Technische Volksbildung (Auszug)

Titelvollanzeige

Autor/in:

Einstein, Albert

Titel: Technische Volksbildung (Auszug)
Jahr: 1919
Quelle:

Aus einem Briefe des Universitätsprofessors Dr. Albert Einstein (Berlin) an die "Freie Vereinigung für technische Volksbildung, 1919. In: Volksbildung. Monatsschrift für die Förderung des Volksbildungswesens in Deutschösterreich, 1. Jg., 15. August 1920, H. 11, S. 307-308.

Dem Bildungswesen droht stets eine eigentümliche Gefahr der Loslösung von der Welt des sinnlichen Erlebens. Jede Bildung schafft eine Welt von Begriffen. Diese sind bei ihrer Entstehung eng verbunden mit den Realitäten, zu deren übersichtlicher Erfassung sie gebildet sind. Aber es haftet dem sprachlich fixierten Begriff eine Tendenz der Verallgemeinerung an, die einerseits sein Anwendungsgebiet erweitert, andererseits seine Verbindung mit dem sinnlichen Erleben schwächt. So sehen wir insbesondere in Zeiten alternder Kultur die Begriffe leer und formal werden, den Zusammenhang mit dem sinnlich Erlebten verlieren. Wer wollte leugnen, daß die Gymnasien, bei denen der Schwerpunkt des Interesses auf das Sprachliche gerichtet ist, dieser Gefahr in besonders hohem Maße ausgesetzt sind? Aber auch die Pflege der von Anwendungen losgelöster Mathematik bringt die gleiche Gefahr; konnten doch die Geometer im Laufe der Jahrhunderte vergessen, daß ihre Wissenschaft letzten Endes von steten Körpern und Lichtstrahlen handelt; der Geometer, der dies grundsätzlich leugnet, degradiert seine Wissenschaft zu einem inhaltsleeren Wortspiel. Wissenschaft kann nur dann gesund und fördernd bleiben, wenn ihr Zusammenhang mit der Welt des sinnlichen Erlebens aufrechterhalten wird, wie indirekt dieser Zusammenhang auch sein mag. Die Beschäftigung mit der Technik ist in hohem Maße geeignet, einer Degeneration der Wissenschaft in dem angedeuteten Sinn entgegenzuwirken.

Andererseits gilt es, die Technik zu einem echten Kulturfaktor zu machen, indem man ihren reichen geistigen und ästhetischen Gehalt dem allgemeinen Bewußtsein näherbringt. Was taucht im Bewußtsein eines [S. 307] feinen Menschen auf, wenn er das Wort Technik hört? Geldgier, Ausbeutung, soziale Spaltung des Volkes, Klassenhaß, seelenlose Mechanisierung, Rassendegeneration, sinnloses hastiges Treiben ..., ist es ein Wunder, daß der gebildete Menschenfreund die Technik als ein mißratenes Kind unseres Zeitalters haßt, das die feineren Reize des Lebens zu vernichten droht? Damit dies robuste Kind der Gesellschaft zum Heil gereiche, dürfen wir es nicht wild aufwachsen lassen. Man muß es zu verstehen suchen, um Einfluß darauf zu gewinnen. Es verfügt über Kräfte, die das Leben zu veredeln vermöchten. Hier sehe ich die zweite Aufgabe Ihrer Gesellschaft. [S. 308]

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. In eckiger Klammer steht die Zahl der jeweiligen Seite des Originaltextes.)

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