ich) behaupten, die Stellung der Frau noch bei den meisten Völkern der Erde eine so niedrige, eine der Bibel oder richtiger der Orient-Tradition so entsprechende?“

Hierauf habe ich Folgendes zu erwidern: Es ist eine eigenthümliche Erscheinung in der Natur, wie der unbefangene Forscher zugestehen muss, dass das Bessere, die höhere Entwicklungsstufe der Wesen, die auf manchen Stellen der Erde Statt hat, nicht überall zu gleicher Zeit auf ihr erreicht wird. Naturhistorisch ausgedrückt: „Nur in ganz beschränkten Localitäten kommen zuerst bessere Existenzformen, bessere organische Einrichtungen der Lebewesen zu Stande.“ So ist es bis jetzt überhaupt nur eine relativ ganz kleine Anzahl von Völkerschaften unserer Erde, welche durch höhere Bildung sich auszeichnen. Diese nun sind es, bei denen vorerst die Weiterentwicklung der weiblichen Form, des „Weibthums“, gepflegt, oder wenigstens angebahnt wird.

Noch schmachten aber auf dem weiten Erdenrunde, ja selbst in vielen sogenannten civilisirten Ländern, viele Tausende von Frauen in einer Abhängigkeit, in einer Situation, welche weit mehr an die eines vortheilhaften Hausthieres als an die einer stammesgleichen Genossin des Mannes erinnert. Beispiele: Türkei, ja der ganze Orient.

Freuen wir uns daher, d. h. Sie mit mir, dass wir auf einem Erdtheile wohnen, wo dies nicht mehr der Fall ist und hauptsächlich, dass wir, d. h. Sie mit mir und so manchen Männern, die Einsicht haben, dass nur diese Weiterbildung des „Weibthums“ der letzte und eigentliche Wille des Schöpfers mit dem Weibe ist.

Leugnen wir, d. h. Sie und ich, mit aller Entschiedenheit die Behauptung derjenigen, welche sagen, „es sei vom Schöpfer, von der Natur nicht so geplant, wie hier ausgesagt wird“.

Dass die grösste Entschiedenheit hierbei Noth thut, können Sie, Verehrte, aus einigen hier folgenden historischen, in die jüngste Neuzeit fallenden Thatsachen entnehmen.

Wenn ein gelehrter Anatom, Bischoff, († München) in einer Schrift im Jahre 1872 erschienen und den Titel führend: „Das Studium und die Ausführung der Medicin durch die Frau“, sagt: „Die Frau sei zum Studium der Medicin nicht tauglich“ und dann sich zu der mehr als groben Aeusserung versteigt: „Es fehlt dem weiblichen Geschlechte nach göttlicher und natürlicher Anordnung die Befähigung zur Pflege und Ausführung der Wissenschaften, speciell der Naturwissenschaften und der Medicin“, – wenn, sage ich, ein Mann, der sonst in der Wissenschaft einen der ersten Plätze einnimmt, der die exactesten Untersuchungen besonders über die Entwickelungsgeschichte gemacht hat, wenn ein Mann, der ein langes Leben in unverdrossener, ernster Arbeit zubrachte, ein solches Votum abgibt, „Gott und die Natur habe dem Weibe die Befähigung zur Pflege der Wissenschaften versagt“, – so ist wahrlich die grösste Entschiedenheit, die schrankenloseste Energie nöthig, um einem der gewichtigsten Keulenschläge, welche man je gegen das weibliche Geschlecht in Europa geführt hat, in verdienter, der Wahrheit allein entsprechenden und naturgerechten Weise zu begegnen.

Ich verweise Sie für Ausführlicheres über diesen Gegenstand auf jene Schrift, in welcher ich diesen ebenso unlogischen als unwahren Ausspruch Bischoffs: „Gott und die Natur etc.“ (siehe früher) in verdienter abfälligen Weise beleuchtet habe. Es ist dies meine schon S. 32 erwähnte Schrift: „Einiges über das Gehirn der Wirbelthiere mit besonderer Berücksichtigung jenes der Frau, 1878 etc.“, in welcher sich [S. 43] Folgendes über die angeführte Behauptung Bischoff’s findet (S. 5 des Separatabdruckes).

„Entweder“, sage ich dort, „glaubt Bischoff an Gott, dann hat die Natur nichts an dem Weibe gemacht, sondern Gott, der die Natur erschuf. Oder Bischoff ist kein Deist, sondern nur Naturalist, – dann konnte und musste er die Anführung ‚Gott‘ als Werkmeister aus dem Spiele lassen.“

Allein Bischoff hat mit Absicht diesen Pleonasmus „Gott und die Natur“ gebraucht, denn er wusste ganz gut, dass es viele Menschen mit wenig Ueberlegungsvermögen gibt, die leicht zu überführen sind, wenn sie nur recht viel klangvolle Worte zu hören bekommen.

„Gott und die Natur“, – dies will und soll sagen, was Gott etwa noch an der Weibesform übersehen, hat die Natur nachgeschaffen, und vice versa, was die Natur etwa zu bilden vergessen hat, wurde von Gott ergänzt.

Eine solche Ausdrucksweise scheint mir aber eines sowohl gottgläubigen als wissenschaftlichen Mannes ganz und gar unwürdig. –

Eine einigermassen pikante historische, meine Kritik Bischoff’s betreffende Notiz sei hier noch bezüglich einer in meiner oben citirten Schrift, S. 5, vorfindlichen sogenannten „Redactions-Anmerkung“ vor Sie gebracht, die ein schon verstorbener Haupt-Funktionär des „Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien“ zu machen sich unterfangen hat. Diese Notiz beleuchtet ein vor 14 Jahren, 1878, geschehenes, gleich hinterlistiges wie albernes Gebahren jenes Redactionsmitgliedes.

Als ich die früher citirte Kritik des Bischoff’schen Satzes niederschrieb, konnte ich die Correctur jenes Bogens, in dem sie vorkömmt, nicht mehr selbst durchsehen, weil ich Wien verlassen hatte. Da hat nun die damalige Redaction aus Schweifwedelei vor dem Münchner Bischoff sich es herausgenommen, zu meiner ganz und gar berechtigten Kritik Bischoff’s hinterher die Anmerkung zu setzen: „Diese Seite hat der Herr Verfasser trotz allen Drängens nicht weglassen wollen.“ So geschehen im Jahre 1878, im „Vereine zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien“. Den Mann, der dieses gethan, deckt schon lange die Erde; ich enthalte mich daher einer Erörterung über die muckerischen Motive dieser nicht dem Naturforscherstande angehört habenden Person. Ich habe ihm jene Anmerkung längst vergeben; er hat aber mit ihr an der Wahrheit meiner Aussprüche gegen Bischoff wahrlich nichts geändert!

Wir aber müssen diesen Bischoff’schen Satz noch ein wenig in Ihrem Interesse wegen seiner möglichen Folgen beleuchten. Es ist dies eben ein Ausspruch, der übrigens vollständig seine verheerende Wirkung geübt hätte, wenn Bischoff auch nur Gott allein, ohne Natur, als Ursache jenes weiblichen Geistesmangels angeführt haben würde. Wie, soll sogleich gezeigt werden.

Bekanntlich pflegen die Unterrichtsministerien, vor Entscheidung über einschneidende Studienfragen, die Universitätsfacultäten um ihr Votum über diese anzugehen. Wenn nun z. B. an die Münchner medicinische oder philosophische Facultät von Seiten ihres Unterrichtsministers die ex offo zu beantwortende Frage gelangt wäre: „Sind die Frauen befähigt, wissenschaftlich unterrichtet zu werden?“ und weiter: „Hat der Staat die Verpflichtung, dafür zu sorgen?“ – und die befragte Facultät hätte nun ihr Mitglied Bischoff zum Referenten für die Beantwortung dieser Fragen bestellt, – und dieser hätte nun als Antwort über das Frauenstudium an das Ministerium [S. 44] berichtet: „Gott und die Natur gaben dem Weibe die Befähigung zur wissenschaftlichen Ausbildung nicht“, – so wäre dieses Referat bei der grossen Autorität Bischoff’s im Collegium zweifelsohne mit Stimmenmehrheit angenommen worden.

Wer könnte es nun da dem Unterrichtsminister verargen, wenn er, der doch kein Naturforscher ist, und vielleicht nur Frauen ohne wirkliche wissenschaftliche Befähigung kennt, einer solchen naturhistorischen Autorität, wie Bischoff, und dem auf ihn sich stützenden Majoritätsvotum glaubte!

Ein Unterrichtsminister kann doch nicht alle möglichen Specialkenntnisse in sich vereinigen, um in allen Dingen auf eigene Anschauungen und Erfahrungen hin zu einem vollkommen unbefangenen Urtheile zu gelangen. Man könnte es ihm also kaum übel nehmen, wenn er, auf ein solches Votum hin wie das Bischoff’sche, jedes Ansuchen von Frauenseite um Gewährung von Einrichtungen für höhere, Gymnasial- und Facultäts-Studien abschlägig bescheiden würde!

Darum aber habe ich mich schon im Jahre 1878 in meiner, S.32 citirten, streng wissenschaftlichen Schrift und sodann im Jahre 1883 im aus S. 32 erwähnten Essay: „Frauenhirn, Frauenseele etc.“ sehr bemüht, die Grundlagen, auf welche hin Bischoff diese Aeusserungen abgegeben hat, zu prüfen und die Frage zu beantworten: „sind die Grundlagen für sie richtig? – sind sie vor Allem naturhistorisch, anatomisch richtig – oder nicht?“

In der früher angeführten Schrift Bischoff’s über „das Frauenstudium“ hat er die Beweisführung, auf welche hin er seine Anschauungen über die Inferiorität der Frauen gewonnen hat, in zwei Theile getheilt, in ein Hauptkapitel und in einen Anhang voll mehr nebensächlicher anatomischen Details. Im Ersteren bespricht er die Frage vom Frauenhirne, und bemüht sich, weitläufig nachzuweisen, dass das Frauenhirn ein inferiores, dem männlichen Gehirne weit untergeordnetes sei.

Auf welche anatomische Thatsachen hin hat er nun dies behaupten können? Ich kann natürlich in einer so kurz währenden Vorlesung, wie die heutige, unmöglich alle Details vorbringen; ich werde mich nur bemühen, Ihnen das Allerwesentlichste zu bieten, um Sie, zu Ihrem Troste, von der völligen anatomischen Unrichtigkeit der Bischoff’schen Aussage zu überzeugen. Was Sie hier hören, können Sie als eine Art anatomischen Fundus instructus über das Frauenhirn aus dem Saale mit sich nehmen, mit der Beruhigung: Ihr Gehirn, d. i. das weibliche, ist ganz genau so organisirt als das Ihres Gatten, falls Sie bereits verheirathet sind, oder als das Ihres eventuell zukünftigen Mannes, – wenn Sie einen bekommen sollten. Ihr Gehirn ist ganz ebenso, von Alpha bis Omega, im Grossen und Ganzen wie in allen Einzelnheiten, in Lage, Form, in der Entwickelungsweise wie das männliche gebaut, es ist in gar Nichts seh- oder greifbarem vom Manneshirne verschieden.

Wenn ich in meinem früher erzählten Traume der Natur gegenüber auf Ein Gehirn als ein weibliches hingewiesen habe, so that ich dies, ich möchte sagen, aus einer Art Pietäts-Anwandlung für das, was man „gewissenhafte Litteratur-Benützung“ nennt. Weil einige jüngere Münchner Anatomen von Neuem die Frauenhirnfrage beleuchtet und behauptet hatten, es gäbe doch wesentliche Unterschiede zwischen Männer- und Frauenhirn, verfuhr ich – im Traume! – wie früher erzählt.

Allein es ist denn doch nicht entfernt so, wie die Münchner (voran Bischoff 1872 bis 1881) aussagen.

Bis in die neueste Zeit hat nicht ein einziger Gehirnanatom, nicht Einer betone ich, jene Merkmale anzugeben gewusst, durch welche er sicher im Stande wäre, [S. 45] von zwei ihm vorgelegten Gehirnen verschiedenen Geschlechtes richtig zu bezeichnen, welches das männliche und welches das weibliche.

Sie sehen hier ein frisches Menschen-Gehirn.3 Wenn man dieses nun einem, auch dem gewiegtesten Anatomen vorzeigt, ohne ihm dessen Herkunft zu sagen, würde er ganz bestimmt dasselbe, auf die Angaben jener Münchner Anatomen sich stützend, als das Gehirn eines Mannes und noch dazu als das eines wahrscheinlich geistig sehr entwickelt gewesenen Mannes bezeichnen.

Dieses hier vorliegende Gehirn ist nämlich ein formell vortrefflich ausgebildetes, ja in jeder Form-Beziehung musterhaftes. Und wem gehört es: einer im allgemeinen Krankenhause gestern verstorbenen Taglöhnerin. Was wir unter einem formell trefflich entwickelten Gehirne verstehen, werden wir später ein wenig, so weit die Zeit reicht, kennen lernen.

Hier aber sehen Sie ein sicheres männliches Gehirn.4 Wenn man nun diese beiden Gehirne, das frische und das Spiritusgehärtete, formell, d. i. bezüglich ihrer verschiedenen Form-Einzelnheiten vergleicht, so muss man augenblicklich sagen, dass dieser Mann von der Natur weit weniger bezüglich Gehirn bevorzugt wurde, als jene Frau, die noch dazu eine Taglöhnerin war!

Vom anatomischen Standpunkte ist es auch ganz erklärlich, dass ein ordinäres Weib ein formell vortrefflich entwickeltes Gehirn haben könne.

Nebenbei bemerkt, meine Damen, was ich Ihnen hier von Präparaten biete, kann man nicht eigentlich eine lehrreiche Demonstration nennen. Gehirn-Demonstrationen überzeugender, eingehender Art, kann man nur mit einem kleinen Publicum, höchstens 5-20 Personen, unternehmen. Sollte ich im nächsten Winter noch leben, so werde ich gerne in einem grösseren Zimmer meiner Wohnung einer kleinen Anzahl von Damen Gehirn-Demonstrationen geben. (Bravo-Rufe; die Red.)

Damit Sie aber doch einigermassen einsehen, warum ich früher sagte, dass dieses frische Gehirn jenes der Taglöhnerin, ein schönes, und das männliche Spiritus-Gehirn ein viel weniger schönes ist, will ich kurz andeuten, was wir Anatomen unter den Worten „formell schön“ oder „gutes Gehirn“ verstehen. Beachten Sie aber noch wohl, was ich jetzt hervorhebe. Die formelle Schöne oder Güte des Gehirnes entscheidet noch gar nicht über den wahren Werth desselben. Sie bestimmt nur einigermassen das Urtheil, welches der Kenner über ein Gehirn dem Anscheine nach fällt.

Das menschliche Gehirn hat oberflächlich, wie Sie hier leicht sehen, Bas-reliefs ähnliche Erhebungen (Wülste) und Vertiefungen (Furchen) zwischen diesen. Die Erhebungen heissen „Windungen“ (gyri), die Vertiefungen „Furchen“ (sulci). Man lehrt nun: je reicher an Windungen ein Gehirn, desto entwickelter, desto „formell schöner“ ist es.

Darum sagte ich früher, das vorliegende weibliche Gehirn sei schöner als das männliche; das weibliche ist, wie Sie sehen, sehr reich configurirt, zeigt viel mehr und reichere Windungen (nach Zahl aller und Schlängelung der einzelnen) an seiner Oberfläche, als das hier vorliegende männliche.

Ich betone nun: es ist unmöglich, aus Zahl und Form der Windungen zu erkennen, ob man ein männliches oder weibliches Gehirn vor sich habe. Ich betone dies mit der grössten Entschiedenheit, nach vielfachsten, am Secirtische von mir gesammelten [S. 46] Erfahrungen. Wenn Sie alle Anatomen der Welt befragen, so können diese, soferne sie nicht schwindeln, keine bestimmten Anhaltspunkte geben, wie man nach Form und Zahl der Windungen die Geschlechter unterscheiden könne.

Wir wollen auch erwähnen, was jüngst ein Schüler Bischoff’s, abgesehen von den Windungen, gegen die Frauen, respective gegen ihr Hirn vorgebracht hat.

Diese Furche des Gehirnes hier (Professor Brühl zeigt sie an einem menschlichen Spiritus-Gehirn; die Red.) heisst die Sylvius-Spalte, nach einem alten Anatomen der sie zuerst signalisirt hat. Diese an der Seitenfläche des Gehirns befindliche lange Furche, welche die ganze Gehirnmasse gleichsam in zwei Abtheilungen, in eine vordere mehr obere, und eine hintere mehr untere, zu theilen scheint, hat nun an ihrem vorderen unteren Ende mehrere verschiedentlich entwickelte vordere Ausläufer. Aus der Gestalt, Zahl und Länge dieser übrigens sehr nebensächlichen kurzen Furchen soll sich, nun nach jener Münchner Angabe, ein neuer Beweis für die Inferiorität des Frauenhirnes nachweisen lassen. Der vielfachste Wechsel aber dieser vorderen Furchen-Ausläufer, den ich auch beim Manneshirne gesehen, erlaubt nicht, aus ihnen auch nur den allergeringsten Schluss auf Hirnunterschiede nach dem Geschlechte zu machen. –

Ein weiterer vorgeblicher, gegen die formelle Gleichheit des Frauen- und Manneshirnes sprechender und von München aus sehr betonter Umstand ist von Bischoff’s Nachfolger auf der Münchner anatomischen Lehrkanzel, Herrn Dr. Rüdinger, vorgebracht worden. Herr Rüdinger, ein Anatom übrigens der allerbesten Art, ein überaus fleissiger Arbeiter, der, man kann sagen, Tag und Nacht am Secirtische sitzt, die feinsten Nerven ausmeisselnd, ein wahrer Künstler in mechanischer Beziehung, hat von seinem verstorbenen Herrn und Meister Bischoff die Aufgabe übernommen, das Frauenhirn herabzusetzen und hat nun geglaubt, einen sehr schlagenden Beweis für diese Aufgabe in Folgendem gefunden zu haben.

Professor Rüdinger hat nämlich ein Paar Zwillinge verschiedenen Geschlechts auf ihre Gehirn-Contouren untersucht. Da diese beiden Zwillings-Individuen, Mädchen und Knabe, fast zu gleicher Zeit (wenige Minuten Unterschied) geboren waren, konnten Gehirn-Verschiedenheiten nicht auf verschiedene Entwicklungszeiten zurückgeführt werden. Von den Gehirnen dieser Zwillinge berichtet nun Herr Rüdinger: in dem Knaben-Gehirne waren gewisse Windungen und Furchen, speciell die Sylvius-Spalte weit mehr entwickelt, länger und grösser, als in jenem des Mädchens. Hieraus zog er nun sogleich, nach Meister Bischoff, gleichsam zu dessen Deckung, den Schluss: durch diese Zwillinge ist der Beweis für die Inferiorität des weiblichen Gehirnes gegeben, da beide Individuen, Mädchen und Knabe, in derselben Zeit und von denselben Eltern entstanden, und siehe da: das eine, das männliche Hirn ist formell viel (?) reicher entwickelt als das andere, weibliche. Ergo, quod erat demonstrandum: das Gehirn der Frau steht niedriger etc.

Professor Rüdinger hat aber schon im Jahre 1877, in welchem seine bezügliche Schrift vom Gehirnunterschiede der Zwillinge erschien,5 versprochen, das, was er an den Zwillingen gesehen, „auch an Erwachsenen eingehend zu begründen“ (seine eigenen Worte), also auch an Erwachsenen nachzuweisen, dass das ausgebildete Gehirn der beiden Geschlechter formell verschieden und dass das [S. 47] weibliche Gehirn niedriger organisirt sei, als das männliche. Im Jahre 1877 hat er dies versprochen und bis heute 1892, also 15 Jahre später, ist das verheissene Buch noch nicht erschienen, und wird auch wohl kaum jemals erscheinen.

Ich frage nun: wie konnte ein so routinirter Anatom, wie Herr Rüdinger, aus einem einzigen Zwillingspaare ein Urtheil schöpfen, welches beweiskräftig darthun soll, dass das männliche Gehirn höher, das weibliche niedriger sei? Kann dies Eine Zwillingspaar sich nicht nur zufällig so verhalten?

Deshalb schrieb ich schon 1878, in meiner mehrfach citirten Schrift „Über das Gehirn der Säugethiere etc.“ (Seite 84-86, Anmerkung): „ein Beweis, wie ihn Rüdinger vorbringt, ist absolut keiner, – und es ist wirklich unverständlich, wie ein Gelehrter vom Range Rüdinger’s Derartiges auftischen könne“. Ich habe damals wörtlich hinzugefügt (a. a. O., S. 86): „Eine typische Differenz der Gehirne besteht ganz gewiss nicht in deren Bildungsgesetzen für die Grosshirnwindungen der beiden Geschlechter; – es gibt wohl individuelle Windungsdifferenzen in zahlloser Menge unter den verschiedenen Individuen beiderlei Geschlechtes, aber es gibt gewiss keine von der Natur eingesetzten typischen sexuellen, d. h. solche zwischen den Geschlechtern“. Ich fuhr damals fort:

„Unterrichtet Euere Mädchen gehörig und in einigen hundert Jahren wird man über anatomische Untersuchungen, wie die des Herrn Rüdinger, nur mitleidig lachen können.“

Nun noch ein neuer schlagender Beweis für das, was ich 1878 gegen Herrn Rüdinger schrieb, aus allerjüngster Zeit. Im Jahre 1890 hat ein junger, höchst talentvoller und gewissenhafter anatomischer Schriftsteller, Dr. Eberstaller, dermalen Stadtphysikus in Graz, ein kleines Buch über das Stirnhirn geschrieben; so heisst nämlich der vorderste Theil des Gehirnes. Hr. Eberstaller theilt nun in diesem Buche mit, dass auch er ein neugeborenes Zwillingspaar auf ihre Gehirnbildung untersucht habe. In diesem Falle waren beide Zwillings-Individuen Knaben. Von diesen beiden männlichen Zwillingen nun hatte der eine ein 35 mm., der andere ein 36 mm. langes Gehirn. Das erstere wog 900 Gramm, das letztere 1000 Gramm. Das Kind mit dem leichteren Hirn lebte zwei Tage, jenes mit dem schwereren nur einen.

Prof. Rüdinger bezeichnete in der früher citirten Schrift, wie erzählt, das männliche seiner Gehirn-Zwillinge als das bessere, das weibliche als das minderwerthige. Drücken wir dieses Verhalten der Rüdinger’schen Zwillinge so aus:

Symbol männlich(Zeichen des männlichen Geschlechtes) mit + Qualität und das weibliche, ♀, als inferiores, mit –. Stellen wir nun Rüdinger’s und Eberstaller’s Aussagen über die Gehirn-Qualitäten der Geschlechter bildlich kurz zusammen:

 

Rüdinger’s Zwillingspaar: Symbol männlichGehirn: +; – ♀ Gehirn: –;

Eberstaller’s Zwillingspaar: 1. Symbol männlichGehirn: +; 2. Symbol männlichGehirn: –.

 

Wir sehen hieraus, dass die zwei männlichen Zwillings-Individuen Eberstaller’s sich bezüglich des Gehirns ebenso verschieden verhalten wie die verschieden-geschlechtlichen Zwillinge Rüdinger’s. In Eberstaller’s Zwillingspaar hatte Ein Knabe, nach Rüdinger’s Anschauung, eine männliche Gehirnentwicklung, der andere eine weibliche. Was würde nun da Herr Rüdiger bezüglich der Gehirn-Unterschiede vorbringen können?

Herr Eberstaller bemerkt ganz richtig zu seinem Zwillingsfunde: „ich [S. 48] ziehe aus meinen Zwillingen keine schlagenden Geschlechts-Unterschiedsschlüsse, aber ich kann keinesfalls zugeben, dass jemand Anderer aus einem einzigen Zwillingspaare solche à la Rüdinger zieht“.

Aus diesem Eberstaller’schen Fall kann man aber so recht ersehen, mit welchen anatomischen Beweisen selbst die gelehrten Feinde des Frauenstudiums (Bischoff und Consortes) kämpfen, und mit welchem Rechte! –

Nun kann man aber weiter auch leicht nachweisen, und ich habe dies in meiner Schrift vom Jahre 1878 durch statistische Daten und Zahlen eingehend und schlagend gethan, – dass Nichts, was am Gehirne äusserlich zu sehen ist, – Nichts, was als dessen Form, Oberfläche, Grösse bezeichnet wird, – weder dessen Gewicht noch dessen Dimensionen, – irgendwie entscheidend sind, für die unfehlbare Beurtheilung des geistigen Werthes, also der intellectuellen Bedeutung eines Gehirns. Es kann, – wie ich dies auch in meiner Schrift vom Jahre 1883: „Frauenhirn, Frauenseele und Frauenrecht“, nachdrücklichst hervorgehoben habe, – ein schweres und grosses Gehirn ein intellectuell sehr wenig leistendes sein und hingegen ein leichtes kleines sehr bedeutende geistige Arbeit verrichten.

Wenn also auch alle weiblichen Gehirne wirklich kleiner, leichter, umfangsgeringer, windungsärmer wären als die männlichen, – was sie aber durchaus nicht alle sind, – so resultirte aus diesen Verhältnissen noch nicht entfernt die von Bischoff und Anderen behauptete geistige Inferiorität des Weibes!

Ein kleines, leichtes Gehirn kann ein für Geistesarbeit vortrefflich entwickeltes, und hingegen ein grosses schweres ein geistig inferiores sein, und zwar dies aus folgendem, ganz unzurückweisbarem Grunde, der jedoch zu seinem Verständniss eine etwas weitläufigere Exposition verlangt. Ich lasse sie hier folgen.

Jedes menschliche und Säuger-Gehirn, wie leicht an jedem frischen Schweinshirne ersichtlich, zeigt, wenn die Gehirnhäutchen abgezogen6 und ein ausgiebiger Querschnitt gemacht ist, zwei der Farbe nach völlig verschiedenen Substanzen: eine rosig-graue und eine blendend weisse.

An Spiritus-Gehirnen kann man dies meist nicht mehr gut sehen, weil der Spiritus die grauen Gehirntheile bleicht, aber z. B. an diesem heute secirten Menschenhirne sehen Sie, meine Damen, diesen Farbenunterschied der Gehirnsubstanzen sehr deutlich. Die graue oder Rindensubstanz ist die oberflächliche; sie bildet die Rinde des Gehirns. Ihr folgt im Innern des Gehirns die weisse Marksubstanz. Man lehrt daher: im Wesentlichen besteht ein Säugethier- und Menschen-Gehirn aus zwei Substanzen, der grauen oder Rinden- und der weissen oder Marksubstanz. Auch im Innern des Marktheiles finden sich hier und da graue Inseln: das Kern-Grau.

Nun wollen Sie sich bezüglich des Werthes und des feineren Baues dieser Gehirnsubstanzen Nachfolgendes wohl einprägen. Die graue Gehirnmasse ist die einzig und allein massgebende sowohl für alle Aufgaben des Gehirns, als ganz besonders für die intellectuelle Bedeutung desselben, – für dessen Geistesarbeit im weitesten Sinne des Wortes; sie allein ist das einzige und wahre „Seelenorgan“.

Die weisse Gehirnsubstanz hingegen hat eine weit untergeordnetere, obgleich [S. 49] auch sehr wichtige Aufgabe;7 diese gleicht völlig jener, welche Telegrafendrähte besorgen, die, zwischen zwei elektrischen Batterien ausgespannt, die Wirkung aus einer Batterie zur anderen vermitteln. Die weisse Substanz besteht nämlich aus lauter weissen Fasern, den Nervenfasern, die von einer Stelle der grauen Substanz zur anderen, sowie von dieser zu der Oberfläche des Körpers ziehen und die Leistungen der grauen Substanz allüberall hin übertragen.

Die graue Substanz besteht hingegen nicht aus Fasern, sondern, wie im frischen Zustande bei Thieren leicht ersichtlich, aus einer sehr grossen Menge (vielen Millionen) rundlicher, aus Eiweiss bestehenden Körper (Ballen), welche wie kleine, nur durch das Mikroskop zu gewahrenden Eiweissklümpchen aussehen. In deren Mitte ist ein sogenannter „Kern“ sichtbar. Von diesem, sowie von der Peripherie der Klümpchen, den sogenannten Nervenzellen, geht eine ziemliche Anzahl (bisweilen 20 und mehr) von Fortsätzen aus. Diese mehr oder weniger kugeligen Gehirn-Elemente, deren viele direct in Nervenfasern übergehen, haben die Grösse von 0,01 mm. bis 0,1 mm. Sie allein sind das eigentlich Wirksame im Thier- und Menschengehirn; deren Wirksamkeit allein stellt das her, was man Seelenthätigkeit im weitesten Sinne des Wortes nennt.

Was Sie Alle, die Sie hier sitzen, fühlen, – was Sie denken, – was Ihre Fantasie schafft, – alle Erfindungen, alle Künste, alle Leistungen der Wissenschaften, unser Ersinnen und Ausdenken, unser Behalten irgendwelcher Eindrücke, – mit einem Wort, Alles, was wir als geistige Thätigkeit bezeichnen, in erster Linie; – in zweiter Linie Alles, was wir von Bewegungen vollführen, die Fähigkeit, unser Fleisch in einen gewissen Zustand der Zusammenziehung und Verkürzung zu versetzen, hiedurch unsere Knochen in beliebige Stellung zu bringen, – endlich unsere Fähigkeit, verschiedentliche Eindrücke durch unsere Haut, durch unsere Sinne, Auge, Ohr, Zunge, Nase wahrzunehmen, – alle diese verschiedenen Funktions-Möglichkeiten unseres Körpers, die man rationell als die drei Hauptthätigkeiten: Bewegung, Empfindung und psychisches Vollbringen zusammenfasst, werden nur und allein durch diese 0,01–0,1 mm. grossen Eiweissklümpchen, die Nervenzellen vollbracht.

Sie sehen in diesen eines der allergrössten Wunder des Schöpfers, – eigentlich das grösste, – wenn man Schöpfungswunder überhaupt classificiren darf.

Wer ein solches Eiweissklümpchen, eine Nervenkugel, durchs Mikroskop betrachtet, würde wohl nicht entfernt ahnen, dass diese winzigen Klümpchen aus einer ganz unscheinbaren Substanz eine derartig grosse und umfassende Arbeit vollbringen können. Was müsste der Mensch für complicirte Maschinen bauen, um solche Resultate zu erzielen, wenn dies überhaupt auf rein mechanischem Wege nur irgend möglich wäre! Gott aber ersann den kleinen Eiweissklumpen, „Nervenzelle“, – und dieser vermag nicht nur was wir oben angeführt, zu leisten, – er vermag auch Gottes Wunder zu erkennen und zu begreifen!

Die Nervenzellen sind es also allein, welche die Bedeutung eines Gehirnes ausmachen.

Wenn Sie nun fragen: worin liegt, bezüglich der Nervenzellen, das Wesentliche der Gehirnverschiedenheit? – wie kann es kommen, dass in Folge einer gewissen Nervenzellen-Anordnung ein Gehirn mehrwertiger ist als ein anderes, so mögen zunächst, [S. 50] damit Sie sich dies nur einigermassen klar machen können, folgende, auf die Tafel hier entworfenen, kleinen schematischen Zeichnungen Sie über das Wesentlichste orientiren.

Es stelle die ovale Linie Fig. 1: G–G’ ein Stück der glatten Oberfläche eines aus Marksubstanz (Fasern) bestehenden Gehirnabschnittes dar; die in mehrfacher Zahl aufliegenden Kügelchen, wie Perlen an einem Kamme, 1-22, a, b, repräsentiren die der Marksubstanz oberflächlich gesellten Nervenzellen.

Abbildung Nervenzellen

Wenn nun in Fig. 1 eine Lage von 24 (1-22, a, b) Nervenzellen Platz findet, so würden, wenn die Marksubstanz eine Vertiefung, Furche (fu) enthielte, wie in Fig. 2, leicht in selber noch 20 Zellen (1’-20’) unterzubringen sein. Ein Mensch nun mit der Gehirnoberfläche der Fig. 2: G-G’ würde also, obzwar diese scheinbar nicht grösser als jene der Fig. 1: G-G’, – fast noch einmal so viel Zellen, also noch einmal so viel Seelenorgane besitzen, als der Inhaber des Gehirnes Fig. 1, der die Vertiefung, die Markfalte fu. nicht hat. Wenn also jemand viele Vertiefungen der Gehirnoberfläche besitzt, so liegt die Wahrscheinlichkeit vor, dass er auch viele Gehirnzellen besitze, und zwar viel mehr als Einer, der nur wenige Vertiefungen der Oberfläche aufweisst. D. h. nun wissenschaftlich ausgedrückt: je mehr, durch Vertiefungen (sulci) getrennte Erhabenheiten (gyri) ein Gehirn besitzt, je windungsreicher es also ist, desto mehr Furchen oder Beete für Nervenzellen enthält es.

Wenn man vom guten Aussehen eines Gehirnes, von einem sogen. schönen Gehirn, von einem, das formell mehr werth als ein anderes ist, spricht, – so drückt man damit stillschweigend aus, dass es viel windungsreicher sei.

Nun kömmt aber noch etwas Anderes, sehr Wichtiges für die Beurtheilung des geistigen Werthes eines Gehirnes zu dem Gesagten. Es können zwei Menschen auch [S. 51] ganz dieselbe Nervenzellen-Zahl besitzen, also entweder ein gleich windungsreiches, oder wenigstens gleich zellenreiches Gehirn (durch eine mehrfache Zellenschicht-Anordnung bei weniger Windungen), und doch sind die Gehirne beider Menschen ganz verschieden leistungsfähig.

Viele Leute, Laien und Fachmänner, glauben freilich nicht an verschiedene Qualitäten der Nervenzellen in geistiger Beziehung, aber mit Unrecht, wie ich schon in meiner (S. 32) citirten Schrift von 1878, S. 25, nachdrücklichst hervorgehoben habe. In den Nervenzellen ist wohl das grösste Wunder aller Schöpfungsgebilde gegeben, denn, so nehme ich als sicher an, es existiren von Anbeginn im Gehirne: Musikzellen, Gedächtnisszellen, Mathematikzellen, Fantasiezellen etc. Nach meiner Ueberzeugung gibt es so viele verschiedene Zellen-Arten, als es verschiedene psychische Grundfähigkeiten und sogenannte Talente für Künste und Wissenschaften gibt. Was man angeborenes Genie nennt, ist nichts anderes als der Besitz von gewissen Zellen-Arten, deren specielle Qualität eben darin besteht, dass sie das psychische Material für eine besondere Kunstart, eine besondere wissenschaftliche oder künstlerische Fähigkeit enthalten; freilich auf eine noch nicht erklärbare Weise. Denn es sieht mikroskopisch ja eine Gehirnzelle wesentlich so aus wie jede andere; die Unterschiede, die in der Grösse, Form und Fortsätzezahl sich finden, sind, wie man sagen muss, nur ganz nebensächlicher Art. Man ist daher auch nicht im Stande, mit dem Mikroskop eine Zelle von der anderen meritorisch zu unterscheiden. Man kann nicht einmal eine Bewegungs- oder eine Empfindungs- oder eine psychische Zelle auch nur entfernt sicher als solche feststellen; geschweige eine musikalische. mathematische oder Fantasiezelle formell erkennen. –

Das eben über die Nervenzellen Gesagte ist nun die wahrhaft naturhistorische Grundlage alles dessen, was man bei Beleuchtung der eventuellen Gehirnunterschiede von Mann und Frau in’s Auge zu fassen hat. Kein Anatom hat bisher die Gehirnzelle einer Frau von jener eines Mannes unterscheiden können. Hiemit hört eigentlich auch jedes ernstere Suchen von Gehirn-Unterschieden der Geschlechter für den leidenschaftslosen, wirklich naturhistorisch vorgehenden Forscher auf. Denn die Unmöglichkeit, Unterschiede des Grundmaterials des Gehirns, der Nervenkugeln und Nervenfasern, bei Mann und Frau zu finden, enthebt von weiterer Forschung über, wenn vorhanden, (was ich ganz entschieden läugne) gewiss nur nebensächliche formelle Differenzen. In wie weit diese letztere Behauptung im Detail zu begründen ist, kann ich wegen Zeitmangels in dieser schon ziemlich lang dauernden Vorlesung hier nicht ausführen, verweise daher hierüber nur auf meine Schrift vom Jahre 1878. –

Wir wissen nun, was über das Gehirn ob dessen Bedeutung für unsere Sache vorzubringen ist, und müssen uns nun endlich dem eigentlichen, im Titel angedeuteten Zwecke unserer Vorlesung zuwenden. –

Wir haben nämlich noch immer Nichts von der Bedeutung, der Stellung, den Aufgaben und Rechten der Frauen auf Grundlage der Gaben der Natur gesagt. Bezüglich dieser Gaben wissen Sie nur zunächst, dass Sie ein Gehirn besitzen, welches Manche von Ihnen ganz gehörig geltend zu machen verstehen, und welches durchaus nicht weniger werth ist, als ein männliches. Sie wissen dies, sofern Sie dem Gehörten Glauben schenken. Sie besitzen aber noch andere Gaben der Natur, welche Sie ohne weitere Erörterung nicht so gläubig als vortheilhaft auffassen würden, wie die Gehirn-Beschaffenheit. Von diesen sollte ich nun auch sprechen.

Es sind dies jene anatomisch-physiologischen Eigenthümlichkeiten, welche die [S. 52] Natur dem Weibe wirklich andersartig als dem Manne gegeben hat und die Herr Bischoff auch benützte, im Anhange seiner früher erwähnten Schrift, um zu zeigen, dass das Weib anatomisch-physiologisch geringeren Werthes als der Mann sei.

Sie werden aber bald einsehen lernen, dass diese Eigenthümlichkeiten durchaus nicht von dem ihnen von Bischoff zugeschriebenen Belange sind. Ein kleines Beispiel: Sie sehen hier zwei verschieden-geschlechtige Oberschenkel;8 bei dem männlichen steigt der Hals auf, d. h. ist mit dem Körper des Knochens unter einem sehr stumpfen Winkel verbunden, – am weiblichen Oberschenkel ist hingegen der Hals weit mehr quer gestellt, d. h. er geht vom Körper unter fast rechtem Winkel ab. Hieraus resultirt, dass die beiden Oberschenkelknochen (der rechte und der linke) beim Weibe an ihrem oberen Ende (in der Hüftgegend) weiter von einander abstehen als beim Manne, und die unteren, die Knie-Enden, daher einander näher kommen als beim Manne. Alle Frauen sind mithin mehr oder weniger knie-eng.

Soll dies nun etwa ein Grund dafür sein, dass die Frauen nicht lateinisch lernen können, wie Bischoff will?! –

Die Frau hat, wie weiter behauptet wird, noch andere kleine, meist nur auf Grössenverhältnisse sich beziehende Eigenthümlichkeiten des Skeletts, die auch beweisen sollen, dass der Frau von Natur aus eine andere geistige Stellung zukomme als dem Manne. Wir haben jedoch heute nicht Zeit, die betreffenden Details hier vorzubringen, und es ist dies auch nicht nöthig, weil die sogenannte Inferiorität des weiblichen Knochensystems nur zu vielfach auch an männlichen Skeleten aller Völkerstämme zu finden ist: ich brauche z. B. nur an die vom Volke sogenannten „kleinen Männer oder Manderln“ zu erinnern. –

Damit Sie aber erfahren, was Bischoff weiter noch gegen die Frauen von anatomischen Differenzen zwischen ihnen und dem Manne aufzählt, will ich die wesentlichsten dieser einzelnen Unterschiede kurz vorführen.

Von den Sinnen sagt B.: „sie sind beim Weibe weniger ausgebildet“. Also, laut Bischoff, sind Auge, Ohr, Geruch, Geschmack und Getaste bei der Frau weniger entwickelt als beim Manne. „Doch,“ fährt Bischoff fort, „sind sie empfänglicher“. Also weniger ausgebildet und trotzdem empfänglicher! Ich citire diese Aeusserung, um zu beweisen, welcher anatomische Unsinn schon in Frauensachen selbst von anerkannten Gelehrten geschrieben worden ist. „Die weiblichen Augen sind flacher, sanfter und zarter.“ (Bischoff) Nun gibt es viele weibliche Augen, die gar nicht zart, gar nicht sanft und gar nicht flach sind, und wieder andere, die die genannten Eigenschaften wirklich besitzen; – so aber bei Frauen und bei Männern. –

„Die Ohren sind länglicher und zarter,“ (Bischoff.) Nun, wenn ich meine sehr reiche Sammlung von Ohren-Photographien hier hätte, könnten Sie leicht aus ihr entnehmen, welche Merkwürdigkeiten bezüglich der Ohrformen, bei Frauen wie bei Männern zu gewahren sind. Ich kann nur versichern, dass sehr viele weibliche Ohren nichtsweniger als zart sind. Schauen Sie sich nur einmal in der Tramway die weiblichen Ohren an und erinnern Sie sich an das eben Gesagte. Es gibt aber auch Männer mit schönen kleinen Ohren, während die Mehrzahl der Frauen, – ja, die Mehrzahl der Frauen, – keine solchen hat. Erst jetzt, seitdem die Mädchen sich der Wildemann-Gewohnheit, Ohrgehänge (– der Titel ist ganz richtig, Gehänge an den Ohren –) zu [S. 53] tragen, zum Vortheile ihrer Ohren, wie ihrer Bräutigame und Gatten entschlagen haben, werden die weiblichen Ohren wohl geformter werden und kleiner bleiben. –

„Der Geruch ist beim Weibe weniger entwickelt.“ (Bischoff.) Ich kann hierauf nur bemerken, alle Frauen, die ich kennen gelernt, hatten sehr entwickelte Geruchsorgane. Ich z. B., der ich häufig auch in meiner Wohnung mit anatomischen Arbeiten beschäftigt bin, leide täglich unter nur zu vortrefflichen und empfindlichen weiblichen Geruchsorganen und zwar jenen der Frauen meiner nächsten Umgebung. Auch haben die Parfumeure wohl eine weit grössere Kundschaft unter dem weiblichen, als dem männlichen Geschlechte, was gerade nicht für die Gleichgiltigkeit des weiblichen Geruchssinnes spricht. –

„Eine grosse Nase ist selten bei Frauen.“ (Bischoff.) Ich bitte in dieser Beziehung Ihre Beobachtungen bei Bekannten und an öffentlichen Orten zu machen, Sie werden bald ersehen, dass die grossen Nasen bei Frauen nicht so sehr selten sind, wie Bischoff vorgibt, diejenigen Nasen nicht mitgerechnet, welche den Frauen so oft die Männer drehen! –

Der Geschmack ist feiner und die Zunge kleiner.“ (Bischoff.) Dies ist ziemlich richtig, aber nur „ziemlich“. Denn ich kenne viele Frauen mit ganz unintelligent entwickelten Geschmacksorganen auf plumpen Zungen. Zudem haben sehr viele Frauen eine, zwar schmale, doch sehr lange, also nicht kleine Zunge, besonders jene, welche die Gewohnheit haben, sich fortwährend an den Mundwinkeln abzulecken, eine Bewegung, die manche Frauen sogar für hübsch und verführerisch halten. Jedenfalls bietet diese Gewohnheit häufige Gelegenheit, die Frauenzungen zu studiren, und zu sehen, dass Bischoff hier nur „sehr gelegentlich“ Recht hat. –

Verdauungs-Organe: a) die Leber ist kleiner.“ (Bischoff.) Wenn die Leber das Organ ist, als dessen moralisches Secret, – das physische ist bekanntlich die Galle, – der Aerger erscheint, – dann muss die Leber beim Weibe viel grösser sein, denn die Frauen ärgern sich ja jeden Augenblick, sondern meist auch mehr Galle ab; – mehr Produkt – grössere Fabrik! Uebrigens sind alle die Organengrösse-Angaben nach den spärlichen Untersuchungen hierüber mehr als verfrüht und keinesfalls in der Frauenfrage zu verwenden. –

Der Mann trinkt mehr als das Weib.“ (Bischoff.) Nun ich kenne eine ziemliche Anzahl Frauen, die mehr, besonders Spirituosa, trinken als ihre Männer! –

Wollen Sie aber, meine Damen, nicht vergessen, warum ich alle diese Citate vorführe. Es .sind dies Alles vorgebliche anatomische Unterschiede zwischen Mann und Frau, von Bischoff vorgeführt, um die Inferiorität des Weibes darzuthun. Also z. B., weil Sie einen vorgeblich kleineren Magen haben und weniger trinken, sollen sie weniger befähigt sein, Latein zu lernen! –

„Das Herz der Frau ist kleiner als das des Mannes.“ (Bischoff.) Die Hälfte der Romane beruhet auf der Thatsache, dass das Herz der Frau grösser ist als jenes der Männer! –

„Der Blutverlust ist vom Weibe leichter zu ertragen.“ (Bischoff.) Welchen Zusammenhang soll diese Thatsache mit den geistigen Fähigkeiten und dem Studium der Frau haben?! –

„Der Puls ist 70-75 beim Manne und 80-85 beim Weibe.“ (Bischoff.) Das ist entschieden als Regel unwahr! Es gibt sehr viele Frauen mit dem langsameren Pulse von 70-75; die praktischen Aerzte wissen dies hinlänglich. –

[S. 54] Es werden noch einige Organe von Bischoff angeführt, die ich hier nicht nenne, weil die angeblichen Differenzen gar zu unwesentlich sind.

Am Schlusse dieser Aufzählung sagt Bischoff: „Man sieht aus meiner Verführung [sic !], dass alle Organe des Weibes niedriger (?! Brühl) angelegt sind als beim Manne“. Aus meiner eben gegebenen Revision der Bischoff’schen Aussagen werden Sie wohl ersehen haben, dass diese letzte Aeusserung Bischoff’s gleich unwahr wie lächerlich und – verläumderisch ist. –

Wir wollen uns nun ein wenig näher über die Bedeutung, Stellung, Aufgaben und Rechte der Frau unterhalten. Die Bedeutung der Frau im Haushalte der Natur kann ich Ihnen leider nicht so in extenso darlegen, wie ich es gerne möchte, theils wegen Zeitmangels, theils aus Besorgniss, verkannt zu werden. Ich würde leicht enthusiastisch werden und, die Rolle eines Naturforschers überschreitend, in jene des Poeten verfallen.

Der Grund hiefür liegt in meiner Anschauung über das „Weibthum“ in der Natur. Ich habe schon in der Einleitung unserer Vorlesung darauf hingewiesen, dass aus ihm alle höheren Existenzformen hervorgehen, welche wir auf der Erde bewundern. Wenn man also von der naturhistorischen Bedeutung des Weibes spricht, so kann man das Weib vor Allem mit Recht als das Mütterliche in der Schöpfung bezeichnen. Denn Alles, was da war, war zunächst weiblicher Art. Alles, was sich dann weiter entwickelte, stammt aus der weiblichen Form, und Alles dies ist um so vollkommener, je mehr schon die weibliche Grundform entwickelt war. Darum ist es angezeigt, dass sich die Form Frau höher entwickle, weil sie der Ausgangspunkt aller höheren Formen, zunächst der männlichen, zu sein bestimmt ist.

An diese Wahrheit knüpfe ich nun zunächst folgende, wohl zu beherzigende Betrachtung. Was ich nämlich hier in Bezug auf die Stellung der Frau sagen will, gilt nicht etwa von der bürgerlichen Stellung. Ich habe hier nur die Stellung des Weibes als Naturgeschöpf im Auge, die nach meiner Meinung die erhabenste ist, die ein Geschöpf von der Natur erhalten konnte.

Die bürgerliche bisherige Stellung der Frau ist aber leider durch ganz andere Momente als durch die naturhistorisch zu begründenden gegeben. Eines dieser geltenden Momente beruht z. B. eben auf der herrschenden Meinung, dass das Weib schon physisch dem Manne untergeordnet ist, weil es, nach Bischoff, von der Natur viel stiefmütterlicher bedacht wurde. Wenn aber diese Behauptung nicht wahr ist, wie ich entschieden lehre, dann ist auch die wesentlich mit darauf begründete bürgerliche Stellung der Frauen unhaltbar und unbegründet.

Es kann im Rahmen meiner nur noch kurzen Vorlesung nicht gut dargethan werden, welche die eigentliche Stellung der Frau im bürgerlichen Leben sein soll und kann. Ich will lieber Sie hiefür auf das treffliche Buch von John Stuart MillDie Hörigkeit der Frau“ verweisen. Wohl möchte ich nun wissen, wie viele von den Anwesenden dieses Buch selbst nur dem Namen nach kennen, und wie viele von Ihnen es wirklich gelesen haben!

Dieses Buch ist es, das zu allererst das litterarische Fundament geschaffen, auf dem alle weiteren Bemühungen zur Verbesserung des Frauenloses fussen können, und dieses Buch ist, wie ich aus Ihrem Stillschweigen auf meine obige Frage entnehme, – Ihnen unbekannt! Sie kennen eben leider die einfachsten Hilfsmittel nicht, die Sie als Frauen zur Verbesserung Ihrer Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft interessiren sollten.

[S. 55] Noch ein weiteres Beispiel Ihrer Unbekanntschaft mit Ihren litterarischen Helfern! Hat jemand von Ihnen ein Buch eingesehen, das ein schon lange verstorbener Mann über die Frauen geschrieben hat, der Deutsche Hippel? Theodor Gottlieb von Hippel, Dr. juris und musterhafter Bürgermeister von zuerst Königsberg und dann Danzig, geb. 1741, gest. 1796, hat zwei Schriften veröffentlicht, in denen er nur das Beste für und von Frauen ausgesagt hat. Obwohl er aber nur für die Frauen geschrieben, hat er doch keine geheirathet!; sapienti sat.

Das eine Buch H.’s führt den Titel: „Ueber die Ehe“, das zweite: „Ueber die bürgerliche Verbesserung der Weiber“. Lesen Sie diese zwei Schriften; Sie werden von ihnen auf das Höchste befriedigt werden; lesen Sie aber vor Allem das Meisterwerk des Engländers Mill: „Die Hörigkeit der Frau“. Es enthält eine Fülle sehr wahrer, wirklich erhabenen Gedanken, bezüglich Alles dessen, was Leben, Stellung, Entwickelung und Rechte der Frauen betrifft. Mill ist es auch, der zuerst von der Schwierigkeit spricht, wahrhaft physiologische Unterschiede zwischen Mann und Frau nachzuweisen. Mill ist es, der den Muth hatte, seinen Landsleuten ganz unumwunden zu sagen, die Frau stehe in England in einem Verhältnisse zum Manne, welches ihr gar nicht erlaubt, sich weiter zu entwickeln und das zu werden, was sie natur- und gerechtigkeitsgemäss werden sollte. Die Frauen, meint Mill, sind bisher nur Genossinnen der Männer, aber nicht deren Gefährtinnen; deshalb sucht der Mann ganz vergeblich Interesse und Empfänglichkeit für sein Schaffen und Wirken bei ihnen. Dies ist, wie sehr nachdrücklich hier gesagt werden soll, auch wirklich der Krebsschaden der Frauen-Stellung und Geltung. Er besteht aber nur deshalb, weil den Frauen die Vorbedingungen zur Einsicht, die allein zum Verständnisse der Mannesaufgabe führenden Kenntnisse fehlen. Das Kapitel von den für Männerberufe verständnisslosen Frauen ist allein schon ein Gegenstand, über welchen man viele Stunden lang sprechen könnte. Ich verweise Sie nochmals auf Mill’s Buch; Sie werden daraus in höchst überzeugender Weise entnehmen können, was Sie werth sein könnten, wenn – Sie – wollten! Wie Sie, die hier gegenwärtigen Frauen, sind, kann ich selbstverständlich nicht beurtheilen. Jede aber von Ihnen frage sich: was bin ich meinem Manne oder irgend einem Manne? Folge ich dessen Ideen? Bin ich im Stande, ihn auf die Höhe dessen zu begleiten, was er als Lebensziel betrachtet? –

Wenn ich früher hier gelehrt habe, dass Sie, meine Damen, ein Gehirn besitzen, welches anatomisch gerade so viel werth ist, als jenes der Männer, so habe ich dies nicht entfernt in erschöpfender, anatomisch-demonstrativer Weise darthun können, ja Sie haben nicht einmal den kleinsten Theil jener Details zu hören und zu sehen bekommen, welche zur Erhärtung meiner Behauptung nothwendig gewesen wären. Ich muss mich darauf verlassen, dass Sie mir glauben!

Ich habe den richtigen und allein wahren Lehrsatz (trotz Bischoff und Consorten) über Ihr Gehirn nur darum verkündet, um Ihren Muth zu stärken, ja Sie moralisch zu zwingen, das Ihnen von der Natur gegebene Pfund, eines in jeder Beziehung dem männlichen gleich gut organisirten Gehirns, zu benützen und zu verwerthen, – durch Erwerbung von Kenntnissen.

Leider sind aber sehr viele Frauen nur Feinde ihres eigenen Geschlechtes bezüglich einer höheren geistigen Entwickelung. Ja, das Weib hat in der That keinen schlimmeren und verbisseneren Gegner als sein eigenes Geschlecht. Die Mehrzahl der Frauen, – ich habe hier nur die besser situirten im Auge –, glauben leider, wenn sie das thun, was Maschinen viel besser leisten, was die unwissendste Magd, [S. 56] das älteste Waschweib ebenso wie sie, ja vielleicht noch besser vollbringen können, dann ihre allein wahre Pflicht zu thun.

Es gibt nun allerdings bürgerliche Verhältnisse, in denen dies sehr ehrenwerth ist, aber es gibt auch nicht wenige, in denen dies durchaus nicht genügt, sondern geradezu ein Vergehen ist und das Glück der Ehen, durch Zwietracht der Gatten, entschieden untergräbt! –

Ich sagte früher: Sie sollen sich zu wahren Gehilfinnen des gebildeten und strebenden Mannes entwickeln. Sie wenden aber, und leider nicht unbegründet, ein: es fehlten Ihnen die Mittel hiezu, die Lehranstalten, vor Allem jene, welche das Fundament ernsterer, sogenannter klassischen Bildung zu legen haben, die Gymnasien. Sie verlangen die Errichtung von Frauen-Gymnasien. Nun, solcher bedarf es nach meiner Anschauung, vorläufig und später, nicht genau von der Beschaffenheit unserer Knaben-Gymnasien, d. i. im vollen Umfange der bei uns bestehenden Einrichtung dieser Gymnasien.

Ich will nun zum Schlusse, zur tieferen Begründung dessen, was ich früher als den Kernpunkt aller Einwendungen gegen höhere Frauenbildung und gründlichen Frauenunterricht bezeichnet habe, – ich will über die von Fachmännern verbreitete falsche Lehre von der Minderwerthigkeit des Frauengehirns noch vorlesen, was ich in meiner Schrift von 1883 („Frauenhirn, Frauenseele, Frauenrecht“) diesbezüglich in Schlusssätzen, als Resumé meiner betreffenden Erfahrungen und Untersuchungen zusammengestellt habe.

Der 1. Punkt jenes Resumés lautet wörtlich: „Die Gehirnanatomie ist nicht im Stande zu beweisen, dass das Weib ‚laut göttlicher und natürlicher Anordnung’ wie Bischoff sagt, ein niedereres Gehirn besitzt als der Mann, denn nicht ein einziger wirklicher und schlagender Unterschied zwischen den Gehirnen beider ist bisher auffindbar gewesen.“

Ich bemerke nun zu diesem Satze von 1883: er gilt heute noch vollständig, und ich kann Sie versichern, er wird nach Tausenden von Jahren noch ebenso gelten.

Ich lese nun die Lehrsätze meines Resumés bezüglich des Frauenhirns weiter vor: Der oben (S. 52) angeführte Lehrsatz über das Frauenhirn wird von mir weiter so begründet: „Alle diesbezüglichen, vorgeblich beweiskräftigen Angaben von der Inferiorität des Frauenhirns beruhen entweder auf Uebertreibung oder absichtlicher Entstellung, oder unzweckmässiger und theilweise unlogischen Verwerthung der wirklich nachzuweisenden Thatsachen. Das allein für die geistige Begabung eines Gehirns Massgebende ist dessen graue Rinde und zwar die Grosshirnrinde. Diese aber ist bisher niemals, weder bei einem Mannes- noch Frauenhirne, vom übrigen Gehirn getrennt, gewogen und gemessen worden; es fehlen also alle Daten, die allein wirkliche Auskunft über entscheidende Unterschiede zwischen Mannes- und Frauenhirn geben könnten.“ Und weiter: „Gehirngewichte und Oberflächen-Messungen des ganzen Gehirnes geben keine auch nur entfernt sichere Auskunft über die Gehirnrinde, das eigentliche Seelenorgan; ganz gleich schwere und oberflächlich gleiche Gehirne können die verschiedensten Rindendicken, (Seelenzellen-Schichten) also die verschiedensten Geistesorgane besitzen.“

Auch haben alle bisherigen Wägungen und Oberflächen-Bestimmungen von Gehirnen so viele Fehlerquellen, dass die anscheinenden Resultate der meisten nur mit grösstem Misstrauen aufzunehmen und nicht zu massgebenden Schlüssen, [S. 57] am allerwenigsten zu solchen, für Unterschiede von Männer- und Frauenhirnen zu verwerthen sind.“ –

Ein Hauptsatz meines Resumé’s zur Widerlegung der vorgebrachten Bedenken über Kleine, Leichtigkeit etc. der Frauenhirne ist folgender: „Die anatomische Erfahrung lehrt, dass Menschen mit grossen, schweren, und solche mit kleinen, leichten Gehirnen Bedeutendes in Geistesarbeit geleistet haben. Man ist mithin nicht berechtigt, weder aus dem Gewichte, noch aus der Oberflächengrösse eines Gehirnes, einen irgend sicheren Schluss auf dessen geistige Leistungsfähigkeit zu ziehen. Man ist also auch durchaus nicht berechtigt, selbst, wenn überall ein sicheres grösseres Percent leichterer Frauen- als Männerhirne, bei neuerlichen grossen Wägungsreihen, sich herausstellen sollte, deshalb den Frauenhirnen eine geringere geistige Leistungs- und Fortschrittsfähigkeit zuzuschreiben.“ –

Besonders wichtig für die Sache ist folgender von mir aufgestellte Lehrsatz: „Es muss endlich, als zwar nicht mit Messer und Scheere zu beweisen, aber doch mit der Sicherheit, die menschliche Verstandesschlüsse überhaupt gewähren können, behauptet werden, dass bei ganz gleichen Gewichten, ja selbst bei ganz gleichen Oberflächen und bei ganz gleichen Rindendicken, zwei Gehirne doch ganz verschieden geistig leistungsfähig sein können, weil eben die zweifellos angeboren werdenden Qualitäten ihrer Rindenkugeln von Haus aus verschieden waren, oder es später durch Ausbildung (Wissenserwerb, Erziehung u. s. w.) geworden sind.“

Ich zog aus diesen angeführten Lehrsätzen sodann 1883 folgende Schlüsse: „Aus allen dem Vorhergehenden ergibt sich wohl unwiderleglich, dass Alles, was bisher über Gehirnunterschiede von Mann und Frau vorgebracht wurde, auch nicht mit dem geringsten Schein von wahrem Recht, wahrer Wissenschaftlichkeit gegen das Frauenhirn verwerthet werden könne, – dass mithin diese von Professor Bischoff angerufene ‚göttliche und natürliche Anordnung‘ nicht für etwas verantwortlich gemacht werden könne, für das sie es durchaus nicht ist, weiles eben gar nicht existirt – für die vorgeblich anatomisch nachzuweisenden Gehirnunterschiede von Mann und Frau.“

Und weiter: „Wenn die Frauen der Mehrzahl nach bisher auf geistigem Gebiete sich minder entwickelt und daher auch productionsunfähiger erwiesen haben als, die Männer, was gar nicht geleugnet werden kann und soll; – wenn auch die Grosssumme des geistigen und Kulturbesitzes der menschlichen Gesellschaft durch männliche – und nicht durch weibliche – Gehirne erworben wurde, was ebenso gewiss; – so können hierfür, wie wohl jeder Kulturhistoriker weiss, und jeder nur einigermassen unbefangene, vernünftige Mensch zugeben muss, die bisherige Erziehungsweise und selbst allgemein bekannte sociale Verhältnisse viel begründeter verantwortlich gemacht werden als die anatomischen Gehirnunterschiede, weil diese eben durchaus nicht in einer diesen Leistungsunterschied erklärenden Weise existiren. Der Anatom müsste vielmehr, von seinem Standpunkte aus, geradezu überrascht sein, dass trotz solch’ eminenter Analogie in der Architectur der Gehirne beider Geschlechter das eine davon, das weibliche, im Durchschnitt bisher so wenig von Geistesarbeit geleistet habe. Müsste es sein! – wenn er nicht durch die Kulturphilosophie, sowie durch eigene unbefangene Beurtheilung der bürgerlichen Verhältnisse der Frauen, selbst bei den gebildetsten Nationen, bald erkennen würde, dass, wie in so vielen von der Natur scheinbar unwiderleglich angeordneten [S. 58] Dingen, nur die Menschen, d. h. hier die Männer, und nur sie allein und nicht die Natur das Frauengeschlecht zu dem gemacht haben, was es vorläufig noch grösstentheils ist.“

Ich behauptete daher 1883 und behaupte jetzt weiter: „Eine entsprechende Behandlung des weiblichen Gehirnes durch Erziehung, Unterricht, Einführung das Selbstvertrauen stärkender socialen Verhältnisse und Aehnliches – durch eine hiemit auch naturhistorisch gegebene Weiterentwicklung der weiblichen Gehirnzellen, speciell ihres Grosshirnes, – wird zeigen und hat schon genügend in der Neuzeit gezeigt, dass das weibliche Gehirn ganz ungemein leistungsfähig ist, ja in manchen Leistungsbeziehungen sogar jene des Mannes übertrifft.“ –

Ich schalte hier eine cursorische Bemerkung ein, die mir sehr am Platze scheint. Wenn Sie, meine Damen, auch Roman-Lecture pflegen, werden Sie mehrfach heutzutage weibliche Leistungen in diesem Litteraturzweige finden, besonders auf deutschem, auch österreichischem, englischem, dänischem, schwedischem Markte, welche kaum in gleichem Reize und gleicher Feinheit psychologischer Beobachtung, besonders der Frauenwelt, von Männergehirnen hervorgebracht worden sind. –

Ich lasse nun die wichtigsten Schluss-Mahnungen meines Resumé’s von 1883 folgen: „Auch ist es, wegen des ungeheueren Einflusses, den die Menschenmütter organisch! auf das ja von ihnen allein zur Reife gebrachte Menschengeschlecht – laut sicherer und wahrhaft natürlicher Anordnung, – nehmen müssen, – auf dieses gewiss zur höchsten Entwicklung prädestinirte Menschengeschlecht! – ich sage, es ist viel wissenschaftlicher und näher liegend, die grösste Entwickelungsfähigkeit des Frauenhirnes als Absicht der Natur anzunehmen, als das Gegentheil, wie die Frauenfeinde (Bischoff und Consorten) vorgeben. Ja, diese erstere Annahme (die Absicht der Natur für die grösstmöglichste Entwickelung des Frauenhirnes) ist, im Angesichte der heutigen Kenntnisse über Entwickelungsgeschichte der Lebewesen, geradezu ein wissenschaftliches Postulat!“

Ich stellte daher 1883 schliesslich das Dogma auf: „Die Naturwissenschaft verwirft also nicht die Frauen als Hauptwerkzeuge ihres Fortschrittes, – wie dies die Gegner meinen, – sie fordert sie vielmehr unbedingt als unentbehrliches Mittel für ihn. Vergeblich wird der Egoismus der Einen Menschenhälfte sich gegen diese Forderung der Natur stemmen. Diese dringt, wenn auch oft auf langen Umwegen, doch durch, und die Mauerbrecher hierzu sind immer Anfangs nur durch einzelne Vorkommnisse und Erscheinungen gegeben.“

„Mögen,“ so lasse ich mein Resumé von 1883 austönen, – „die gesagten Worte auf die Leser, – und Hörer füge ich heute hinzu, – einen solchen Eindruck gemacht haben, dass Sie Alle solche Mauerbrecher, wie eben besprochen, werden, indem jeder von Ihnen in seinem Kreise zur praktischen Geltung zu bringen suche, was die anatomische Theorie für das Weib fordert: gleiches Gehirn, gleiche Seele, gleiches Recht!“ –

Ich bin mit meinen Citaten, die Sie als Fahnenrufe bei Ihren Bemühungen für den Frauenfortschritt betrachten mögen, zu Ende und Sie – werden mit Ihrer Geduld ob der langen Vorlesung zu Ende sein. (Rufe: Nein, nein.) Diese Rufe sind zwar einladend, allein man kann eben nicht jeder Einladung folgen, darum will ich trachten, zu Ende zu kommen. –

[S. 59] Es wäre, nebst vielem Anderen, vor Allem an das Gesagte noch eine Auslese von Vorschlägen zu knüpfen, welche für die Frauen eben das von Ihnen für Sie gewünschte gleiche Recht für Lehre und Menschenstellung ermöglichten, die Sie also befähigten, das zu erreichen, was ich von ganzem Herzen für Sie herbeiführen möchte. Da ich aber hier heute in einem Frauenvereine spreche, der zunächst ein ganz bestimmtes Vervollkommnungsmittel, die Errichtung eines Mädchen-Gymnasiums, verfolgt, möchte ich nur hierüber noch einige Worte sagen.

Wenn ich in dieser Angelegenheit mit Ihren Plänen nicht ganz übereinstimme, so nehmen Sie mir dies nicht übel. Ich betrachte es als wesentliche Redneraufgabe, in ernsten Dingen keine Koncessionen zu machen, die der Ansicht des Redners widersprechen würden. Auch haben Sie den Trost, denken zu können: wenn er (d. h. ich) draussen ist, machen wir es doch, wie wir wollen! Nun, – Sie, meine geehrten Damen, wollen ein Mädchen-Gymnasium! Was will das Wort „Gymnasium“ im wahren Sinne des Wortes aber sagen? Ich gehe nicht auf die Bedeutung der alten, griechischen Institution „Gymnasium“ ein, in der von Bewegungen weit mehr als von Wissenschaften die Rede war, ja von Ersteren meist ausschliesslich.

Was ist der eigentliche Grundcharakter und Zweck unseres dermaligen Knaben-Gymnasiums?

Der einer Anstalt zur Erlernung der sogenannt klassischen Sprachen, d. i. der lateinischen und altgriechischen. Dass diese Erlernung, und nur sie, der wahre Stempel des „Gymnasiums“ sei, geht daraus hervor, dass Lehranstalten, welche die vortrefflichsten und wirklich, nicht illusionär, nützliche Kenntnisse ihren Schülern mittheilen, bei Wegfall des Vortrages über alte Sprachen, niemals Gymnasien heissen und heissen „dürfen“.

Hier drängt sich nun sogleich die Frage auf: ist die Erlernung dieser todten Sprachen für eine wahrhaft höhere Bildung unerlässlich oder wenigstens nothwendig? Ehrliche Antwort: ja. – Ist sie aber in der Art, dem Umfange und der Nutzanwendung nothwendig, wie sie an unseren Knaben-Gymnasien geschieht? Ebenso ehrliche Antwort: nein, und – dreimal nein!

Wenn mir das Schicksal vergönnt hätte, meine officiöse Thätigkeit im Unterrichtsministerium Feuchtersleben (die leider nur vom Mai bis October 1848 dauerte) weiter entwickeln zu können, so stünde es, dessen kann ich Sie versichern, mit der Gymnasien-Beschaffenheit in Oesterreich heute ganz anders! Leider aber war Feuchtersleben schon im December 1848 durch Entlassung ausser Amt und starb bald darauf. Mit ihm schwand auch für mich alle weitere Möglichkeit, in jener und aller nachherigen Zeit, fördernd auf das Unterrichtswesen in Oesterreich wirken zu können. Hätte das Schicksal nicht ein derartiges unabänderliches Veto gegen meine Wirksamkeit im Jahre 1848 eingelegt und dann im Jahre 1859 wiederholt (Graf Thun’s Demission), so wären nicht nur viele Universitäts-Angelegenheiten ganz anders geordnet worden (1859), als sie es dermalen sind, – wir hätten auch schon seit 1848 ganz andersartige Knaben-Gymnasien – und dazu auch Mädchen-Gymnasien, seit – 44 Jahren!

Ueber den Lehrplan dieser, schon 1848 von Feuchtersleben und mir ins Auge gefassten Mädchen-Gymnasien bezüglich der klassischen Sprachen hier noch ein Wort. Was wir damals beabsichtigten, hat noch heute, 43 Jahre später, seine volle Berechtigung; daher einiges Nähere.

Wir haben, 1848, nicht im Entferntesten beabsichtigt, dass die Mädchen etwa [S. 60] den Griechen Aristoteles im Originale lesen! Dies erachteten wir für völlig überflüssig. Nebenbei gesagt, ist es auch ganz so für Knaben und Jünglinge. Vermag es Einer durch Privatfleiss, – gut für ihn; wichtig ist es nirgends und für Niemanden.

Wir haben auch nicht gewünscht, dass die Mädchen durch alle Bücher des Lateiners Tacitus geführt werden und dass sie lateinische Originalaufsätze machen lernen. Ein gewisses Quantum jedoch der lateinischen und griechischen Sprache wäre aber jedesfalls an den Mädchen-Gymnasien gelehrt worden. Denn für jeden Menschen, der überhaupt eine Universitäts-Wissenschaft cultiviren will, – hiezu dürften bald manche unserer Mädchen gehören, – ist ein gewisses Budget der alten Sprachen, besonders der lateinischen unentbehrlich. Schon darum, weil sie die einzige Sprache ist, in der sich die Gelehrten aller Völker der Erde leicht und ohne Vorurtheil verständigen – könnten.

Es stand wahrlich weit besser um den Frieden der Völker in nationaler Beziehung, als die Gelehrten aller Nationen ihre Werke nur und exclusive in lateinischer Sprache schrieben. Was haben wir denn von jenen Büchern, und wären es die besten, die z. B. heutzutage in czechischer oder ungarischer Sprache abgefasst sind? Wird irgend ein deutscher oder französischer oder englischer Gelehrter je czechisch oder ungarisch so gründlich, ja nur überhaupt lernen, um die gelehrte, bisweilen wirklich Treffliches bietende Litteratur dieser Völker im Originale verstehen zu können? Die hiezu nöthige sehr geraume Zeit wird jeder weit besser und erspriesslicher auf eigene wirkliche Forschung zu verwenden wissen.

Und wohin ist es heute durch eine wahrhaft erbärmliche Rivalitätssucht in Sprachenfragen und durch die ebenso naturhistorisch wie politisch völlig unberechtigte und unkluge Nationalitäts-Flunkerei gekommen, – auch in der Gelehrtenweit gekommen? Die Dänen z. B. haben eine Sprache, die der deutschen sehr nahe verwandt ist; sie wissen auch alle ganz gut deutsch. Sie sind aber seit dem Schleswig-Holsteinischen Krieg solche Deutschenhasser geworden, dass sie, die früher alle ihre gelehrten Abhandlungen in deutscher Sprache abfassten, nun sich stellen, als ob Deutsch für sie Arabisch wäre, und was sie schaffen, in dem, doch nur auf einer winzigen Erdscholle verständlichen Dänisch schreiben, – höchstens noch mit einem französischen Resumé! Solcher Beispiele liessen sich noch sehr viele anführen.

Bedenken Sie nun, welche Schwierigkeiten hieraus heutzutage für die Wissenschaft erwachsen. Bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schrieben die Gelehrten aller Völker ihre Werke nur in lateinischer Sprache. Es wäre ein wahres Glück für uns, wenn es wieder so käme!

Nicht Alles erwägende Gegner der alten Sprachen wenden immer ein, diese Sprachen seien todt. Ja, wenn sie Niemand zum allgemeinen Gebrauche cultivirt, sind und bleiben sie freilich todt. Wenn das lateinische Idiom wieder allgemeine Schriftsprache würde, hörte es sogleich auf, eine todte Sprache zu sein. Es wäre das trefflichste, friedlichste und auch ausreichendste Verständigungsmittel der Gelehrten aller Völker der Erde. –

Die altgriechische Sprache hingegen mit ihren zahlreichen Dialecten hat nie eine derartige Verwendung als Schriftsprache gehabt und kann daher auch ganz gut, mit Ausnahme einiger elementaren Kenntnisse und des Erwerbes eines gewissen Wortquantums derselben, – besonders in ihrem dermaligen bei uns (– nicht mehr in Transleithanien! –) leider üblichen Betriebsumfange, – aus dem Lehrplane der Gymnasien sowohl für Knaben als noch mehr für Mädchen entfernt werden. –

[S. 61] Ich bin daher entschieden dafür, dass für Frauen, – auch abgesehen von solchen, die später Universitäts-Studien anstreben, – jenes von mir schon 1848 in’s Auge gefasste Quantum und Quale der lateinischen Sprache jedesfalls in Lehranstalten gelehrt werden müsste, die Sie als Gymnasien anstreben.

Dieses Lateinische müsste jedoch in absolut anderer Weise, anderer Zeitfolge und nach anderem Umfange gelehrt werden, als dies an unseren heutigen österreichischen (und deutschen) Knaben-Gymnasien der Fall.

Dass aber einem zweckgemässen Unterrichte zunächst der lateinischen Sprache, auch nicht die geringste Schwierigkeit von Seite der Mädchenfähigkeiten im Wege steht, ist sehr leicht zu constatiren. Betrachten wir einen Augenblick, was die Mädchen der gebildeten Stände in der Jetztzeit lernen. Sie lernen fast Alle Französisch, Italienisch, Englisch, und dies ganz vortrefflich. Ich kenne z. B. nicht wenige deutsche Mädchen, die beinahe besser Englisch sprechen und schreiben, als ihre deutsche Muttersprache. Glauben Sie nun etwa, dass Französisch oder Englisch leichter zu erlernen ist als Lateinisch?! Eine Sprache, in der die Worte genau so ausgesprochen werden, wie sie geschrieben sind, wie dies im Lateinischen der Fall, ist schon darum viel leichter als alle sogenannten modernen Sprachen zu bewältigen.

Ich habe die feste Ueberzeugung, dass Knaben und Mädchen in zwei gehörig verwendeten Jahren vom Lateinischen so viel erwerben können, als sie im Durchschnitte für das Leben, – die Universitäts-Gegenstände aller Facultäten, mit Ausnahme der klassischen Philologie, miteingerechnet – brauchen.

Indem ich also nochmals hervorhebe, dass der Unterricht in der lateinischen Sprache auch für Frauen nöthig ist, bin ich insoferne mit Ihrem Unternehmen einer Mädchen-Gymnasiums-Gründung einverstanden.

Was weiter die anderen Lehrgegenstände eines Gymnasiums betrifft, so lernen die meisten Mädchen besserer Stände dieselben schon ohnedem heutzutage. Werden ja doch Geschichte, Geographie, Mathematik, Physik, Chemie, Zoologie und Botanik in allen besseren Mädchen-Lehranstalten vorgetragen.

Jedesfalls müssen Sie aber trachten, Männer für diese Vorträge zu gewinnen, die vor Allem den Frauen auch wohlwollend gesinnt sind, und die nebst ihren Fachkenntnissen eine gewisse universelle Bildung besitzen. Einseitige, selbst sehr gelehrte Lehrer sind für Frauenschulen ganz unbrauchbar!

Ich hege weiter die feste Ueberzeugung, dass Sie, meine jungen Hörerinnen, ihre lateinischen Aufgaben viel besser machen werden, als die Mehrzahl Ihrer Brüder! Von den Knaben wollen ja sehr viele die alten Sprachen gar nicht lernen; ja Viele verabscheuen sie sogar, daher der schlechte Fortgang so vieler Gymnasisten in den unteren Classen gerade im Lateinischen. Die Mädchen hingegen, die den Latein-Vorträgen Ihrer projectirten Schule folgen werden, lernen Alle gerne, ja kommen nur deshalb. Auch sind sie an und für sich meist schon sehr befähigt, da gewiss nur solche Befähigte Ihr „Gymnasium“ besuchen werden. Sie werden daher Alle sehr eifrige Schülerinnen sein und schnell gute Fortschritte auch in der „alten Sprache“ machen.

Für die Naturwissenschaften, speciell für Anatomie und Physiologie des Menschen- und Thierkörpers, bin ich selbst gerne erbötig, Ihnen mit Rath und That beizustehen, wenn anders mein Gesundheitszustand im nächsten Winter dies erlaubt. (Bravo-Rufe.)

Gestatten Sie, dass ich bei Nennung der beiden Fächer Anatomie und [S. 62] Physiologie des Menschen einen Augenblick verweile. Ich halte dafür, dass für alle Mädchen, die einmal heirathen wollen, und auch für solche, die hiezu nicht Gelegenheit haben, die aber sonst in Familien hilfreich leben, eine gewisse Summe von, anatomisch-physiologischen Kenntnissen ein sehr nothwendiger Hausbedarf ist. Denn, wer stiftet oft mehr Unheil in sanitärer Beziehung als die Frauen, – durch ihre, nur zu oft auf falschen Autoritäts- oder auch auf Aberglauben beruhenden „Kuren“? Und wem von allen Laien wäre es eigentlich nothwendiger, als den „Müttern unserer Kinder“, fachgemäss unterrichtet zu sein: über die wahren anatomischen und hygienischen Verhältnisse, die im gesunden und kranken Leben massgebend sind und die von Natur aus bestehen, welche aber meist durchaus nicht den Meinungen, Lehren, Vorstellungen jener traditionellen „Altweiber-Weisheit“ entsprechen, die leider nur zu oft das ganze medicinische Hausbudget unserer „erfahrenen“ (?) Hausmütter bildet?

Den betreffenden Unterricht müsste aber ein Mann übernehmen, der nebst gründlichen Fachkenntnissen auch über eine gewisse Summe „sociologischer“ Erfahrungen über das Frauenleben verfügt. Dieser, der vor Allem auch die „Mütteraufgabe“ ins Auge zu fassen hätte, müsste Anatomie im Vereine mit Physiologie, d. i. Bau- und Zweck-Lehre des menschlichen Körpers, in einer für Frauen passenden und auch fasslichen Weise lehren. Wenn mir der Schöpfer noch weiter das Leben gönnt, übernehme ich diese Aufgabe für Ihre Bedürfnisse sehr gern. (Bravo-Rufe.) –

Ich hoffe, meine geehrten Damen, wir haben uns bis nun verstanden! – Natürlich wird es nicht immer und nicht einmal lange gehen, dass Ihnen unentgeltliche Lehrer zur Verfügung stehen. Ich muss daher nothgedrungen, freilich malgré moi, noch einen Augenblick bei einem etwas heiklen Punkte, bei der Geldangelegenheit der Gymnasienfrage Ihres Vereines, und was damit zusammenhängt, verweilen.

Um Ihnen nun Sachlage und Würdigung solcher Dinge, wie es die Frauen-Gymnasialfrage ist, durch die Menge unserer Mitbürger, – d. i. die Geldbeschaffung für solche Dinge durch freiwillige Beiträge, selbst zu besten Zwecken, – ein wenig und zwar als Schlusseffect unserer Vorlesung in etwas humoristischer Weise näher zu bringen, erlaube ich mir auf ein analoges Factum aus meinem früheren Leben, erzählend, zurückzugreifen.

Ich hatte im Sommer 1866, auf mehrfaches Ersuchen betheiligter Personen, die temporäre Leitung des Thiergartens im Prater übernommen, der damals seit drei Jahren bestand und trotz seines blühenden und vielversprechenden Anfanges ob schlechter Verwaltung dem völligen Untergange zuneigte. Ich übernahm diese Leitung unter den allerschlechtesten Auspicien, da damals gerade unsere „norddeutschen Brüder“ sich Wien zu dessen Belagerung näherten.

Ich kündigte nun, bei meiner Uebernahme des Director-Postens, Juli 1866, eine Vorlesung im Hörsaale des Thiergartens an, zur Darlegung meiner Pläne und Zwecke für denselben. Die Vorlesung war unentgeltlich und sollte wesentlich fördernd auf den Beitritt der besseren Wiener Bevölkerung zu einer neu zu kreirenden Thiergarten-Gesellschaft (– die alte war fallit geworden –) wirken. Einige Tage, nachdem ich diese Vorlesung gehalten, erschien in dem Ihnen wohlbekannten Witzblatte „Figaro“, damals von einem meiner ehemaligen Hörer, Herrn Med. Cand. Sitter redigirt, ein offener Brief an mich, den ich Ihnen als Erheiterungs- und noch mehr als Belehrungsmittel, ob seines wirklich treffenden und noch heute völlig giltigen Inhaltes, wörtlich vorlesen will.

[S. 63] Dieser Junibrief 1866 lautete: „An den neuen Leiter des Thiergartens, Herrn Professor Doctor Brühl, in Wien.“

„Hochverehrter Herr!

Sie haben vorigen Montag die gesammte Intelligenz von Wien zu einer Versammlung im Thiergarten berufen, und Ihr Appell ist von den besten Erfolgen gekrönt worden; denn es sind wirklich über hundert Personen erschienen. Es hat uns herzlich gefreut, einmal die Gesammtintelligenz einer Weltstadt mit einem Blicke mustern zu können; weniger sind wir von den Eröffnungen befriedigt gewesen, die Sie unserer Intelligenz gemacht haben.

Sie behaupten, Herr Professor, es sei für eine Grossstadt wie Wien ‚Ehrensache’, dass es eine Unternehmung, wie den Thiergarten, nicht zu Grunde gehen lasse, indem 15 ähnliche Unternehmungen in 15 viel kleineren Städten in Deutschland leben, wachsen und gedeihen.

Ein Thiergarten ‚Ehrensache’ für den Wiener! Lächerlich! Als wenn es für die Wiener keine würdigere Gesellschaft gebe, als Dromedare und Orang-Utange! Wissen Sie, was für den echten Wiener ‚Ehrensache’ ist? Es ist für ihn ‚Ehrensache’, dass er täglich seinen ‚Taper’ oder seine ‚Billard-Préferance’ macht, dass er Abends mit seiner Gattin und Nachkommenschaft zum Heurigen geht und dort noch einen Gulden beim ‚Krainer’ oder beim ‚Kegelschieben’ verspielt. Für den echten Urwiener ist es ‚Ehrensache’, dass er beim ‚Petersdorfer Umgange’, beim ‚Mariabrunner Kirchtag’, kurz um bei jeder ordentlichen ‚Hetz’ dabei ist. Wie soll ihm da bei der jetzigen Zeit noch monatlich ein Gulden überbleiben, um denselben für ein so verfehltes Unternehmen, wie unser Thiergarten, hinauszuwerfen?

Und verfehlt war diese Anlage im Vorhinein, denn wenn deren Gründer dem Geschmacke des Wiener Publikums nur einigermassen Rechnung getragen hätten, so würden Sie in demselben – anstatt ungeniessbarer Paviane und Riesen-Salamander, fette Kapauner und Backhendel, Karpfen und Forellen, oder wenigstens trichinenfreie Schweine cultivirt und zu billigen Preisen ausgeschrottet haben.

Mit geringer Achtung vor Ihrem praktischen Verständnisse der Wiener Verhältnisse,
zeichnet

Doctor Sixtus Plützerl, m. p.«

(Sollte heissen: Red. Sitter.)

Also der Figaro-Brief. Hr. Sitter hatte seinerzeit vollkommen Recht gehabt – und Sie, meine Damen vom Vereine „für erweiterte Frauenbildung“, sind dermalen in einer sehr ähnlichen Situation bezüglich Ihrer Unternehmungen, wie damals der Thiergarten.

Ein Verein „für erweiterte Frauenbildung“ in Wien!, seit Jahren bestehend! – und Sie zählen bis heute nur 284 Mitglieder – sage 284 Mitglieder in der Residenz Oesterreichs mit mehr als Einer Million Einwohner! Dies ist wahrlich eine Schmach; jedoch für wen? Für die Mitglieder des Vereines gewiss nicht, sondern für diejenigen, welche es nicht sind und es doch bei dem so geringen freiwilligen Beitrage leicht sein könnten.

Mir erscheint es eigentlich ganz unfassbar, dass unter den vielen Tausend gebildeter Frauen unserer Residenz so wenige das Bedürfniss fühlen, für die Erhöhungsmöglichkeit des geistigen Bildungs-Niveaus ihres Geschlechtes etwas zu thun.

[S. 64] Es wäre nun gewiss, meine Damen, für Sie nicht uninteressant, wenn ich noch vor Ihnen entwickeln würde, warum, nach meiner Meinung, diese vielen Tausend Frauen von einer „erweiterten“ Frauenbildung nichts wissen wollen! –

Weil Sie, die Gegenwärtigen, aber zu diesen gewiss nicht gehören und unsere Vorlesungsstunde längst abgelaufen ist, schliesse ich, indem ich mich Ihrem geneigten Andenken bestens empfehle, – nur noch den Wunsch aussprechend, es möge mir bald Gelegenheit und Musse gegönnt sein, das heute hier meist nur andeutungsweise Berührte ausführlicher mit Ihnen besprechen zu können. (Lebhafte Bravo-Rufe und Händeklatschen; die Red.)

 

 

1 [S. 38] In der von Boerhave besorgten deutschen Ausgabe der S.’schen „Bibel der Natur“, Leipzig 1752, Fol. S. 30 u. f.

2 [S. 40] Auch die uns als Sterne erscheinenden Welten, wenigstens die grösseren, beherbergen ganz gewiss Lebensformen, die denen unserer Erde mehr oder minder ähnlich sind.

3 [S. 45] Professor Brühl zeigt bei diesen Worten ein solches (die Redaction).

4 [S. 45] Hier zeigt Professor Brühl ein anderes in Spiritus gehärtetes Gehirn (die Redaction).

5 [S. 46] Unter dem Titel „Vorläufige Mittheilungen über die Unterschiede der Grosshirnwindungen nach dem Geschlecht bei Fötus und Neugebornen“ mit drei Tafeln, München 1877.

6 [S. 48] Die in der Küche verwendeten Thierhirne (Schwein und Kalb) müssen bekanntlich vor weiterer Zubereitung von der Köchin „abgehäutelt“ werden.

7 [S. 49] Für Näheres über den Bau der nervösen Elemente des Gehirns verweise ich die geehrten Leser auf S.17-28 meiner hier schon öfters (S. 32) citirten Schrift vom Jahre 1878.

8 [S. 52] Prof. B. zeigt hier zwei Oberschenkelknochen von erwachsenen Menschen (die Redaction).

 

 

(Wortwahl, Grammatik und Zeichensetzung entsprechen dem Original. Offensichtliche Schreibfehler und Falschschreibungen von Eigennamen wurden korrigiert. Hervorhebungen im Original durch Sperrung werden kursiv angezeigt. Ausdrücke in runden Klammern stehen auch im Original in runden Klammern. Die Seitenzahlen in eckigen Klammern bezeichnen den Beginn der jeweiligen Seite des Originals.)

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