Lifelong Learning und Erwachsenenbildung – Wege zu einem gerechteren Bildungswesen?

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Autor/in:

Bisovsky, Gerhard

Titel: Lifelong Learning und Erwachsenenbildung – Wege zu einem gerechteren Bildungswesen?
Jahr: 2008
Quelle:

Verein „Forum Neue Medien in der Lehre Austria (fnm-austria)“(Hrsg.): Weiterbildung an Universitäten und Fachhochschulen (= 16. fnm-austria Tagung an der Universität Salzburg), 2008, S. 48-57.

Sachdeskriptor: Lebenslanges Lernen

[S. 48] Organisatorische und strukturelle Veränderungen finden sich derzeit in weiten Bereichen der Weiterbildung und in anderen Teilen des Bildungswesens. Fragen der Effizienz (wie viele Mittel werden für welche organisatorischen Strukturen eingesetzt) und der Effektivität (welche Adressatengruppen und Personen werden mit Hilfe öffentlicher Bezuschussungen erreicht) gewinnen im öffentlichen Diskurs zunehmend an Bedeutung. Außer Frage steht dabei, dass öffentliche Mittel notwendig sind, um über Erwachsenenbildung und Weiterbildung bildungspolitische Ziele erreichen zu können. Ich suche in diesem Beitrag die Verbindung zwischen Organisationsveränderungen und bildungspolitischen Aufgabenstellungen bzw. Herausforderungen für die Erwachsenenbildung. Im ersten Schritt werde ich einen skizzenhaften Befund zur Rolle der Erwachsenenbildung im Bildungswesen liefern, im zweiten Schritt soll versucht werden, Antworten auf die Frage zu finden, wie die Beteiligung an Erwachsenenbildung verbreitert werden kann und im dritten Teil möchte ich zur Diskussion stellen, wie in der Bildungspraxis auf bildungspolitische Anforderungen strukturell und inhaltlich reagiert wird. Das werde ich am Beispiel des derzeitigen Umwandlungsprozesses der Wiener Volkshochschulen tun.

Ich werde mich in diesem Beitrag nicht explizit mit dem „Lehren und Lernen mit den Medien der Informationsgesellschaft“ beschäftigen, da ich mich hier nicht mit didaktischen und methodischen Fragestellungen auseinandersetze. Anmerken will ich allerdings, dass ich den Einsatz dieser Medien, besonders in der Erwachsenenbildung für höchst adäquat halte. Der Einsatz des Internets in einem „erwachsenengerechten“ Lehr- und Lernprozess ist in vielen Fällen heute nicht mehr wegzudenken, viele Lernende beziehen sich darauf, fordern von den Lehrkräften Hinweise, Links und Tipps um auch außerhalb des Kurses eigenständig weiterlernen zu können. Lernplattformen sind mittlerweile in einigen Lehrgangs- und Kursformaten ein beinahe selbstverständlicher Standard eines Lehr- und Lernprozesses geworden, auf viele Erfahrungen in der Implementation von eLearning kann zurück gegriffen werden (vgl. Bisovsky 2006). Der Einsatz von E-Portfolios wird an einigen Einrichtungen und Instituten getestet und es spricht aus heutiger Sicht Vieles dafür, das Lernen mit einem Portfolio auszubauen. Implizit wird das Thema „Lehren und Lernen mit den Medien der Informationsgesellschaft“ mitschwingen, insbesondere dort, wo es um Exklusion geht oder um den sogenannten digital gap, also um die Kluft zwischen jenen, die diese Medien anwenden können und jenen, die das nicht können.

Um einem Missverständnis vorzubeugen, wonach Lebenslanges Lernen mit Erwachsenenbildung gleichzusetzen sei, möchte ich noch zwei Definitionen voranstellen:

Erwachsenenbildung umfasst die Grundbildung und die Fortbildung und begleitetes Lernen für Jugendliche und Erwachsene, egal ob es sich um formales, nicht-formales oder informelles Lernen handelt. Erwachsenenbildung schließt alle Formen der schulischen, universitären und beruflichen Erstausbildung aus (vgl. EAEA 2006). Der Zweite Bildungsweg, in dem in einer spezifischen Lebensphase schulische und berufliche Abschlüsse gemacht oder „nachgeholt“ werden, wird auch zur Erwachsenenbildung gezählt. In Österreich wird die Arbeit der öffentlichen Bibliotheken auch zur Erwachsenenbildung gerechnet, was dem aktuellen Stand der bildungspolitischen und bildungswissenschaftlichen Debatte um informelles Lernen entspricht. Den Begriff Weiterbildung verwende ich synonym mit Erwachsenenbildung. [S. 49] Lifelong Learning umfasst alle Bereiche: die schulische und berufliche Ausbildung ebenso wie die Hochschulbildung und die Erwachsenenbildung. Lifelong Learning ist auch mit einem Paradigmenwechsel verbunden: Vom Lehren zum Lernen, von der Institution zum Lerner. Der/die einzelne Lernende wird mehr oder weniger für seinen/ihren Lernprozess verantwortlich gemacht (vgl. Europäische Kommission 2006).

Lifelong Learning wird in der Bildungsdebatte jedoch auch mit „Hilfsdiensten“ für die vorherrschende neoliberale Ausrichtung und einen globalen Weltmarkt verbunden. Viele Werte der Aufklärung oder der aktiven Bürgerschaft oder emanzipatorischen Erwachsenenbildung gehen im öffentlichen Diskurs, der vielfach auf berufliche Weiterbildung und berufliche Verzweckung hin ausgerichtet ist, unter. Das Paradigma eines der Promotoren in den Anfängen der Wiener Volksbildung vor rund hundert Jahren, nämlich das „Denken lehren“, wie es Ludo Moritz Hartmann formuliert hat, findet heute nur eine relativ geringe Beachtung im Diskurs zum Lebenslangen Lernen. Keine Frage, ökonomische Entwicklungen und Prozesse spielen eine wichtige Rolle und haben ihre Auswirkungen auf das alltägliche Leben – insbesondere für die Beschäftigung. Aber Lebenslanges Lernen ist auch wichtig für die Entwicklung der Demokratie. Aus der Sicht einer humanistischen Bildungsperspektive bezieht LLL sowohl die Lebensqualität der Menschen mit ein als auch das wirtschaftliche Wachstum.

Auch Erwachsenenbildung ist mehr als berufliche Weiterbildung. Die Effekte von Erwachsenenbildung auf das soziale Klima in einer Gesellschaft, der Zusammenhang von Erwachsenenbildung und sozialer Kohäsion wird vom Centre for Research on the Wider Benefits of Learning erforscht. Die statistischen Analysen zeigen einige Zusammenhänge:

  • Erwachsenenlernen spielt eine wichtige Rolle bei Veränderungen in der Bürgerbeteiligung und bei Haltungen von Bürgern
  • Erwachsene, die sich weiterbilden, akzeptieren die Gesundheitsvorsorge in einem höheren Ausmaß als solche, die sich selten oder nie in Kursen und Seminaren weiterbilden

(Vgl. http://www.learningbenefits.net/Research/AppliedStatisticalAnalysis.htm)

 

7.1. Die Teilnahme an Erwachsenenbildung oder: Wer hat, dem wird gegeben

Die Eurostat Labour Force Survey, das Ad-hoc-Module Lifelong Learning zeigt, dass die Teilnahme an verschiedenen Formen der Erwachsenenbildung durch die Höhe der Erstausbildung bestimmt ist:

Participation in Formal Adult Education by previous educational attainment:

Low 1.4%     Medium 5.2%     High 8.5%

Participation in Non-formal Adult Education by previous educational attainment:

Low 6.5%     Medium 16.4%     High 30.9%

Participation in Informal Adult Education by previous educational attainment:

Low 18.4%     Medium 34.1%     High 55.2%

Eurostat Labour Force Survey, 2003 Ad-hoc-Module Lifelong Learning. Aus: EAEA 2006

Die geringer Ausgebildeten sind in der Erwachsenenbildung deutlich unterrepräsentiert. Die Teilnahme am Erwachsenenlernen nimmt mit zunehmendem Alter ab, speziell in beruflichen und Arbeitszusammenhängen. Je schlechter die soziale Situation [S. 50] der Menschen ist, umso weniger nehmen sie an Erwachsenenbildung teil. Ethnische Minderheiten und MigrantInnen nehmen an Erwachsenenbildung weniger Teil als die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft.

Eine im Rahmen der Kommission Finanzierung Lebenslanges Lernen in Deutschland erstellte Studie zur Teilnahme und Nichtteilnahme an organisierter Weiterbildung erbrachte folgende Befunde, welche Personengruppen unterdurchschnittlich an Weiterbildung teilnehmen:

  • Personen mit geringer oder ohne formale berufliche Qualifikation und in wissensarmen sowie obsoleszenzträchtigen Tätigkeiten
  • Personen in traditioneller Arbeitsorganisation
  • Personen ohne Erwerbsstatus bzw. mit prekärem Erwerbsstatus
  • ArbeitnehmerInnen in Kleinbetrieben
  • Frauen mit Kindern (Weiterbildungsabstinenz wächst mit der Kinderzahl)
  • Einkommensschwache Personen
  • AusländerInnen/MigrantInnen (Büchel/Pannenberg 2004).

Faktoren für die Teilnahme an Erwachsenenbildung können – wie eine Studie zur Erreichbarkeit von Personen mit niedriger Erstausbildung gezeigt hat – auch folgende sein:

  • Vorhandensein geeigneter Angebote
  • Wissen über speziell ausgebildete TrainerInnen
  • Zuversicht, dass Lernen Freude und Spaß machen kann
  • Hoffnung auf Kompensation von Einschränkungen
  • Befähigung zur Erledigung alltäglicher Aufgaben (Böck 2006).

Alles in allem: Erwachsenenbildung kompensiert die Ungleichheiten, die das Bildungswesen und der Arbeitsmarkt produzieren, nur unzureichend. Die Leistungsgesellschaft drückt sich in der Bildung noch unzureichend aus. Erwachsenenbildung reproduziert über weite Strecken den Status, wie er in den vorangegangenen Bildungs- und Berufsprozessen erworben wurde und wahrscheinlich auch jenen Sta- tus, der vom Elternhaus mitgebracht wird.

In der Trendanalyse 2008 des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung heißt es: Die Selektivität der Weiterbildungsteilnahme zu Ungunsten geringer Qualifizierter besteht fort. (DIE 2008, S. 29) Es gelingt nur in einem unzureichenden Rahmen, gering qualifizierte Gruppen zur Weiterbildungsteilnahme zu bewegen. Der Abstand zwischen den höher qualifizierten Gruppen und den geringer Qualifizierten wird nicht kleiner.

Ein zentrales Ziel von Lilfelong-Learning-Strategien ist es daher, die Teilnahme an Erwachsenenbildung generell zu erhöhen und dabei insbesondere die Teilnahme gering Qualifizierter zu verbessern.

 

7.2. Wie kann die Teilnahme an Erwachsenenbildung erhöht werden? Wie gelingt es, gering Qualifizierte bzw. „Weiterbildungsabstinente“ in Bildungsprozesse zu „holen“?

Die Herstellung von Chancengleichheit ist gerade für eine Erwachsenenbildungseinrichtung wie die Volkshochschule von großer Bedeutung und sie sollte es auch für andere Bildungseinrichtungen sein, die öffentlich finanziert oder bezuschusst sind, also auch für Fachhochhochschulen und Universitäten.

Im Aktionsplan Erwachsenenbildung der Europäischen Kommission wird die Notwendigkeit eines hochwertigen und zugänglichen Systems der Erwachsenenbildung betont. [S. 51] Im Aktionsplan werden folgende Zielsetzungen genannt:

  • Verringerung des durch den demografischen Wandel bedingten Arbeitskräftemangels durch Höherqualifizierung;
  • eine zweite Chance für alle Erwachsenen, die ohne Qualifikation dastehen;
  • Eindämmung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Erwachsenenbildung kann die Qualifikation der Menschen verbessern und ihnen helfen, aktivere Bürger zu sein und persönliche Autonomie zu gewinnen.
  • Bessere Integration von MigrantInnen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt. Erwachsenenbildung bietet maßgeschneiderte Kurse, einschließlich Sprachkurse, um diesen Integrationsprozess zu fördern. Außerdem kann die Teilnahme an der Erwachsenenbildung im Aufnahmeland MigrantInnen helfen, die Validierung und Anerkennung der Qualifikationen zu sichern, die sie bereits mitbringen;
  • Steigerung der Beteiligung am lebenslangen Lernen. (Europäische Kommission 2007).

Um diese Ziele zu erreichen, ist der Sektor Erwachsenenbildung effizienter zu gestalten. Dazu sind drei miteinander verzahnte Aktionen erforderlich:

Strategie, Steuerung und eine entsprechende Umsetzung.

Bei der Strategie geht es darum, dass Behörden in Zusammenarbeit mit anderen Beteiligten eingreifen, um Lernmöglichkeiten zu gewährleisten, die gefährdeten Gruppen die Möglichkeit bieten, Schlüsselkompetenzen zu erwerben. (Ebd., S. 5) Die Rede ist von den europäischen Schlüsselkompetenzen für Lebenslanges Lernen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde. Zur Steigerung der Beteiligung wird es als relevant erachtet, dass Qualität, Relevanz, Effizienz und Wirksamkeit der Erwachsenenbildung deutlich sichtbar sind. (Ebd.)

Die geforderte Steuerung oder Governance bezieht sich auf die Anbieter von Erwachsenenbildung selbst. Unter guter „Governance“ wird hier verstanden:

  • Zentrale Stellung des Lernenden
  • Innovative Lernansätze
  • Gründliche Bedarfsanalyse
  • Effiziente Verwaltungssysteme, sinnvolle Ressourcenzuteilung
  • Professionell arbeitende Fachkräfte
  • Qualitätssicherungsmechanismen für die Anbieter
  • Bewertung im nationalen Rahmen anhand nachweisbarer Ergebnisse
  • Enge Beziehungen zu anderen Bildungsbereichen und Gremien. Einbeziehung in die Planung auf lokaler und regionaler Ebene

Schließlich geht es in der Umsetzung um folgendes:

  • Hochwertige Informationen und Beratung müssen dem Lernenden näher gebracht werden. Dies lässt sich durch lokale oder betriebliche Dienste erreichen. Es herrscht weitgehende Einigkeit, dass das Angebot für die Zielgruppen dieses Aktionsplans kostenlos sein sollte.
  • Das Lernangebot muss den Lernenden am Wohnort und am Arbeitsplatz näher gebracht werden. Denkbar wären hier lokale Lernzentren, NRO, Lernmöglichkeiten am Arbeitsplatz, e-Learning. Es sollte ein vielfältiges Lernangebot geben, das den spezifischen Bedürfnissen der Menschen gerecht wird.
  • Flexibler Zugang zu Bewertung, Validierung und Anerkennung von Lernergebnissen, der Zertifizierung und formale Qualifikation ermöglicht. Unterstützend müsste eine entsprechende Beratung hinzukommen. [S. 52]
  • Ausweitung des Zugangs zur Hochschulbildung, um eine Qualifikation auf dem nächsthöheren Niveau zu erleichtern. Es müssten nachfrageorientierte Finanzmechanismen (etwa individuelle Lernkonten, steuerliche Maßnahmen und Darlehen – aus öffentlichen Mitteln oder über eine öffentliche Bürgschaft) bereitgestellt werden, um finanzielle Einschränkungen zu beseitigen und zum Lernen auf Voll- oder Teilzeitbasis zu motivieren.
  • Der Einzelne muss ermutigt werden, im Hinblick auf Beschäftigungsfähigkeit und persönliche Entwicklung in die eigene Bildung zu investieren. Die Beratung spielt hier eine wesentliche Rolle; sie hilft den Erwachsenen, die Angebote von Unternehmen, Sozialdiensten und anderen Einrichtungen richtig zu nutzen.

In der Expertenstudie der European Association on the Education of Adults (EAEA) werden drei zentrale Bereiche angeführt, über die die Beteiligung an Erwachsenenbildung erhöht werden kann:

  • Lernkultur

Motivation für das Lernen, die Schaffung einer Lernkultur und eines positiven Zuganges zum Lernen werden als besonders wichtig erachtet. Nicht nur potenzielle LernerInnen sind zu motivieren, sondern auch ihre Umgebungen (Familie, ArbeitgeberInnen, gesellschaftliches Umfeld) sind für das Lernen zu sensibilisieren. Die allgemeine Erwachsenenbildung (zu der auch die Volkshochschulen gezählt werden) kann hier eine besondere Rolle spielen. Denn hier nehmen die Menschen wesentlich häufiger freiwillig an Bildungsaktivitäten teil als in der beruflichen Weiterbildung oder im Arbeitsmarkttraining.

  • Informelles Lernen

Am informellen Lernen wird häufiger teilgenommen als in organisierten Formen des Lernens (formale oder nicht-formale). Durch die Unterstützung des informellen Lernens können mehr Gruppen für das Weiterlernen angesprochen werden. Große Lernpotenziale finden sich in kulturellen Organisationen (zum Beispiel Büchereien).

  • Qualität

Hier ist besonders die Qualität des Unterrichts gefragt.

Die EAEA empfiehlt folgende Aktionen um Erwachsenenbildung vorwärts zu bringen:

Qualität und Entwicklung
Wie kann Qualität im Unterricht, wie kann die Qualität von Lernergebnissen sichergestellt werden. Wie kann Transparenz im Lernprozess, im Angebot hergestellt werden und wie kann Lernen attraktiver gemacht werden, auch und insbesondere für geringer Qualifizierte und seltenere LernerInnen.

Anerkennung und Validierung verschiedener Formen des Lernens
Insbesondere angesprochen werden dabei: Erwachsenenbildung und ihre Anerkennung in Universitäten (Durchlässigkeit); Anerkennung in der Berufsbildung; Allgemeine Erwachsenenbildung (Persönlichkeitsentwicklung); Freiwilligenarbeit. Viele Fragen stellen sich hier im Zusammenhang mit dem Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR).

Grundbildung und Schlüsselkompetenzen
Die Reduktion der Grundbildung auf grundlegende Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen und eine Grundkompetenz im Bereich IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien) wird als unzureichend erachtet. Allen Erwachsenen, insbesondere Benachteiligten, soll die Aneignung von Schlüsselkompetenzen ermöglicht werden.

Active Citizenship und Erwachsenenbildung
Strategien gegen Rassismus und für ein ausgeprägtes demokratisches Bewusstsein [S. 53] aller Bürger sind essenziell für die Wissensgesellschaft. Es besteht zwar grundsätzlich Einigkeit über die Bedeutung von Aktiver Staatsbürgerschaft, tatsächlich getan, wurde bislang aber nur sehr wenig.

Lokale Lernzentren, Partnerschaften und Dezentralisierung
Bildung ist stark lokal und regional verankert. Lokale und regionale Partnerschaften sind zu stärken. Verschiedene Formen des Lernens sind zu verbinden mit Job Coaching, Anerkennung vorhergehender Lernprozesse, Beratung, Unternehmensgründungen, etc. Institutionen und Einrichtungen sind zu vernetzen, um mehr Lernen zu ermöglichen. Auch Bildungseinrichtungen und Büchereien, usw. usf.

Verbesserte Forschung, verbesserte Daten über Erwachsenenbildung
Die Forschungs-Rahmenprogramme bieten gute Ansatzpunkte für vernetzte Forschungsaktivitäten von Universitäten in der Erwachsenenbildung. Die Forschungsprojekte sollten klar auf bestimmte Themenstellungen fokussiert sein.

Professionalisierung des in der Erwachsenenbildung tätigen Personals
Dies betrifft Lehrende, im Management Tätige, BeraterInnen, Medienkompetenz, Support, BibliothekarInnen u.a.m.

Sowohl auf der Systemebene, als auch auf der Ebene der AnbieterInnen und für den Lernprozess selber können eine Reihe von Anforderungen und Veränderungsbedarfe genannt werden.

BildungsanbieterInnen sind heute gefordert, genauere Bedarfsanalysen zu erstellen, was aber wegen zunehmender Prognoseschwierigkeiten, welche Qualifikationen heute für morgen erworben werden sollen, wie sich die Arbeitswelt morgen gestalten wird, immer problematischer wird. Die immer noch vorherrschenden Veranstaltungsformate Kurs und Seminar gehen zum Teil auf eine Zeit zurück, in der berufliche Veränderungen noch einigermaßen prognostizierbar waren. Selbstlernprozesse gewinnen für die Lernenden an Bedeutung, was nicht heißt, dass bewährte Formate wie Kurse, Lehrgänge und Seminare verschwinden werden, dazu kommen aber neue Formate, neue Lernumgebungen sind zu entwickeln, die selbstgesteuerte Lernformen fördern. (Schiersmann 2006, S. 93)

Angebote sind in nicht wenigen Fällen „zufällig“ entstanden und haben so auf unterschiedlich wahrgenommene Bedürfnisse und Ansprüche reagiert. Zwar wurden und werden so sehr unterschiedliche und heterogene Bedarfs- und Interessenslagen angesprochen, andererseits wird die konkrete Programmplanung manches Mal beliebig oder sogar blind gegenüber neueren Entwicklungen. (vgl. Egger 2008, S. 91)

Zu klären ist, wie viel Marktorientierung die Erwachsenenbildung verträgt und wo der gesellschaftliche Auftrag liegt. Ich würde einmal die Behauptung aufstellen, dass die Marktorientierung in der Erwachsenenbildung zugenommen hat. Eine Marktorientierung, die sich nur an Nachfrage oder vermuteter Nachfrage orientiert. Wolfgang Schulenberg spricht vom „Teufelskreis des Marktprinzips“ (Schulenberg 1981). Angeboten wird das, was nachgefragt wird. Eine nachfragende Minderheit prägt das Bildungsangebot, das sie ursprünglich selbst hervor gebracht hat. So wird die vorhandene Orientierung fortgeschrieben.

 

7.3. Wie viel Management braucht eine Erwachsenenbildungseinrichtung heute?

Neue und vermehrte Steuerungsmechanismen sind notwendig, um eine gute „Governance“ zu gewährleisten. Die Ressourcen werden knapper, öffentliche Mittel werden an die Erfüllung von Zielvorgaben quantitativer und qualitativer Natur gebunden. Die Stadt Wien hat einen Leistungsvertrag mit der neuen „Die Wiener Volkshochschulen GmbH“ abgeschlossen, die sowohl bildungspolitische Aufgabenstellungen [S. 54] als auch zu erreichende quantitative Kennziffern (Teilnahmen, Unterrichtseinheiten, Budget) enthält. Die Frage wird gestellt wie öffentliche Mittel, deren Einsatz grundsätzlich für die Erwachsenenbildung nicht in Frage gestellt wird, effektiver eingesetzt werden können. „Treffsicherheit“ ist ein relevantes Thema, „Effizienz und Gerechtigkeit“ ein weiteres. Um auch die bildungspolitischen Ziele mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erreichen, sind neue Steuerungsstrukturen einzuführen, die eine institutionell gut gesicherte Planungs- und Ressourcenverwaltung erlauben. Diesen Umwandlungsprozess vieler Erwachsenenbildungseinrichtungen in Richtung Betriebe können wir derzeit an vielen Orten in Deutschland, Österreich und in der Schweiz beobachten. Auf keinen Fall darf die verstärkte Einführung betriebswirtschaftlicher Logiken und Prozesse dazu führen, dass damit eine humanistische oder emanzipatorische Erwachsenenbildung zu Grabe getragen wird zugunsten einer „industriell“ arbeitenden oder orientierten. Daraus ergeben sich neue Anforderungen an eine „institutionelle Selbstreflexion“ (Egger a.a.O.), in der zu bestimmen ist, wofür diese Einrichtungen mit welchen generellen Zielsetzungen und mit welchem didaktischen Konzept stehen. Kurzum: der pädagogische Weg ist mit betriebswirtschaftlichen Mitteln zu befahren.

Am Beispiel des gegenwärtig laufenden Umwandlungsprozesses der Wiener Volkshochschulen möchte ich nun die Richtung darstellen, in die dieser Prozess gehen kann und wie dabei insbesondere pädagogische und/oder andragogische Zielsetzungen berücksichtigt werden.

 

7.4. Verbesserte Effizienz und höhere Effektivität: Der Weg der Wiener Volkshochschulen zu einem kohärenten Programmangebot mit hoher Qualität.

Für die derzeit stattfindenden Veränderungsprozesse in den Wiener Volkshochschulen sind mehrere Stränge als Argumentationslinien zu formulieren. Die zunehmende Verknappung an Ressourcen, ein gestiegenes Kostenbewusstsein, stark dezentrale Strukturen bei gleichzeitig geringer Steuerungsmöglichkeit, Wettbewerb der einzelnen Volkshochschulen untereinander, teilweise Doppelgleisigkeiten, ausgeprägte Anbieterlandschaft mit einem hohen Konkurrenzdruck, Schwierigkeiten, bildungsungewohnte Gruppen und Schichten zu erreichen und nicht zuletzt auch das Vergaberecht. Neben vielen wirtschaftlichen Kriterien sind auch bildungspolitische relevant geworden. Insbesondere die Stadt Wien, von der die Wiener Volkshochschulen ihre Grundsubvention erhalten, hat einen Paradigmenwechsel in ihrer Erwachsenenbildungspolitik vollzogen: Von der Unterstützung der Infrastruktur bei relativ geringer „Einflussnahme“ hin zu mehr Gestaltung und Formulierung bildungspolitischer Zielsetzungen und Abstimmung der verschiedenen Bereiche im Ressort der auch für die Volkshochschulen zuständigen Magistratsabteilung. Stichwort: kohärente Politik.

Die Wiener Volkshochschulen haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg – am ehesten noch mit den Berliner Volkshochschulen vergleichbar – mit einer stark dezentralen Perspektive entwickelt, unterbrochen von der Gründung des Verbandes Wiener Volksbildung als Dachorganisation (1952) und erweitert mit einem ersten Zentralisierungsprozess 1974 (Rechnungswesen, Personal). Bis in die 1990er Jahre hat diese Dezentralisierung angehalten. Zuletzt haben in den 1990er Jahren Diskussionsprozesse stattgefunden, wie Synergien zwischen den einzelnen Vereinsvolkshochschulen hergestellt werden können, welche intensivierten Formen der Zusammenarbeit möglich sein können.

Alle 18 Vereinsvolkshochschulen (bei 23 Bezirken) wurden mit 1.1.2008 in eine große gemeinnützige GmbH integriert. Die einzelnen Volkshochschulen sind – betriebswirtschaftlich gesprochen – sogenannte Profitcenter, das heißt [S. 55] rechtlich nicht eigenständig, wirtschaftlich gesehen aber selbstständig – unter Beachtung gemeinsamer Standards. Die Stadt Wien ist Miteigentümerin der GmbH. Fast die gesamte Angebotspalette der Wiener Volkshochschulen – ein buntes und breites Programm mit etwa 14.000 Kursen, Seminaren und Workshops pro Jahr – wird nach den acht Europäischen Schlüsselkompetenzen für das Lebenslange Lernen systematisiert.

Diese Europäischen Schlüsselkompetenzen für Lebenslanges Lernen (Europäische Kommission, Europäischer Rat und Europäisches Parlament) sind:

  • Muttersprachliche Kompetenz
  • Fremdsprachliche Kompetenz
  • Mathematische Kompetenz und grundlegende naturwissenschaftlich-technische Kompetenz
  • Computerkompetenz
  • Lernkompetenz
  • Soziale Kompetenz und Bürgerkompetenz
  • Eigeninitiative und unternehmerische Kompetenz
  • Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit

Das Programm selbst teilt sich wie folgt:

  • Grundprogramm mit vielen gemeinsamen Standards
  • Erweitertes Programm

und außerhalb der Schlüsselkompetenzen in

Spezialprogramme, die die bisherigen Schwerpunkte der Volkshochschulen berücksichtigen.

Das Grund- und das erweiterte Programm richten sich insbesondere an die BürgerInnen und Organisationen im regionalen Einzugsgebiet.

Parallel werden Kompetenzzentren gebildet, die die Aufgabe haben,

  • Kernkompetenzen der Volkshochschulen sichtbar zu machen und zu verbessern;
  • sich am Lifelong Learning, am Lifewide Learning und an der LLL-Strategie zu orientieren;
  • zur Profilbildung der Volkshochschulen beizutragen;
  • als Know-how Zentren zur Verbesserung der Leistung der Volkshochschulen zu fungieren;
  • eine systematische Anbindung an Wissenschaft und andere Communities zu gewährleisten;
  • Beiträge zur fachdidaktischen Entwicklung zu leisten, u.v.a.m.

Diese Kompetenzzentren werden sich in einem Wettbewerbsverfahren (Bewerbungen, Auswahl) gründen. Nach zwei Jahren wird ihre Arbeit evaluiert.

Ein Konzept der Qualitätssicherung wurde entwickelt, das auf einer Mischung aus Selbst- und Fremdbewertung beruht und an der Verbesserung orientiert ist. Viele Anregungen konnten aus dem Common Inspection Framework im Vereinigten Königreich geholt werden (http://www.ofsted.gov.uk/). [S. 56]

Lehrende Volkshochschule Evaluationssystem
Lernende geben Feedback nach Veranstaltung (Zufriedenheit) QM-Systeme: Eduqua, LQW, ISO Externe EvaluatorInnen bewerten das Evaluationssystem und die Leistung der internen EvaluatorInnen
Selbstbewertung*: Erfülle ich die Anforderungen an einen guten Unterricht? Lernende geben Feedback nach Veranstaltung (Zufriedenheit)    
Entwicklungsgespräch mit ProgrammplanerInnen der VHS Lehrende werden zur Leistung der Volkshochschule befragt    
U-Beobachtung durch EvaluatorInnen der GmbH-Zentrale Laufende Verbesserung der Q (Entwicklungsgespräch) und Weiterbildung    
Weiterbildungsangebote für Lehrende nach WBA-Standards Q-Reporting an die GmbH-Zentrale    

*Selbstbewertung Lehrende:

  • Strukturierung des Unterrichts
  • Methoden und Vielfalt
  • Lernförderliches Klima
  • Lernzielerreichung und/oder Prüfungsvorbereitung
  • Fachdidaktik/ Persönliche Weiterbildung

 

7.5. Fazit

Die Strategie, die die Wiener Volkshochschulen nun realisieren, zielt darauf ab, durch ein kohärentes Programmangebot mehr Personen für das Weiterlernen anzusprechen und dabei auch Personen zu mobilisieren, die bislang zu den eher selteneren KursbesucherInnen gehören. Mit der Orientierung an den Schlüsselqualifikationen für Lebenslanges Lernen wird nun erstmals in einem größeren und zusammenhängenden Rahmen versucht, ein Curriculum für das Erwachsenenlernen umzusetzen. Modulare Weiterbildung wird so eingebettet in einen Gesamtrahmen. Es ist zu rechnen, dass damit die Attraktivität des Weiterlernens gesteigert wird, dass eine Passung in den Nationalen Qualifikationsrahmen durch ein zusammenhängendes Programmangebot leichter fallen wird und dass die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöht wird, da sich nun erstmals ein „Sinn“ ergibt: Nicht mehr das einzelne Angebot steht in seiner relativen Beliebigkeit für sich alleine, sondern findet sich in einem curricularen Rahmen wider. Die Kombination von zentralen und steuernden Ansätzen mit dezentralen und einer gewissen Selbststeuerung auf der Basis eines gemeinsamen Bildungsverständnisses bringt in dreifacher Hinsicht eine Sicherheit für InteressentInnen und Lernende: Standards werden garantiert, das Weiterlernen wird selbst auf höheren Niveaus leichter möglich gemacht und schließlich wird eine Nähe zu den Lernenden und zur Region ermöglicht, die ein rasches Eingehen auf Bildungsinteressen und Bedürfnisse ermöglicht.

 

Verwendete Literatur

Bisovsky, G. (2006): Wie kann eLearning in der Erwachsenenbildung eingeführt und verankert werden? In: G. Bisovsky, R. Egger, H. Schott, D. Seyr (Hg): Vernetztes Lernen in einer digitalisierten Welt. Internetgestützte Bildungsprozesse an der Volkshochschule. Wien: Edition Volkshochschule, S. 17–44. [S. 57] URL: http://meidling.vhs.at/fileadmin/user_upload/Vernetztes_Lernen.pdf (29.6.2008)

Böck, M. (2006): Margit Böck, Angebote der Basisbildung für Erwachsene: Erreichbarkeit der Zielgruppen, Wien (Studie im Auftrag der Volkshochschule Meidling).

Büchel, F., Pannenberg M. (2004): Berufliche Weiterbildung in West- und Ost- Deutschland. Teilnehmer, Struktur und individueller Ertrag, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung u. DIW, Berlin. URL: http://doku.iab.de/zaf/2004/2004_2_zaf_buechel_pannenberg.pdf (6.7.2008)

DIE, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (2008): DIE-Trendanalyse 2008. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld.

EAEA, European Association on the Education of Adults (2006). Adult education trends and issues in Europe, Brussels. URL: http://www.eaea.org/index.php?k=10263 (26.6.2008)

Egger, R. (2008): Das Image der Volkshochschule in der Steiermark. Eine empirische Untersuchung über die Bedingungen und Möglichkeiten des lebenlangen Lernens in einer dynamischen Gesellschaft. Lit-Verlag, Wien.

Europäische Kommission (2006): Mitteilung der Kommission – Erwachsenenbildung: Man lernt nie aus (KOM/2006/0614 endgültig). URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2006:0614:FIN:DE:PDF (26.6.2008)

Europäische Kommission (2007): Aktionsplan Erwachsenenbildung: Zum Lernen ist es nie zu spät (KOM/2007/558 endgültig). URL: http://ec.europa.eu/education/policies/adult/com558_de.pdf (26.6.2008)

Schiersmann, Ch. (2006): Profile lebenslangen Lernens. Weiterbildungserfahrungen und Lernbereitschaft der Erwerbsbevölkerung. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld.

Schulenberg, W. (1981): Erwachsenenbildung als Institution – Zwischen Marktprinzip und öffentlicher Verantwortung. In: Pöggeler, F./Wolterhoff.,B. (Hg): Neue Theorien der Erwachsenenbildung. Kohlhammer, Stuttgart.

(Die im Original fett formatierten Wörter wurden auch hier fett formatiert. In eckigen Klammern steht die Zahl der jeweiligen Seite des Originaltextes. Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt. Inhaltliche Korrekturen: Die Schlüsselkompetenzen wurden laut Amtsblatt der Europäischen Union, L 394 korrigiert.)

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