Auftrag, Wesen und Stellung der Volkshochschule in Österreich

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Verband Österreichischer Volkshochschulen (Hrsg.)

Title: Auftrag, Wesen und Stellung der Volkshochschule in Österreich
Year: 1961
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Sonderdruck aus „Die Österreichische Volkshochschule" Nr. 41, Mai 1961.

[S. 1 ] Auf Einladung des Pädagogischen Ausschusses des Verbandes österreichischer Volkshochschulen fand vom 2. bis 5. März 1961 in Haus Rief ein Grundsatzgespräch über Eigenart und Stellung der Volkshochschule in Osterreich statt.

An diesem Gespräch nahmen teil: Hans Altenhuber, Herbert Grau, Wilhelm Mallmann, Aladar Pfniß, Wolfgang Speiser, August Stockklausner und Viktor Wallner. Anlaß dazu gab nicht allein das ständige Streben nach Klärung und Selbstverständnis, sondern auch das zeitliche Zusammentreffen einer Reihe wichtiger Geschehnisse:

  • Die Empfehlungen des Seminars des Europarates über Fragen der Erwachsenenbildung und der Weltkonferenz der UNESCO im Jahre 1960, die Erwachsenenbildung als Teil der Bildungssysteme der einzelnen Länder anzuerkennen.
  • Die Diskussionen, die vom Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen „Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung“ angeregt wurden.
  • Die Bestrebungen in Österreich, das Volksbildungswesen gesetzlich zu regeln.

Da diese grundsätzlichen Äußerungen sich auf die Erwachsenenbildung im allgemeinen beziehen, mußte die Sonderstellung der Volkshochschule im Rahmen der Erwachsenenbildung in Österreich geklärt werden.

Die Gesprächsteilnehmer betrachten die folgenden Ausführungen keineswegs als endgültig, sondern als Ausgangspunkt für weitere klärende Gespräche und Auseinandersetzungen.

[S. 2 ] DER AUFTRAG

Der Mensch von heute lebt in einer Welt, deren äußeres Bild vor allem durch die zunehmende Technisierung und Bürokratisierung bestimmt wird. Diese Erscheinung – eine Folge wissenschaftlicher Spezialisierung – ist das wesentliche Merkmal der Zivilisation unseres Jahrhunderts. Sie wirkt auf alle Zeitgenossen und formt das Denken und Verhalten vieler Menschen.

Die Dynamik dieser Entwicklung führt zu immer bedeutenderen technischen und wirtschaftlichen Leistungen. Diese verbessern die äußeren Lebensverhältnisse des Menschen, führen aber zur Verkümmerung vieler seiner besten Anlagen und zum Verlust an geistiger Substanz, wenn dem nicht sinnvoll entgegengewirkt wird. Als kritikloser Konsument nimmt der Mensch alle Güter und Meinungen hin, die ihm schmackhaft gemacht werden. Gewissenlose „Manager“ verstehen es nur zu gut, in diesem willfährigen Konsumenten immer neue Bedürfnisse zu wecken. Da aber künstlich geschaffene Bedürfnisse nie restlos zu befriedigen sind, ist der typische Konsument dauernd unzufrieden. Trotz des erreichten „höheren Lebensstandards“ erfaßt ihn ein Unbehagen. Immer mehr auf sein persönliches Wohlergehen bedacht, lockert er seine gesellschaftlichen Bindungen und verliert an sozialem Verantwortungsbewußtsein. Eine solche Geisteshaltung aber gefährdet das Individuum wie die Gesellschaft.

In dieser kritischen Situation kommt der freien Erwachsenenbildung an der Volkshochschule ein großer Auftrag zu: Darum bemüht zu sein, dem Menschen von heute die zutiefst menschlichen, weil das Wesen des Menschen bestimmenden Werte erhalten zu helfen. Ihr Bildungsziel ist die freie Persönlichkeit, das heißt der Mensch, der sich immerfort bemüht, zu werden, was er auf Grund seiner Anlagen werden kann, der Mensch, der um seine Eigenständigkeit und Verantwortung weiß, aber auch seine Grenzen kennt und immer bereit ist, den anderen in dessen Andersartigkeit gelten zu lassen, der Mensch, der jederzeit in der Lage ist, seinen eigenen Standpunkt zu überprüfen und gegebenenfalls abzuändern. Ein solcher Mensch erkennt sich selbst, seine Umwelt und seine Stellung in der Welt; er ist bestrebt, seine Erkenntnisse und seinen Auftrag in der Gestaltung des eigenen Lebens und der Mitwelt zu verwirklichen und tut sein Bestes, sich selbst und seinen Mitmenschen zum Nutzen und zur Freude. Ihn [S. 3 ] braucht die Gesellschaft in dieser sich schnell wandelnden und vielfältiger werdenden Welt.

Die Bildsamkeit des Erwachsenen

Die Wissenschaft hat die Lernfähigkeit des Erwachsenen in jedem Alter festgestellt. Darüber hinaus glaubt die Volkshochschule an die Bereitschaft und an die Fähigkeit des Menschen, sich aus besserer Einsicht zu ändern und zu vervollkommnen. Allerdings muß diese Bereitschaft oft erst geweckt werden.

Während das Kind von der Familie in seiner Ganzheit geformt wird und die Schule nach einem von der Gesellschaft geprägten Plan vorgeht, muß die Volkshochschule bemüht sein, sich selbst in allen ihren Einzelheiten so zu gestalten, daß sie einen Bildungserfolg erwarten darf. Die Volkshochschule muß daher als Ganzheit im pädagogischen (andragogischen) Sinne wirken.

Schließlich darf sich die Volkshochschule nicht dazu verleiten lassen, den erwachsenen Menschen von sich abhängig machen zu wollen. Denn sie will den Menschen ja zur Selbstbildung befähigen. Und je selbständiger und verantwortungsbewußter der Mensch in Erfüllung seiner Aufgaben sich selbst und seiner Umwelt gegenüber wird, je weniger er schließlich der Volkshochschule bedarf, um so besser hat diese ihre Aufgabe erfüllt.

DAS WESEN DER VOLKSHOCHSCHULE

Offenheit

Die Volkshochschule ist eine weltanschaulich nicht gebundene, überparteiliche, allen Menschen und Gruppen offen stehende Bildungseinrichtung. Als eine Bildungsstätte unserer pluralistischen Gesellschaft läßt sie die verschiedenen Ideen und Weltanschauungen zu Worte kommen, soweit diese mit der demokratischen und humanen Gesinnung im Einklang stehen.

Durch die Darstellung der verschiedenen Möglichkeiten einer Sinngebung unseres Daseins, durch deren Vergleich und durch das Gespräch darüber sollen dem heutigen Menschen Grundlagen und Impulse für die freie Wahl und die individuelle Formung seines Weltbildes und seiner Weltanschauung geboten sowie Verständnis und Anerkennung anderer Weltanschauungen angestrebt werden. Die Volkshochschule trägt dadurch bei, weltanschauliche, politische und soziale Spannungen zu mildern und leistet als Stätte der [S. 4 ] Begegnung einen wesentlichen Beitrag zur staatsbürgerlichen Erziehung. Wenn die Volkshochschule als Institution auch weltanschaulich nicht gebunden ist, so ist doch die Darstellung und Haltung des einzelnen Lehrers von seinem Weltbild bestimmt. Die Volkshochschule verlangt allerdings von jedem ihrer Lehrer, daß er sein eigenes Weltbild nicht als das allein gültige hinstelle, sondern auch andere aufzeige und diesen gegenüber entsprechende Toleranz walten lasse.

Vielfalt

So wie die Volkshochschule ein gemeinsames Dach für die verschiedensten Überzeugungen und Gruppen bietet, vereinigt sie in ihrem Rahmen alle Möglichkeiten der Erwachsenenbildung, soweit diese den Menschen als Vermittler brauchen. Die Volkshochschule ist die umfassendste Einrichtung der Erwachsenenbildung.

Die Vielfalt der gebotenen Inhalte ist kein Nachteil der Volkshochschule, sondern ergibt sich aus ihrem Auftrag, allen Menschen offen zu stehen und durch das Angebot das Bildungsverlangen der Menschen in ihrer Vielfalt zu wecken und zu befriedigen. Schon durch die Möglichkeit der freien Wahl und die Notwendigkeit der sinnvollen Auswahl entwickelt sie im Besucher die Fähigkeit, sich selbst richtig einzuschätzen und kritisch zu wählen.

Die verschiedensten Formen der Bildungsarbeit – vom Vortrag über den Lernkurs zur Arbeitsgemeinschaft, vom Filmabend bis zur unmittelbaren Anschauung bei einer Führung – ergänzen einander und stehen in einem sinnvollen Zusammenhang. Dabei wird der Rangordnung vom passiven Zuhören bis zum selbständigen Erarbeiten gefolgt.

Trotz der inneren Einheit der Zielsetzung und der Arbeitsweise zeigt die Volkshochschule die verschiedensten Formen der Organisation – von der Arbeitsgemeinschaft bis zur Dienststelle einer Gebietskörperschaft. Auch darin äußert sich das Streben der Volkshochschule, sich im öffentlichen Leben immer fester zu verankern.

Die Freiwilligkeit der Teilnahme bedingt die Anpassung an die örtlichen Verhältnisse. Die Verschiedenheit der Menschen, ihrer Probleme und der lokalen Bedingungen haben zur Folge, daß keine Volkshochschule der anderen gleicht.

Diese Vielfalt erschwert zwar die Klärung des Begriffes „Volkshochschule“, doch muß sie, da sie deren innerer Gesetzmäßigkeit entspricht, als eines ihrer Wesensmerkmale anerkannt werden.

[S. 5 ] Freiwilligkeit

Die Werbung für die Weiterbildung entspringt dem Verantwortungsbewußtsein derer, welche die Mängel und Notwendigkeiten unserer Zeit erkannt haben und bereit sind, durch Bildung dem Mitmenschen zu helfen. Werbung für die Bildung ist somit selber bildend.

Die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen sind nicht der einzige Auftrag an die Volkshochschule, aber ihr einzig möglicher Ansatz für die weitere Bildungsarbeit: Der Grundsatz der Freiwilligkeit gestattet es der Volkshochschule nicht, jemanden zu seiner Bildung zu zwingen.

Ausgehend von den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen arbeitet die Volkshochschule ihrem Auftrag folgend weiter: sie strebt den Anforderungen der Bildung und der Zeit entsprechend eine Ausweitung und Vertiefung der Bildung der Menschen an.

Freiheit

Die Verwirklichung der Grundsätze der Offenheit, Vielfalt und Freiwilligkeit setzt die Freiheit der Volkshochschule voraus. Diese Freiheit darf allerdings nicht in Willkür ausarten, sie ist beschränkt durch die Anerkennung der Ideale unserer abendländischen Kultur und somit des Ideals der Freiheit selber. Im Bereich der Volkshochschule ist diese Einschränkung vor allem durch die Anerkennung der Grundsätze der zielgerichteten Weiterbildung der sich der Volkshochschule anvertrauenden Menschen und der Aufgaben der Volkshochschule im besonderen und im Bereich der Organisation durch die Grundsätze einer ordnungsgemäßen und kontrollierbaren Geschäftsführung gegeben.

In diesem Rahmen ist der Leiter, bzw. Pädagogische Leiter der Volkshochschule frei in der Gestaltung des Programms und der Wahl der Lehrer. Die pädagogische Autonomie der Volkshochschule ist anzuerkennen.

Der einzelne Lehrer ist frei in der Wahl der Lehrinhalte und Lehrmethoden. Er wird nicht gefragt, welche Überzeugung er vertritt. Seine Mitarbeit ist freiwillig, wird aber angemessen entlohnt. Es wird von ihm erwartet, daß er aus Einsicht die mit ihm vom Leiter und seinen Mitarbeitern gefaßten Beschlüsse befolgt und daß er sich selber weiterbildet, um seine Arbeit besser leisten und als Vorbild wirken zu können.

Die Teilnehmer sind frei, aus den angebotenen Bildungsveranstaltungen auszuwählen, neue vorzuschlagen und die gewählten Veranstaltungen jeder- [S. 6 ] zeit zu verlassen. Sie werden allerdings ermutigt, ihre Interessen systematisch auszuweiten und ihre Bildung zu vervollkommnen.

Lebensnähe und Gegenwartsbezug

Während in anderen Bildungseinrichtungen der Mensch sich dem jeweiligen Sach- und Lehrauftrag zu unterwerfen hat – in der Schule dem Lehrplan, in der Berufsausbildung den Anforderungen des Berufes, an der Hochschule den Fragen des Forschungsgebietes –, werden an der Volkshochschule die Sachgebiete in den Dienst des Menschen gestellt. Die Inhalte sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel. Wissen und Können sollen den Menschen befähigen, sich in der Welt besser zu orientieren und sein Leben wesentlicher und zeitgemäßer zu gestalten. Die Ergebnisse der Wissenschaften werden in diesem, der Volkshochschule eigenen Sinne ausgewählt, verarbeitet und dargestellt.

Die Fragen der erwachsenen Teilnehmer sind unmittelbar, sie verlangen Antworten, die ebenso unmittelbar in der Lebensgestaltung verwirklicht werden können. Die „Bildungsinvestition“ ist kurzfristiger als die in der vorbereitenden Kinder- und Jugendschule. Die Volkshochschule geht daher unmittelbar auf die Anliegen aller Altersstufen, auch die der Ältesten, ein. Sie hat in ihrem Programm immer Platz für aktuelle Fragen, die sie allerdings zur Erarbeitung allgemeiner und zeitloser Einsichten auswertet. Andererseits arbeitet sie aus allen, auch den allgemeinsten und fernstliegenden Inhalten den Bezug auf die Gegenwart und die anwesenden Menschen heraus.

Planmäßigkeit

Die Volkshochschule folgt einer Rangordnung der Inhalte und Methoden. Inhaltlich schreitet sie von den praktisch-helfenden zu den sinnerhellenden Stoffgebieten, methodisch von der Darbietung zur aktiven Erarbeitung fort. Diese Rangordnung gilt sowohl für die Volkshochschule als Ganzes als auch für die einzelnen Bildungsveranstaltungen in ihrem Rahmen.

Die Volkshochschule strebt die Vervollständigung ihres Programms an. Wenn auch nicht alle Bildungsgebiete gleichzeitig behandelt werden können, so wird doch im Laufe der Zeit ein abgerundetes Programm geboten. Der zufällige oder durch die Umstände bedingte Ausfall von Veranstaltungen hat keinen Einfluß auf die Vollständigkeit in der Planung.

Eine Voraussetzung echter Bildungsarbeit ist die Kontinuität. Die Volkshochschule selbst macht durch die Kontinuität ihrer Existenz die Notwendigkeit der Weiterbildung bewußt. Die länger, möglichst mehrere Arbeitsabschnitte [S. 7 ] dauernden Bildungsveranstaltungen (Kurse, Arbeitsgemeinschaften) haben den Vorrang vor einmaligen oder kürzer dauernden. Die Teilnehmer werden ermutigt, sich auf einem Gebiet durch Teilnahme an einer Folge von Kursen zu vervollkommnen.

Die Volkshochschule bemüht sich um die Klärung ihrer Eigenheiten und Aufgaben. Je klarer das Selbstverständnis ist, um so eindeutiger wird das Bild der Volkshochschule in der Öffentlichkeit, um so eher findet sie die volle Anerkennung. Pädagogische Ausschüsse und Arbeitsstellen erarbeiten eine Theorie der Volkshochschularbeit als Teil der Erwachsenenbildung und geben Anregungen für die fortschreitende Vervollkommnung ihrer Arbeit. Die Mitarbeiter werden in Seminaren aus- und weitergebildet und in Arbeitsgemeinschaften zum Erfahrungsaustausch zusammengefaßt. Auf diesem Weg wird an der Formung eines Berufsbildes des Erwachsenenbildners gearbeitet.

Ausweitung und Vertiefung

Planmäßigkeit und Kontinuität der Arbeit sowie das Selbstverständnis der Mitarbeiter der Volkshochschule ermöglichen es ihr, über den Ansatzpunkt der unmittelbaren Interessen hinauszukommen.

Mit dem Ziel der Ausweitung des geistigen Horizontes und der Erfahrungen der Teilnehmer ist der Lehrer bemüht, die engen Grenzen seines Faches zu überschreiten und die Zusammenhänge mit anderen Fachgebieten und Lebenssphären aufzuzeigen. Soweit möglich, ist er auch bestrebt, seine Hörer mit den vielfältigen Erscheinungen der Zeit vertraut zu machen und sie zum Besuch anderer Bildungsveranstaltungen zu bewegen. Diese Ausweitung und Anregung hilft dem Menschen, neue Interessengebiete zu entdecken und zu erkunden und seine geistige Wendigkeit zu erhalten. So lernt er auch, die Probleme des Alterns und der Umstellungen im Berufsleben zu meistern.

Die Ermutigung zum Neuen muß, wenn sie nicht zur Oberflächlichkeit verführen soll, mit der Ermutigung zur Vertiefung und Vervollkommnung auf einem engeren oder weiteren Gebiet Hand in Hand gehen. Erst die Beherrschung und Durchdringung eines bestimmten Gebietes wecken das Gefühl der Leistung und stärken die Persönlichkeit. Besonders im musischen und handwerklichen Bereich übt die Freude am selbstgeschaffenen Werk eine bildende Wirkung aus.

Begegnung und Zusammenarbeit

Das Zusammenkommen verschiedenster Menschen ist für die Volkshochschule nicht Zufall oder gar Hemmnis für ihre Arbeit, sondern Gelegenheit und [S. 8 ] Aufgabe. Die reine Bildungssituation, welche die Loyalitäten nach außen als Realität anerkennt und für den Bildungsprozeß fruchtbar macht, gestattet die direkte Pflege der Begegnung zwischen überzeugten und suchenden Menschen, zwischen Anhängern verschiedener Meinungen und Gruppen. Toleranz ist für die Volkshochschule kein allgemeines Programm, sondern der konkrete Auftrag, den Menschen einen Weg zur Meisterung der Gegensätze, zum besseren Zusammenleben und zur fruchtbaren Zusammenarbeit zu zeigen. Die Lebensform der sich um Bildung Bemühenden darf nicht nur gelehrt, sie muß vorgelebt werden.

Die Volkshochschule legt durch ein vorbildliches Verhältnis zwischen Leiter und übergeordneten Gremien, Lehrern und Mitarbeitern sowie zwischen den Mitarbeitern selbst den Grund für eine Atmosphäre, die auch die Teilnehmer erfaßt. Diese Atmosphäre ist gekennzeichnet durch den Willen zur Zusammenarbeit aus Verständnis und Verantwortung. Somit wird die Volkshochschule zu einer Schule der gelebten Demokratie.

Örtliche Gebundenheit

Eine freiwillige, vielfältige und planmäßige Bildungsarbeit, die Ausweitung und Vertiefung, Begegnung und Zusammenarbeit verwirklichen will, setzt eine Mindestzahl von Teilnehmern und Veranstaltungen voraus. Da die Veranstaltungen der Volkshochschule in der Freizeit der Besucher, vor allem an den Abenden, stattfinden, müssen die Teilnehmer die Volkshochschule in der Zeit zwischen Arbeitsschluß und Veranstaltungsbeginn erreichen und nach den Veranstaltungen rechtzeitig nach Hause kommen können. An einem Ort entschließt sich jeweils nur ein beschränkter Prozentsatz der Bevölkerung zur Teilnahme an den Veranstaltungen. Das Angebot von verschiedenen und weiterführenden Bildungsmöglichkeiten muß, um dem Grundsatz der Freiwilligkeit gerecht zu werden, eine Auswahl zulassen. Eine Volkshochschule ist somit an eine gewisse Zahl bildungswilliger Menschen innerhalb eines durch den Verkehr erschlossenen Einzugsbereiches gebunden, sonst sind ihre Existenz und die Erfüllung ihrer Aufgaben gefährdet. Der weiteste Bereich, in dem eine Volkshochschule wirken kann, entspricht etwa dem eines Bezirkes. Von einer Volkshochschule sind mehrere Kurse, die eine Vielfalt von Gebieten behandeln, zu verlangen. Eine zentralistisch gelenkte, überregionale Volkshochschule widerspricht dem Grundsatz der Freiwilligkeit sowie dem der Anpassung an die örtlichen Verhältnisse.

[S. 9 ] DIE STELLUNG DER VOLKSHOCHSCHULE

Einbau und Eigenständigkeit

Die Volkshochschule von heute ist das Ergebnis einer historischen Entwicklung. Die wesentlichsten Züge sind aus der Vergangenheit übernommen; ihre heutige Form basiert auf der zunehmenden Einsicht in Wesen und Aufgaben der Volkshochschule und der notwendigen Anpassung an die Gegebenheiten der Gegenwart. Der Name „Volkshochschule“ ist als historisches Erbe zu betrachten.

Die Volkshochschule ist eine Einrichtung der umfassenderen Bewegung der Erwachsenenbildung. Die Eigengesetzlichkeit der Erwachsenenbildung hebt die Volkshochschule von vielen anderen Bildungseinrichtungen ab. Innerhalb der Erwachsenenbildung gibt es verschiedene Einrichtungen, deren Verschiedenheit durch die jeweiligen Aufgaben, Bedingungen und Methoden bestimmt ist. Die Volkshochschule nimmt sowohl bezüglich ihrer Zielsetzung und Eigenheiten als auch dadurch eine Sonderstellung ein, daß sie befähigt ist, in ihrem Rahmen alle anderen Formen der Erwachsenenbildung zu vereinigen, soweit sie den Menschen als Vermittler und Helfer in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Sie ist somit die zentrale Einrichtung der österreichischen Erwachsenenbildung.

Als systematischeste und umfassendste Einrichtung der Erwachsenenbildung ist die Volkshochschule besonders befähigt und berechtigt, einen festen und klar umrissenen Platz im Bildungssystem des Staates einzunehmen.

VHS und Jugendbildung

Die Volkshochschule ist eine Bildungseinrichtung für Erwachsene sowie für Jugendliche, die nicht mehr der gesetzlichen Schulpflicht unterliegen.

In eigenen Jugendgruppen werden vor allem Fragen, die junge Menschen interessieren und betreffen, behandelt; die Methoden der Erwachsenenbildung werden den Eigenheiten der Jugendlichen angepaßt. Grundsätzlich jedoch wird zur Förderung der Begegnung zwischen den Menschen die Mischung der Generationen angestrebt. Diese ist in Kursen, die offene Fragen behandeln, leichter und wichtiger als in Lernkursen. Die Erfassung der Jugendlichen durch die Volkshochschule ist eine Notwendigkeit, da jene rechtzeitig auf die Erwachsenenbildung vorbereitet und in sie übergeleitet werden sollen.

[S. 10 ] Kinderkurse sind keine eigentliche Aufgabe der Volkshochschule. Sie lassen sich nur rechtfertigen, wenn Eltern oder Schule sie als Ergänzung ihrer Bemühungen verlangen. Die Volkshochschule arbeitet nicht parallel zur Pflichtschule, sie kann aber den Kindern helfen, das in der Schule Gelernte zu üben und zu lockern und ihre Freizeit durch musische Betätigungen zu erfüllen.

Berufsförderung

Kurse, die der Erlernung eines speziellen Berufes und somit der Berufsausbildung dienen, sind nicht Sache der Volkshochschule.

Berufsfördernde Kurse dienen der Vervollkommnung im Beruf, der Verhinderung des Qualitätsabfalles und der Vorbereitung auf neue Entwicklungen in den Berufen. Diese Kurse sind volkshochschulgemäß, wenn sie allgemeine Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die verschiedentlich verwendbar sind, und wenn sie allgemein zugänglich sind.

Die Durchführung von Kursen für eine spezielle Berufsweiterbildung ist in Zusammenarbeit mit den zuständigen Einrichtungen (Arbeitsämter, Wirtschaftsförderungsinstitute, Berufsförderungsinstitute, Kammern usw.) möglich. Durch diese Zusammenarbeit werden nicht nur rechtliche Probleme gelöst, sondern die Volkshochschule erhält auch einen Einfluß auf die Programmgestaltung und Durchführung in ihrem Sinne. Die Volkshochschule als Alleinträgerin solcher Kurse kommt nur dort in Frage, wo sie mangels einer entsprechenden Einrichtung vorübergehend diese Aufgabe übernimmt.

Veranstaltungen, die die Problematik der Arbeit in unserer technisierten Zeit aufzeigen sowie solche, die den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Standort eines bestimmten Berufes klären helfen, müssen ein besonderes Anliegen der Volkshochschule sein.

Der „Zweite Bildungsweg“

Der „Zweite Bildungsweg“ eröffnet Berufstätigen die Möglichkeit, die Berechtigungen, die der Besuch bestimmter öffentlicher Schultypen verleiht, zu erwerben.

Volleinrichtungen dieser Art, wie die Arbeitermittelschulen, sind kein wesensgemäßer Bestandteil einer Volkshochschule, können allerdings von der Volkshochschule mitgetragen werden und mit dieser, als selbständiger Teil, organisatorisch verbunden sein.

Kurse, die auf eine Prüfung vorbereiten, sollen von einer Volkshoch- [S. 11 ] schule nur dort durchgeführt werden, wo eine andere Möglichkeit der Vorbereitung fehlt.

Eine echte Aufgabe der Volkshochschule ist es, die „Berufsreifeprüfung für das Hochschulstudium“ zu propagieren und den Weg zu ihr durch entsprechende Kurse zu erleichtern.

Schließlich hat die Volkshochschule auch die Aufgabe, Erprobungsfeld für diejenigen zu sein, die den harten und anstrengenden „Zweiten Bildungsweg“ einschlagen wollen: Sie hilft den Teilnehmern, ihre Lernbereitschaft und Lernfähigkeit zu erkunden und Bildungslücken zu füllen.

Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse

Der Umfang der wissenschaftlichen Forschung zwingt auf jedem Gebiet zum Spezialistentum und macht einen allgemeinen Überblick unmöglich; die Schnelligkeit des wissenschaftlichen Fortschrittes macht es immer schwieriger, diesem auch nur in Teilen zu folgen. Die Wissenschaften bestimmen aber immer mehr unser Weltbild und unsere Lebensweise.

Die Volkshochschule hat wegen dieser schwierigen Lage die Aufgabe, der Allgemeinheit einen Zugang zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ermöglichen. Unter Vermeidung jeder inhalts- und sinnändernden Vereinfachung („Popularisierung“) läßt sie durch Wissenschafter das Wesentliche an Erkenntnissen in verständlicher Form darstellen. Damit stellt die Volkshochschule die Einsichten der Wissenschaft in den Dienst der Horizonterweiterung und der Lebenshilfe, weist den einzelnen und die Öffentlichkeit auf Vielfalt, Schwierigkeit und Wichtigkeit der Wissenschaft hin und kann den Wissenschafter durch den Brückenschlag vom Fachmann zum Laien in Methode und Formulierung, oft sogar im Gegenstand seiner Forschung anregen.

Erfüllung der Freizeit

Die freiwillige Bildungsarbeit der Volkshochschule ist im wesentlichen nur in der Freizeit der Teilnehmer möglich und ist für diese im weitesten Sinne aktive Gestaltung der Freizeit.

Die Volkshochschule gibt aber auch in Befolgung ihres Auftrages, Lebenshilfe zu bieten, ihren Teilnehmern Anregungen, wie sie ihre eigene Freizeit sinnvoll gestalten können; sie will aber nie die Freizeit der anderen organisieren. Sie entwickelt die durch Spezialisierung verkümmernden Kräfte des einzelnen, befähigt ihn zu kritischer Auswahl aus dem Angebot der mit Freizeitgestaltung beschäftigten Industrien und der Massenmedien. Sie stellt [S. 12 ] Fachleute zur Verfügung, die den Teilnehmern helfen, ihr Können zu vervollkommnen: Durch die Mühe des Lernens hindurch führt sie die Menschen zur Freude am selbstverständlichen Tun und zur immer besseren Leistung. Wegen der beschränkten Wohnverhältnisse vor allem in den Städten ist die Volkshochschule auch verpflichtet, Räume und Geräte bereitzustellen, welche die verschiedenen Betätigungen in der Freizeit ermöglichen.

Die Volkshochschule anerkennt den Wert der Geselligkeit für eine sinnvolle Gestaltung der Freizeit und ermöglicht daher neue Formen der Gemeinschaftsbildung. Sie ist sich bewußt, daß diese „Ersatzgemeinschaften“ als Anregung und erste Kontaktnahme wirken, aber nicht Selbstzweck und Dauererscheinungen sein sollen.

Fremdsprachen

Die Kenntnis fremder Sprachen ist ein wesentlicher Beitrag zur Allgemeinbildung und dient der Völkerverständigung, vor allem, wenn der Unterricht sich nicht auf das Sprachliche beschränkt, sondern auch in die Kultur und Lebensweise der fremden Völker einführt. Deshalb sind Fremdsprachenkurse ein legitimer Bestandteil des Volkshochschulprogramms.

Zeugnis

Von den Volkshochschulen werden bereits Bescheinigungen über den Besuch bestimmter Kurse auf Verlangen der Teilnehmer ausgestellt. Durch sie wird der regelmäßige Besuch eines Kurses bestätigt.

Öffentliche und allgemein gültige Zeugnisse sind an Bedingungen gebunden, welche die Volkshochschule nicht erfüllen kann und deren Erfüllung auch dem Wesen der Volkshochschule widersprechen würde.

Die Ausstellung von Zeugnissen käme zwar dem Wunsch mancher Teilnehmer entgegen, ließe aber den Eindruck des Abschlusses der Bildung entstehen, was dem Grundsatz der nie endenden Weiterbildung widerspräche, den die Volkshochschule vertritt.

Gesetzliche Regelung

Eine gesetzliche Regelung auf dem Gebiet der Volksbildung muß der Volkshochschule vor allem die öffentliche Anerkennung als Teil des österreichischen Bildungssystems bringen, ihre finanziellen Grundlagen sichern und ihre Unabhängigkeit im pädagogischen Bereich gewährleisten. Die Überprüfung der rechtmäßigen Verwendung öffentlicher Mittel darf keinen Einbruch in die pädagogische Autonomie der Volkshochschule ermöglichen.

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. Die im Original durch Sperrung hervorgehobenen Wörter wurden kursiv gesetzt. In eckiger Klammer steht die Zahl der jeweiligen Seite des Originaltextes. Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt.)

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