Einige Worte zur Verständigung über Lehr- und Lernfreiheit an die Studirenden und Doktoren der verschiedenen Fakultäten zunächst

Titelvollanzeige

Autor/in:

Brühl, Carl Bernhard (Vortragender)

Titel: Einige Worte zur Verständigung über Lehr- und Lernfreiheit an die Studirenden und Doktoren der verschiedenen Fakultäten zunächst
Jahr: 1848
Quelle:

Einige Worte zur Verständigung über Lehr- und Lernfreiheit an die Studirenden und Doktoren der verschiedenen Fakultäten zunächst, sodann an jeden für den zeitgemäßen Fortschritt allgemeiner Bildung begeisterten Bürger, Wien 1848. Wienbibliothek im Rathaus, Druckschriftensammlung, Signatur: Ra-84.

[S. 1] Meine Herren!

Welche ungeheuere Macht in der Intelligenz liege, haben die jüngsten Tage in Oesterreich mit einem Erfolge gelehrt, der für alle Zeit merkwürdig, ja vielleicht das einzige derartige Beispiel bleiben wird. Diese Macht kam aber nicht blos dem Volke zu Gute, sondern mit noch größerer Wohlthat der Staatsverwaltung. Das letztere Faktum darf die Intelligenz mit vollem Rechte für sich in Anspruch nehmen, und kann stolz darauf sein; die Staatsverwaltung aber möge es nicht und nie vergessen. Die Intelligenz war einerseits die Seele der Reform, andererseits die Stütze des in seinen Grundfugen erschütterten Staatshaushaltes. Wer dies nicht einsieht, hat nur mit oberflächlichem Blicke die Vorgänge der drei Märztage in Wien gesehen; er hat nicht gehörig erwogen das Mark der Ereignisse, die Stimmung der Stadt Wien, den beispiellosen Einfluß, welchen die Träger der Bildung auf die große Masse übten, und daß es allein in der Hand der ersteren war, die letztere, allen Kanonen und Bajonetten zum Trotze, zu führen, wohin und wie sie wollten. Daß diese Masse zur Ordnung und Ruhe gebracht, und nicht zu wildem Sturme benützt ward, liegt allein in der weisen, wirklich göttlichen Natur der Intelligenz, die nur jene Rechte will, die ihr zukommen, und jeden Schritt darüber als einen Schritt der Willkühr und der Leidenschaft ansieht, den sie mit aller Kraft zu verhindern strebt. – Ist nun die Intelligenz für den Staat ein solch‘ furchtbarer Feind, wenn sie unbefriedigte Wünsche hat, eine so ausgiebige Beschützerin, wenn sie das ihr zugehörende Gebiet besitzt, so ist es Pflicht der Regierung, den Wünschen der Intelligenz nachzuspüren, sie mit der größten Aufmerksamkeit zu erwägen, und zu gewähren, so weit nur irgendwie möglich. – Die mächtigste Stütze der Intelligenz aber, ihr Lebensnerv möcht‘ ich sagen, ist die Lehr- und Lernfreiheit. Die Staatsverwaltung und alle Gebildeten, welche die erstere zu unterstützen haben, mögen also ihr vollstes Augenmerk jenen Einrichtungen zuwenden, deren Summe die Lehr- und Lernfreiheit konstituirt. – Verständigen wir uns nun, meine Herren, über die beiden genannten Begriffe, und sehen wir nach, was man in Bezug auf beide mit Recht fordern, was man mit Recht und ohne Besorgniß gewähren kann und muß.

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Zuvor noch einige Worte über die Hauptveranlassung dieses Aufsatzes. Sie ist folgende. Als der Unterfertigte Montag am 13. März um 12 Uhr Mittags im großen Ständesaale des hiesigen Landhauses den versammelten Ständen, auf ihren durch den Herrn Grafen Colloredo-Mansfeld angeregten Wunsche, das Begehren der im Hofe versammelten Menge detaillirte, führte er als 2. Punkt vollkommene Lehr- und Lernfreiheit an, dieselbe mit wenigen Worten motivirend. Nach geendigtem Vortrage des Unterfertigten wandte sich der Herr Landtagspräsident Graf Montkukuli [sic!] an die Stände-Versammlung mit den Worten: „Alle von diesem Herrn erwähnten Punkte sind, mit Ausnahme der Lehr- und Lehrfreiheit, schon in den uns übergebenen Petitionen enthalten.“ Unterfertigter vernahm diese Aeußerung mit Erstaunen, und gab sich im Stillen das Wort, dem genannten Punkte das Wort laut zu reden, und zwar so laut, daß es auch die Ohren so vieler freiwillig Tauben hören müßten. – Dies thut er nun. –

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a) Lehrfreiheit.

Lehrfreiheit, als Gesetz, ist die vom Staat zugestandene Freiheit, daß Jeder, wer er sei, lehren können, was, wie und wo er will. –

Die einzigen Schranken dieser Zugeständnisse seien durch sozielle Einrichtungen gegeben, welche aber nur durch gegenseitiges Uebereinkommen der Lehrenden selbst zu Stande kommen sollen. – Lehrfreiheit, [S. 2] in dem eben bezeichneten Umfange, macht es zum Gesetz, daß niemand die Erlaubniß, irgend Etwas lehren zu dürfen, bei einem Vice- oder wirklichen Direktorat, bei einer Landesregierung, bei einer Studienhofkommission, oder bei sonst einer wie immer benannten Stelle einzuholen braucht. Ihr zufolge genügt es, an eines der Lehrgebäude eine gedruckte oder geschriebene Ankündigung anzuschlagen: „N. N beginnt am … l. J. Vorlesungen über ….. Jeder, der Antheil an diesen Vorlesungen nehmen will, beliebe sich da und da einzufinden.“ –

1. Jeder soll lehren können, was er will, d. h. sowohl obligate als nicht obligate Gegenstände. Bisher war es den Docenten nur erlaubt, nicht obligate Gegenstände vorzutragen, die obligaten blieben ein Privilegium der vom Staate besoldeten Professoren, gleichgültig, ob diese ihrem Amte gewachsen waren, oder nicht. Dies muß vor Allem anders werden, soll ein wahrer Fortschritt der Bildung möglich sein. Kein Unbefangener, der die Schaar der angestellten Professoren mustert, kann verkennen, daß Viele derselben nichts Anderes als Mensch gewordene schlechte Schulbücher oder Kollegienhefte sind, und daß alle Fächer, welche durch diese Herren gelehrt werden, eigentlich gar nicht gelehrt werden. – Daß diese Herren die Hauptfeinde der Lehrfreiheit in dem oben bezeichneten Umfange sind und sein werden, versteht sich von selbst. – Der wahrhafte Gelehrte aber, der Professor wie er sein soll, verliert nichts dabei, wenn das durch ihn vertretene Fach auch noch durch andere Lehrer der Menge zugänglicher gemacht wird. Aus der Konkurrenz in dieser Beziehung entsprießt die segensreichste Folge für die Förderung des Faches unter den Lehrenden selbst; und was dem Einzelnen vielleicht zu tödtlichem Schaden wird, wird der Wissenschaft zum Fortschritt, zum Heil. Also die obligaten Fächer müssen ebenso von Jedem gelehrt werden dürfen, als die unobligaten. – Damit Jeder lehren könne, was er will, müssen weiter aber auch die vom Staate angehäuften Behelfe zum Lehren auf liberale Weise zur Verfügung stehen. Diese Konzession stößt auf die mannigfachsten Hindernisse – wirkliche und scheinbare, die nur in einer Detail-Besprechung beseitigt oder modificirt werden können. Im Allgemeinen ist hier vorzüglich der Grundsatz festzuhalten, daß die öffentlichen Sammlungen, Bibliotheken etc. nicht etwa Privateigenthum des temporären Custos, Professors u. s. w. sind, sondern Gemeingut aller Unterthanen. Da die nothwendigen Einrichtungen in dieser Beziehung fast noch mehr, als den Lehrenden, den Lernenden zu Gute kommen, habe ich diesen Punkt bei der Besprechung der Lernfreiheit eindringlicher dargestellt, und verweise Sie deßhalb, meine Herren, dorthin.

2. Jeder lehre, wie er will, d. h. wie er es seinem Ermessen nach für gut, für lehrreich, für entsprechend, und für verantwortlich gegenüber der Ordnung des Staates, dem Geiste der Wissenschaft, und dem Bedürfnisse seiner Zuhörer hält. Es gebe also fortan keine vom Staate bestimmten Schulbücher, in denen gleichsam unumstößliche Prinzipien und Normen der Wissenschaften als eben so viele heilige Gesetze aufgestellt sind, die man glauben und wissen muß, um bei den Prüfungen durchzukommen. – Es gibt keinen ärgern Feind der Wissenschaft als den Zwang, – was man lernen muß, lernt Niemand gern, – ein vorgeschriebenes Buch, und wäre es das beste, wird immer unangenehm, – und sind vollends die Schulbücher, wie es bisher bei uns meist der Fall war, die Bilder der Wissenschaft, wie sie nicht sein soll, oder wie sie vor grauen Zeiten war, so erregen sie den Abscheu der Lernenden, entmuthigen sie, und machen sie auch für alles wirklich Gute stumpf. – Darum möge Jeder lehren können, nach seinem Gewissen und Wissen, – wie er will. –

3. Jeder lehre, wo er will d. h. a) Die schlichte Privatwohnung im letzten Stocke gelte als ein eben so würdiger Schauplatz, die Geheimnisse der Forschung den lernbegierigen Jüngern aufzudecken, wie das säulengetragene stolze Gebäude, welches der Staat den Wissenschaften gewidmet hat. Es sei mithin nicht nöthig, einen Vorlesesaal irgend eines öffentlichen Unterrichtsgebäudes als entsprechende Hülle einer Lehrstunde zu wählen; dieselbe Geltung, die der Staat den Besuch- und Prüfungs-Zeugnissen der einzelnen unbeschränkt Lehrenden überhaupt will zukommen lassen ( – welcher Punkt einer weitläufigeren Betrachtung bedarf, die mit zu den Reformen des Unterrichtswesens gehört – ) komme in gleichem Maße den in öffentlichen Unterrichtsgebäuden, wie in Privatwohnungen Lehrenden zu Gute. – b) Keinem, der lehren will, darf, so lange es die Zahl und Stundeneintheilung der schon früher Lehrenden erlaubt, unter irgend einem, wie immer heißenden Grunde, ein Vorlesesaal oder eine sonstige Räumlichkeit eines öffentlichen Unterrichtsgebäudes zur Benützung verweigert werden.

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Wer in dem hier vorgeschlagenen Umfange der Lehrfreiheit Schritte zur Anarchie sieht, hat nie gelehrt und nie gelernt. Ja er hat nie etwas gründlich und lebhaft durchdacht, er hat nie die alles besiegende, dauernde Macht des Wahren, und die immer früher oder später in Nichts zerfließende Scheinmacht des Falschen oder Uebertriebenen empfunden. Es gibt keinen Gegenstand im Bereiche des menschlichen Wollens und Thuns, dem unbeschränkte Freiheit unbedingt zu so ungeheurem Nutzen wäre, als der Wissenschaft. Zum [S. 3] Schaden kann sie nicht werden; nur kurzsichtige Pedanten, selbstsüchtige Schwachköpfe, oder nimmersatte Ehrgeizige behaupten das Gegentheil. Jeder von ihnen aus Gründen, die ihnen unwiderleglich oder rechtlich, dem, der sie durchschaut, albern oder niederträchtig erscheinen. Alle drei eben genannten Gruppen von Menschen sind, wenn sie sich auch bisweilen Anders stellen, unversöhnliche Feinde der Lehrfreiheit in dem hier aufgestellten Umfange. Entkräften Sie, meine Herren, wenn Sie es redlich mit sich, mit Ihrer Bildung, und mit dem Fortschritt der Wissenschaft im Allgemeinen meinen, die oft sehr heimlich wirkenden Gegenminen dieser Feinde.

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Anmerkung. Frage. Wer soll, wenn die Lehrfreiheit in dem hier anzeigten Umfange von der Staatsverwaltung zugegeben wird, die dann wahrscheinlich bald große Anzahl von Lehrenden für ihr Bemühen bezahlen – der Staat oder die Lernenden?

Antwort. Hier müssen die vom Staate angestellten Lehrer von den freiwillig Lehrenden unterschieden werden, und weiter die Lehrer der obligaten Gegenstände von jenen der nicht obligaten. Der Staat kann billigerweise nur verpflichtet sein, für jeden obligaten Gegenstand Einen, oder wenn es, wie dies im philosophischen und juridischen Studium der Fall ist, die Zahl der Studirenden erfordert, höchstens zwei Professoren an Einer Universität zu bezahlen. Es wäre ungerecht, blos zu [sic!] Förderung der Konkurrenz, die Besoldung mehrerer Lehrer Eines obligaten Gegenstandes von der ohnedieß schwer belasteten Staatshaushaltung zu verlangen. Der Staat hat aber die hochwichtige Verpflichtung, auch alle bisher unobligaten wichtigeren Fächer durch Einen von ihm besoldeten Lehrer Jedermann zugänglich zu machen. Alle anderen Dozenten der obligaten und unobligaten Fächer können vom Staate keine Bezahlung in Anspruch nehmen. – Sollen und dürfen sie es von den Lernenden? Sie dürfen wohl, aber sie sollen es nicht, wenigstens nicht unbedingt. Es ist der wesentlichste Punkt der gleich zu besprechenden Lernfreiheit, daß einem Jeden, auch dem Aermsten, die Erlernung jeder Wissenschaft leicht und ohne Demüthigung möglich gemacht werde. Hieraus folgt von selbst, daß die nicht vom Staate besoldeten Lehrenden dieselbe Verpflichtung haben, ihr Wissen unentgeltlich zum Gemeingute zu machen, wie die besoldeten. Welches soll nun der Lohn der nicht besoldeten Lehrenden sein? – Ihr Bewußtsein, die Anerkennung ihrer Zuhörer, und die vom Staate garantirte Hoffnung die erledigten besoldeten Lehrerstellen, ohne Rücksicht auf Protektion, Verwandtschaft, und sonstige büreaukratische Erwägungspunkte, bekommen zu können.

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b) Lernfreiheit.

Lernfreiheit, als Gesetz, ist die vom Staate zugestandene Freiheit, daß Jeder, wer er sei, lernen könne, was, wie und wo er will. –

Die einzigen Schranken dieser Zugeständnisse seien durch Gesetze gegeben, welche die nothwendigste Summe jener Wissenschaften vorscheiben, deren Erwerb zur Erlangung einer gewissen Stellung oder eines gewissen akademischen oder Fakultätsgradus gefordert werden muß. Denn diese Summe kann nicht der Einsicht des Einzelnen überlassen werden; sie zu übersteigen, stehe Jedermann frei, sie zu vermindern, Niemanden. – Diese Gesetze müssen aber neu gegeben werden, und zwar von einem Comité wirklich intelligenter, freisinniger und umsichtiger Männer, welche die durch diese Gesetze bestimmte Summe den Bedürfnissen der Zeit, des Fortschrittes, und – was ja nicht zu vergessen – der allseitigen Bildung anpassen. – Jeder, der eine wissenschaftliche Stellung oder einen solchen Grad erlangen will, soll vermöge dieser Gesetze eine gewisse Verpflichtung auf sich haben, möge sich aber innerhalb der angezeigten Gränzen so frei als nur irgendwie möglich bewegen können; jeder, der keinen Grad und keine Stellung will, möge für seine Bildung auch außerhalb dieser Gränzen sorgen können, wie er es seinem innern Drange nach zu thun für gut findet. – Beleuchten wir nun den oben gegebenen Begriff der Lernfreiheit näher, festhaltend, daß es in Rücksicht auf den soziellen Bestand des Staates Schranken geben müsse, die aber nur für jene Reviere des wissenschaftlichen Erwerbes gelten, welche zu einem sogenannten Grade führen sollen.

1. Jeder möge lernen können was er will, d. h. es gebe fortan keinen Vortrag, keine Schule, keine Bibliothek, keine Sammlung, keine Gallerie, keinen Menschen und kein Ding, die irgend Jemandem, der aus ihnen alle mögliche Belehrung schöpfen will, aus irgend einem Grunde, außer dem der gröblichen Verletzung des Eigenthumsrechtes, zu unumschränkter Benützung verweigert werden dürfen. Dieser Punkt, meine Herren, kann nicht genug eindringlich dargestellt werden, er stößt vieles Bestehende um, tödtet eine Masse selbstgenommener Privilegien so vieler egoistischer Vorsteher von Sammlungen, Instituten etc., und macht sehr schwierige Metamorphosen nöthig: die grober, lümmelhafter Menschen in höfliche, menschenfreundliche. Halten Sie diesen Punkt fest, meine Herren, und vertheidigen Sie ihn mit dem letzten Blutstropfen; sein Inhalt und seine Erfüllung ist für den Geist das, was Luft, Speise und Trank für den Leib. Die so viel als möglich unumschränkte Benützung der durch den Staat dargebotenen und aufgehäuften wissenschaftlichen Anstalten und Schätze ist die erste Bedingung, der Lebensgeist jedes wissenschaftlichen Fortschrittes. Erwirken Sie, ja erkämpfen [S. 4] Sie meine Herren, in dieser Beziehung unumstößliche Gesetze; Gesetze, welche so großartig und freisinnig sein müssen, wie das Prinzip, welches sie beschützen sollten. Denn nur durch solche Gesetze vermögen Sie ganz zu bannen oder wenigstens unschädlich und unwirksam zu machen das immerwährende Bemühen einzelner Männer, mittelalterliche Handthierung im Betriebe der Wissenschaft aufrecht zu erhalten. Ueberlassen Sie, meine Herren, diesen Punkt ja nicht, ohne festgestellte Gesetze, der Einsicht, dem Herzen, und dem guten Willen der einzelnen Lehrer und Vorsteher, denn diese Herren haben oft keine Einsicht, keine Herzen, und keinen guten Willen. Diese Herren denken: die Früchte unseres Feldes sind um so mehr werth, je weniger der Nachbar säen kann. – Damit Jeder lernen könne was er will, müssen weiter aber auch alle finanziellen Hindernisse fallen, die bis jetzt so oft und so schrecklich den talentreichen Armen quälten, ihn bisweilen zur Verzweiflung brachten. Es müssen also abgeschafft werden Schulgelder, Rigorosentaxen, Kurse, und alle wie immer Namen habenden Besteuerungen der Studierenden. Die aus dieser Abschaffung entspringenden Schäden der Professoren, Assistenten, Docenten u. A. sollen durch erhöhte Gehalte von Seiten des Staates vergütet werden. Die Ausgabe des Staatshaushaltes wüchse hierdurch um eine verhältnismäßig sehr unbedeutende Summe, um eine Summe, die verschwindend klein ist gegen jene, welche durch die Vermehrung der Armee um ein Regiment Soldaten erfordert wird – und, um wieviel mehr werth ein Paar hundert gebildete Bürger als ein Paar tausend Soldaten sind, hat man in der letzten Zeit gesehen. – Also, meine Herren, großartige Einrichtungen, damit Jeder lernen könne, was er will, und jeden Grad ohne andere Kosten, als die des Lebensunterhaltes, erlangen könne.

2. Jeder lerne, wie er will, d. h. in jenem Sinne, nach jener Richtung, in jener Ordnung, die ihm zusagt, die seinen Fähigkeiten, seinen individuellen Verhältnissen und seiner, oft mit den Jahren wechselnden Gemüthsstimmung am besten entspricht. Mit Ausnahme des durch die Vernunft selbst gebotenen Gesetzes: jeder praktischen Wissenschaft, die ihr zur Grundlage dienende Theorie voranzuschicken – ein Gesetz, das, übrigens wenn es auch nicht als solches gegeben wird, doch Jeder bald, durch eigenen Schaden belehrt, einhalten wird – gebe es keine Vorschrift für die Ordnung und die Zeit des zu Lernenden. Die Einrichtung der Jahrgänge und der halb- oder ganzjährigen Prüfungen möge also fallen, wie der ihnen zu Grunde liegende tyrannische Gedanke einer fortwährenden Beaufsichtigung und Kontrolle. Durch diesen Fall wird – sind anders die zur Erlangung eines Fakultätsgrades nothwendigen Endprüfungen genug strenge und umsichtig – nicht Ein Unfähiger mehr, als früher graduirt werden. Im Gegentheil werden geistesschwache Menschen kaum der Summe der Anforderungen genügen können, die vermöge der neuen Einrichtung – der Schlußkontrolle am Ende aller Studien – an sie gestellt werden werden [sic!] und müssen, während sie jetzt die oft sehr unbedeutenden jährlichen Faktoren dieser Summe (der Zufall machte sie oft zu 0) leichter aufzutreiben wissen.

3. Das Zugeständniß, daß Jeder lernen kann, wo er will, kann und soll in seinem ganzen Umfange bei uns erst nach vorausgegangener Garantirung der Reciprocität durch die andern europäischen Staaten geltend gemacht werden. Für jetzt beziehe es sich mithin nur auf den Umfang des österreichischen Kaiserstaates. Innerhalb desselben gebe es fortan keine wie immer klingende Bedingung, welche einen beliebigen Wechsel in der Benützung aller Unterrichtsanstalten des Kaiserstaates erschwert, oder gar etwa theilweise unbrauchbar macht.

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Alle die Lehr- und Lernfreiheit betreffenden Detail-Einrichtungen sind in jenen Berathungen, welche die Reform des Studienwesens bis auf die geringsten Punkte hin zu ihrer speciellen Aufgabe machen, mit größter Aufmerksamkeit und Umsicht zu erwägen. Dieß hier zu thun, überschritte weit die diesem Aufsatze gesetzten Gränzen. Hier handelte es sich nur darum, die allgemeinsten Grundzüge der Lehr- und Lernfreiheit einem theilnehmenden Publikum in großen Umrissen vorzuführen, und es zur Wachsamkeit über eines seiner kräftigsten und erfolgreichsten Rechte anzuspornen. –

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Schließlich verwahrt sich der Unterzeichnete feierlichst vor der Anwendung der hier angesprochenen Zugeständnisse auf die theologischen Studien. Hierzu ist noch nicht die Zeit gekommen. Erst wenn die große Menge durch größere naturwissenschaftliche Bildung – nur durch diese ist’s möglich – zu einem lichteren Verständniß des wahren Verhältnisses zwischen dem Schöpfer und den geschaffenen Wesen gelangt sein wird, wird man auch der Theologie schrittweise zugestehen können, was der Medicin, der Jurisprudenz und den philosophisch-ästhetischen Studien schon jetzt im vollsten Umfange zu ihrem weiteren Gedeihen zu gewähren ist.

Wien, am 24. März 1848

 

Dr. Brühl,

Mitglied der Wiener med. Fakultät, Verfasser der Methode des osteologischen Details, – eines illustrirten Handbuchs der vergl. Anatomie etc. etc.
Zweiter Sprecher vor den Ständen am Montage, dem 13. März 1848.

 

 

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. Hervorhebungen im Original durch gesperrte Schrift werden in Kursive wiedergegeben, kleinere Schrift im Original wird ebenfalls durch kleinere Schrift wiedergegeben.)

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